Sehr geehrter Herr Renner, sehr geehrter Herr Müller,
Darüber jedoch, was Ashrawi unter legitimer Kritik an Israel versteht, ließ der Bericht seine Zuhörer weitestgehend im Unklaren. Weder wurden kritische Nachfragen gestellt noch wurde versucht, die Aussagen in einen Gesamtkontext einzuordnen, was Ashrawi die Möglichkeit verschaffte, ihre Propaganda völlig ungefiltert auf Sendung gehen zu lassen.
Nicht nur unterstützt das Mitglied des Exekutivkomitees der PLO die Israelboykottbewegung BDS, vielmehr erkennt Ashrawi Israel nicht als jüdischen Staat an, da eine solche Anerkennung der „Legalisierung von Rassismus“ gleichkomme. Dieser Sichtweise verleiht sie nicht zuletzt mit ihrem Insistieren auf dem angeblichen Recht auf Rückkehr für 5,6 Millionen palästinensische Flüchtlinge Ausdruck. Während sie jüdischen Flüchtlingen im arabischen Raum den Flüchtlingsstatus abspricht, fordert sie also eine demographische Verschiebung, die nicht nur – was weltweit einzigartig ist – die Erblichkeit des Flüchtlingsstatus für Palästinenser geltend macht, sondern auch das Ende Israels bedeuten würde. Angesichts dessen ist Ashrawis Bekenntnis zur Zweistaatenlösung bloßes Lippenbekenntnis, insofern es ihr um die Schaffung von Verhältnissen geht, in denen die Palästinenser in beiden dieser Staaten die Mehrheit stellen. Nicht nur verschweigt oder verharmlost sie palästinensischen Terror, indem sie ihn als verständliche Verzweiflungstat gegen Israels Vorgehen darstellt. Vielmehr charakterisiert sie dieses Vorgehen als „Umsetzung des fundamentalistischen zionistischen Plans, ganz Palästina zu stehlen“, ein Plan, der aufgrund der „blinden Ergebenheit“ der USA vorangetrieben werde und mit dem Israel „der gesamten Welt nicht nur die Stirn bieten, sondern sie besiegen wolle.“
Ashrawi kritisiert also nicht konkrete politische Aktionen Israels, sondern versteht das zionistische Projekt eines jüdischen Nationalstaates in seiner Gesamtheit als Verkörperung von Rassismus und Landraub, die internationales Recht verletze und deswegen geächtet und verurteilt werden müsse. 2016 verabschiedete die International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) eine „Arbeitsdefinition von Antisemitismus“, die am 25. April 2017 auch vom österreichischen Ministerrat als verbindlich angenommen wurde. Darin wird u.a. das Bestreiten des Selbstbestimmungsrechts des jüdischen Volkes, z. B. durch die Behauptung, der Staat Israel sei ein rassistisches Unterfangen, als antisemitisch charakterisiert – also exakt Aussagen wie diejenigen von Hanan Ashrawi.
Es mag im Sinne der PLO-Politikerin sein, ihren Ausführungen den Anschein von Harmlosigkeit und gerechtfertigter Kritik zu geben, indem sie sich über Benjamin Netanjahu mokiert, der mittels eines „besondere[n] politische[n] Werkzeug[s]“ namens Antisemitismusvorwurf Kritiker mundtot mache. Etwas ganz anderes ist jedoch die Frage, warum das Ö1-Mittagsjournal dieser Vertreterin eines Generalangriffs auf den jüdischen Staat so unwidersprochen Raum gibt.
Mit freundlichen Grüßen,
Dr. Alexander Gruber
Mena Watch – der unabhängige Nahost-Thinktank