Israel und der Libanon wollen ab dieser Woche über den Verlauf der gemeinsamen Seegrenze verhandeln, teilten Regierungsbeamte beider Länder am 1. Oktober mit, wie die New York Times berichtete. Es wäre die erste bilaterale, nicht die Sicherheit betreffende Vereinbarung der beiden Länder seit drei Jahrzehnten.
Zumindest indirekt wären das auch Verhandlungen zwischen Israel und der Hisbollah. Denn die Terrororganisation und ihre Verbündeten sind Teil der libanesischen Regierung und stellen mehr als ein Drittel der Mitglieder im Ministerrat, was der Hisbollah eine Sperrminorität verschafft. Sie muss also den Verhandlungen zugestimmt haben, sonst gäbe es sie nicht. (Die Gefahr eines kurzfristigen Scheiterns, einer Absage in letzter Minute, besteht im Nahen Osten natürlich immer.)
Israel und der Libanon befinden sich seit dem israelischen Unabhängigkeitskrieg von 1948 im Kriegszustand. Im Mai 1948 eroberte die libanesische Armee das Grenzdorf Malikiya, das sie im Oktober 1948 im Zuge der israelischen Operation Hiram wieder verlor. Am 23. März 1949 unterzeichneten beide Länder ein Waffenstillstandsabkommen, wonach die 1923 von Frankreich und Großbritannien im Paulet-Newcombe-Abkommen festgelegte Grenze zwischen dem Mandatsgebiet Palästina und dem französischen Mandatsgebiet Großlibanon auch die Waffenstillstandslinie zwischen beiden Staaten ist.
Eine ausgehandelte und international anerkannte Seegrenze festzulegen, erschien der libanesischen Regierungen bislang nicht nötig. Während Israel und Zypern im Dezember 2010 ihre Seegrenze ausgehandelt haben (was die libanesische Regierung damals als eine Verletzung der von ihr beanspruchten Ausschließlichen Wirtschaftszone verurteilte), legte sie ihre Seegrenze zu Israel bislang nur unilateral fest – erstmals in einem Beschluss des Ministerrats vom Mai 2009.
Erdagsreiche Gewässer
Das war vier Monate nachdem der texanische Öl- und Gaskonzern Noble Energy das erste Erdgasfeld in israelischen Gewässern entdeckte, das Tamar-Feld. Zieht man auf der Landkarte von der israelisch-libanesischen Landgrenze aus quer durchs Meer eine gerade Linie in westlicher Richtung, dann läuft sie genau auf Tamar zu oder jedenfalls nur knapp daran vorbei. Es war darum nicht überraschend, dass libanesische Politiker und die Hisbollah sofort behaupteten, das Erdgasfeld gehöre in Wahrheit dem Libanon.
Der Streit um Tamar endete 2012, als der Libanon bei der UNO eine Seegrenze mitteilte, die anerkennt, dass Tamar in israelischen Gewässern liegt. Jedoch bezichtigte auch der Staat Israel die libanesische Regierung, in seine Gewässer vorzupreschen. Das führte zu Rechtsunsicherheit für internationale Energiekonzerne, die Lizenzen zum Bohren in libanesischen Gewässern erwerben.
Zudem bestand aus Sicht des Libanon die Gefahr, dass Israel, solange es keine verbindliche Grenze gibt, tatsächlich in libanesische Gewässer vordringen könnte. Entsprechende Anschuldigungen erhob der libanesische Präsident Michel Aoun noch im Juni dieses Jahres.
Sicherheit für Erdgasfirmen
Die gegenseitigen Anschuldigungen hätten sich immer weiter fortsetzen können. Was also brachte den Stein ins Rollen, der den Anstoß zu den jetzigen bilateralen Verhandlungen gab? Zum einen sicherlich der libanesische Staatsbankrott und die Wirtschaftskrise; zum anderen der Misserfolg bei den bisherigen Bohrungen in libanesischen Gewässern.
Im April musste der libanesische Energieminister Raymond Ghajar einräumen, dass die bisherigen Bohrungen nicht die Hoffnungen erfüllt haben, die die Regierung in sie gesetzt hat. Al-Jazeera sprach von einer „herben Enttäuschung“. Es gebe jedoch, so Ghajar weiter, die Hoffnung, dass sich das ökonomische Profil durch weitere Funde verbessere.
Hier kommt Israel ins Spiel: Bislang hat das Konsortium unter Führung des französischen Energiekonzerns Total einen 25-Kilometer-Sicherheitsabstand zu der vom Libanon definierten Seegrenze gelassen, um auf keinen Fall in umstrittene Gewässer vorzudringen, von denen ein Gericht später sagen könnte, dass sie zu Israel gehören.
Dadurch hat Total bei den Bohrungen vielleicht das wertvollste Gebiet ausgespart: Wenn das israelische Erdgasfeld Tamar auf libanesischer Seite eine geologische Fortsetzung hat, dann ist es logischerweise eher wahrscheinlich, dass sie in der Nähe von Tamar (und eben der israelischen Grenze) liegt als 25 Kilometer weiter weg. Wenn der Libanon eine rechtssichere Seegrenze zu Israel hat, dann kann Total dort bohren, wo die Wahrscheinlichkeit höher ist, wirtschaftlich ausbeutbare Erdgasvorkommen zu finden.
Der schiitische Sprecher des libanesischen Parlaments, Nabih Berri von der Amal-Bewegung, der die Verhandlungen über das Abkommen mit Israel in Beirut bekannt machte, sagte, Erdgas aus der Nähe des umstrittenen Gebiets „könnte uns helfen, unsere Schulden zu bezahlen“.
Das scheint stark übertrieben und auf Sicht der nächsten fünf oder sechs Jahre – die es mindestens dauert, ein Erdgasfeld zu entwickeln – völlig unrealistisch. Doch sollte der Libanon irgendwann wirklich zu einem Gasproduzenten aufsteigen, könnte das Israel nur recht sein. Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah hat in der Vergangenheit immer wieder damit gedroht, bei einem zukünftigen Krieg mit Israel auch israelische Bohrinseln anzugreifen. Das würde er wohl nicht mehr tun, wenn der Libanon selbst Bohrinseln hätte.
Wohl nicht das nächste Abu Dhabi
Die Gespräche sollen diese Woche im Hauptquartier der UN-Schutztruppe für den Libanon, UNIFIL, in der libanesischen Stadt Naqura in der Nähe der israelischen Grenze stattfinden. Angebahnt wurden sie von den USA. US-Außenminister Mike Pompeo gratulierte den Parteien zu dem Abkommen und sagte in einer Erklärung, dass die Gespräche „das Potenzial haben, mehr Stabilität, Sicherheit und Wohlstand für libanesische und israelische Bürger gleichermaßen zu bringen“.
„Wir hoffen, dass der Libanon ein globales Erdgaszentrum sein und alle seine natürlichen Ressourcen entwickeln wird“, sagte auch der israelische Energieminister Yuval Steinitz, der die israelische Delegation bei den Gesprächen leiten wird. „Wir wollen nicht, dass der Libanon zusammenbricht.“ Er erwartet allerdings nicht, dass die Gespräche zu schnellen Durchbrüchen bei anderen Fragen führen werden. „Ich glaube nicht, dass der Libanon deshalb zu Abu Dhabi werden wird“, sagte Steinitz mit Blick auf das jüngste Friedensabkommen zwischen Israel und den Vereinigten Arabischen Emiraten.