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Israel vor der Wahl: Arabische Wahl-Beteiligung mit dramatischen Folgen (Teil 1)

Ayman Odeh von der arabischen Hadash-Partei bei der Stimmabgabe
Ayman Odeh von der arabischen Hadash-Partei bei der Stimmabgabe (© Imago Images / Xinhua)

Wahlumfragen legen nahe, dass die Pattsituation zwischen den Parteiblöcken bestehen bleibt. Deshalb rücken erneut arabische Wähler und ihre Parteien in den Fokus. Ausgerechnet arabische Wahlberechtigte, die dem Urnengang fernbleiben, könnten für die größte Bewegung in Israels festgefahrener Parteipolitik sorgen. (Teil 2 der Artikelserie finden Sie hier.)

Auch bei der fünften Wahl in nicht einmal vier Jahren liegen die beiden Blöcke – der rechte Pro-Netanjahu-Block und der aus verschiedenen Parteien von links bis rechts bestehende Anti-Netanjahu-Block – gleichauf. Da in Israel bei der Stimmabgabe die ethnisch-religiöse Identität der Wahlberechtigten eine große Rolle spielt, grenzen die entsprechenden Präferenzen eine Wählerwanderung ein. Die erwähnten beiden Blöcke bestehen ausschließlich aus »zionistischen Parteien«, da sie, trotz arabischer Abgeordneter in ihren Reihen, der jüdischen Mehrheitsgesellschaft entspringen und repräsentieren. Diese Konstellationen lenken die Aufmerksamkeit seit Wochen auf eine dritte Kraft: auf die arabischen Parteien und die arabische Wählerschaft, die rund 1,15 Million (17 Prozent) der 6,8 Millionen Wahlberechtigten stellt.

Die politische Landschaft der arabisch-israelischen Gesellschaft durchlief in den letzten Jahrzehnten große Veränderungen. Trotz seit Staatsgründung zugesprochenen aktiven wie passiven Stimmrecht und Präsenz arabischer Volksvertreter in jeder Knesset blieb deren Zahl lange überschaubar. Ab Mitte der 1990er Jahre nahm sie zu und sank seither nicht mehr unter zehn arabische Parlamentarier, die zur großen Mehrheit für arabische Parteien amtieren.

Arabische Wahlbeteiligung

Auch die arabische Wahlbeteiligung unterlag Veränderungen. Traditionell fällt sie immer einige Prozent hinter die allgemeine zurück, die zwischen 65 und knapp über 70 Prozent rangiert. Diese Kluft nahm in den letzten zwanzig Jahren zu und erreichte zeitweilig einen zweistelligen Prozentsatz. Bei der Wahl im April 2019 betrug sie fast zwanzig Prozent.

Diesbezüglich waren 2020 und 2021 einschneidende Jahre: 2020 kam die arabische Wahlbeteiligung der national durchschnittlichen ungewöhnlich nahe. 2021 gingen zwar prozentuell gesehen etwas weniger Israelis wählen, doch angesichts von nur 44,6 Prozent arabischer Wähler schwoll der Abstand auf fast 23 Prozent an.

Das ging als »historischer Tiefstand« in die Annalen ein, könnte aber schon bald übertroffen werden, da bei den anstehenden Wahlen laut Umfragen weniger als vierzig Prozent der arabischen Wahlberechtigten abstimmen wollen. Nur rund 450.000 arabische Bürger Israels würden dann die Wahllokale aufsuchen.

Neu gemischte Karten

Zwischen siebzig und achtzig Prozent der arabischen Wählerstimmen gehen an arabischen Parteien. Sollte die arabische Wahlbeteiligung auf das vorausgesagte, präzedenzlose Tief absacken, brächte dies für die drei zur Wahl antretenden arabischen Parteien eine schwierige Konstellation.

Die an der letzten Regierungskoalition beteiligte Ra’am scheint im Gegensatz zur Wahl von 2021 nicht mit der Sperrklausel ringen zu müssen, sodass die Partei von Mansour Abbas mit vier Mandaten rechnet. Eventuell könnte sogar ein fünftes Mandat winken. Den Parteien Hadash und Ta’al von der ehemaligen Vereinigten Liste werden ebenfalls vier Mandate prognostiziert, wenngleich ihr Einzug in die Knesset weiterhin nicht als gesichert gilt. Ihr Ex-Partner Balad blickt auf eine andere Ausgangslage.

Die arabisch-national gesinnte Partei hat einen Hürdenlauf hinter sich: Der Ausschluss von der Wahl durch das Zentrale Wahlkomitee löste eine Solidaritätskampagne von »Underdog«-Sympathisanten aus, die fleißig am Laufen gehalten wird, obwohl der Oberste Gerichtshof das Urteil revidierte. Balad war dadurch vom Vorwurf anti-israelischer Tendenzen freigesprochen, fiel aber kurz darauf wieder wegen eines Nachrufs auf einen bei Jenin von der israelischen Armee getöteten palästinensischen Terroristen auf. Die Partei, die nicht zum ersten Mal in solchen Fällen salbungsvolle Worte für »Märtyrer« findet, setzt im Wahlkampf überdies auf Protestwähler, die ihren zu Rivalen gewordenen Ex-Partnern, Hadash und Ta’al, einen Denkzettel verpassen wollen.

Von Extrem zu Extrem?

Lediglich eine Handvoll arabischer Abgeordnete arabischer Parteien neben arabischen Abgeordneten in den Reihender »zionistischen Parteien« amtierten bis in die 1990er Jahre hinein in Israels Parlamenten. Erst 2013 wurde die Schallmauer von zehn arabischen Abgeordneten arabischer Parteien durchbrochen.

Erringen diesmal Ra’am und Hadash-Ta’al gemeinsam die vorausgesagten acht bis neun Sitze, so wird die Präsenz der arabischen Parteien in Israels Parlament auf ein Niveau zurückgeworfen, das man aus der Zeit um die Jahrtausendwende kennt. Sollten Hadash-Ta’al auf der Strecke bleiben und an der Sperrklausel scheitern, wäre die arabische Parteienpräsenz in die Zeit vor 1992 zurückgebeamt; ein wahrhafter Negativrekord.

Doch das ist längst nicht die Punchline, denn wenn 2020 insgesamt 17 arabische (einschließlich Drusen) Parlamentarier in der Knesset amtierten und es 2021 immerhin 14 waren, so gesellen sich dieses Mal zu vier arabischen Ra’am-Kandidaten und drei arabischen Hadash-Ta’al-Politikern (der vierte Listenplatz ist für einen jüdischen Kandidaten reserviert) lediglich sechs arabische Kandidaten »zionistischer Parteien«.

Nur einer davon geht auf einem realistischen Listenplatz ins Rennen, einer hat den Hauch einer Chance, vier rangieren auf aussichtlosen Listenplätzen. Damit blickt die arabische Politik Israels auf eine vergleichbar klägliche Knesset-Präsenz, wie sie in den frühen Jahrzehnten nach Staatsgründung Usus war.

Das Mansour-Abbas-Zeitalter

Diese Entwicklungen werden für gewöhnlich mit dem Unmut der arabischen Wähler über ihre eigenen Politiker erklärt. Zutreffend ist: Je zerstrittener die arabischen Parteien untereinander, desto mehr gehen ihre Wähler auf Distanz. Doch seit Ende 2020 nimmt ein anderer Faktor maßgeblich Einfluss auf Israels arabische Politik: die bahnbrechende Vision des Ra’am-Vorsitzenden Masour Abbas.

Er nahm einen Trend innerhalb der arabischen Gesellschaft Israels wahr: Die Mehrheit der Araber Israels ist es leid, in der Politik außen vor zu bleiben. Mansour Abbas scherte mit seiner der Islamischen Bewegung entspringenden Partei Ra’am aus der tradierten arabischen Opposition zu den »zionistischen Parteien« aus, um sich zugunsten der Bedürfnisse des von ihm vertretenen Teils der Gesellschaft in die Regierungsentscheidungen einzuklinken.

Trotz des Scheiterns der Koalition, an der sich Ra’am beteiligt hatte, hält Mansour Abbas vehement an seinem Ansatz fest und positionierte sich dieses Mal bereits während des Wahlkampfes, indem er eine Kooperation mit dem Netanjahu-Block grundsätzlich ausschloss. Damit mag er arabische Wähler potenziell weniger abschrecken und vielleicht neue Schichten für das Vorantreiben seiner »Revolution« gewinnen, nichtdestotrotz ringt er mit seinen potenziellen Wählern, die wegen der schleppenden Umsetzung von Entscheidungen zunehmend frustriert sindFrust schieben.

Darüber hinaus bedeutet Ra’ams Positionierung auch eine Manifestation der Pattsituation zwischen den Blöcken, sodass es einer anderen Kraft bedarf, um etwas in Bewegung zu setzen.

Neue Aspirationen

Diese Rolle könnte Hadash-Ta’al zufallen. Losgelöst von den Fesseln des antizionistischen Kurses, die ihnen ihr Ex-Partner Balad aufgezwungen hatte, signalisierte das Parteienbündnis bereits, sich vorstellen zu können, die Rolle des Königmachers in Erwägung zu ziehen.

Die Parteispitze weiß nur zu gut: Ihr Vorläufer, die Vereinigte Liste, war in der letzten Knesset zwar mit sechs Sitzen die gegenüber Ra’am stärkere arabische Partei, doch recht viele arabische Wähler plädierten auf ihre eigene Weise für Mansour Abbas’ Ansatz, indem fast zwanzig Prozent davon ihre Stimme »zionistischen Parteien« gaben. Das entspricht zwar nur wenigen Mandaten, verleiht der Tendenz der arabischen Gesellschaft des Landes, politisch mehr Einfluss haben zu wollen, dennoch zusätzlichen Nachdruck.

Allerdings hört man auch Unkenrufe, die Männer an der Spitze von Hadash-Ta’al, Ayman Odeh und Ahmed Tibi, hätten nicht bedacht, dass ihre angedeutete Neupositionierung zum zweischneidigen Schwert werden könnte. Jenen arabischen Bürgern Israels, die sich weiterhin vehement gegen den inklusiven Ra’am-Ansatz aussprechen, lässt die Kehrtwende des Gespanns Odeh-Tibi lediglich die dezidiert antizionistische Balad als Alternative. Dieser Wählerpool hat am Wahltag jedoch noch eine weitere Alternative: Zuhause bleiben – was vor allem Hadash-Ta’al teuer zu stehen kommen könnte. In dieser Situation hofft Mansour Abbas auf die Möglichkeit, dass bislang Gleichgültige aus dem Dornröschenschlaf erwachen und ausgerechnet ihm ein zusätzliches Mandat bescheren.

Da die Prognosen bezüglich einer niedrigen arabischen Wahlbeteiligung aus dem Zeitraum vor der Neupositionierung dieser Parteien datieren, könnten große Überraschungen anstehen, sodass zwei weitere zentrale Fragen im Raum stehen: Wie wirken sich die arabischen Konstellationen auf die Pattsituation zwischen den Blöcken aus? Was bewegt die arabische Gesellschaft des Landes und wohin strebt sie?

Teil 2 der Artikelserie finden Sie hier.

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