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Israel: Innenpolitische Turbulenzen, aber kein »Bürgerkrieg«

Plakat auf einer Demonstration gegen die Entlassung von Schabak-Chef Ronen Bar in Israel
Plakat auf einer Demonstration gegen die Entlassung von Schabak-Chef Ronen Bar in Israel (Imago Images / ZUMA Press Wire)

Bei allen innenpolitischen Spannungen und Verwerfungen in Israel ist es unsinnig, Ausdrücke wie »Bürgerkrieg« oder »Ende der Demokratie« in die Debatte zu werfen.

Seit dem 7. Oktober 2023 ist alles anders, hat man in Israel immer wieder gehört: Der barbarische Angriff der Hamas war gegen alle gerichtet, hieß es, das ist ein Existenzkampf, es gibt keine Lager und keinen Streit mehr, man muss und wird sich Schulter an Schulter gegen die äußeren Feinde verteidigen. Aber jetzt fühlt sich alles wieder so an wie vor dem 7. Oktober – Massendemonstrationen, Straßenblockaden, Konfrontationen mit der Polizei, innenpolitischer Hickhack bis hin zu Warnungen vor einem »Bürgerkrieg« und dem »Ende der Demokratie«.

Was ist also los in Israel? Vieles gleichzeitig. Gestritten wird über verschiedene Fragen, die eigentlich in der Substanz wenig miteinander zu tun haben, wo aber alles mit jedem irgendwie verknüpft ist und jedenfalls alles vermischt wird.

Das kann man am besten an den Demonstrationen festmachen. Da hört man Parolen und Reden gegen die Fortsetzung des Kriegs und für einen Geiseldeal, gegen die Entlassung des Geheimdienstchefs Ronen Bar und zugleich generell gegen Premierminister Benjamin Netanjahu und seine Regierung.

Im Vordergrund stand zuletzt die Sache mit dem Chef des Schabak – das ist das in Israel gebräuchliche Akronym für den Inlandsgeheimdienst, der außerhalb Israels oft Shin Bet genannt wird –, und die ist allein schon kompliziert genug. Netanjahu begründet die Entlassung damit, dass er zu Bar kein Vertrauen mehr habe und deshalb eine Zusammenarbeit nicht mehr möglich sei.

Vom Gesetz her ist diese Entscheidung absolut gedeckt: Der Schabak-Chef ist ein von der Regierung eingesetzter Beamter und daher ist die Regierung berechtigt, ihn jederzeit auszutauschen. Zudem ist inzwischen klar, dass die Katastrophe des 7. Oktober 2023 unter anderem durch schwere Versäumnisse des Schabak ermöglicht wurde. Deshalb galt der Rücktritt Bars in relativ naher Zukunft als unumgänglich.

Falscher Zeitpunkt

Das Timing und die Umstände des Hinauswurfs haben jetzt allerdings viele blanke Nerven getroffen. Der Schabak-Chef spielt eine zentrale Rolle in allen Sicherheitsangelegenheiten, lautet ein Einwand, deshalb sei es problematisch, ihn mitten im Krieg plötzlich abzulösen.

Bar bestreitet auch, dass die Alltagsarbeit durch eine Vertrauenskrise behindert würde: »Es gibt eine intensive und effiziente Kooperation zwischen dem Dienst unter meiner Leitung und dem Premierminister, was zu bedeutenden Erfolgen für die Terrorabwehr und die Erreichung der Kriegsziele führt.«

Manche Juristen meinen, die Regierung könne den Schabak-Chef auch nicht kurz und bündig entlassen, sondern müsse Prozeduren einhalten und eine detaillierte Begründung anführen.

Der Hauptvorwurf gegen Netanjahu lautet, er würde, um den Fortbestand seiner rechtsgerichteten Regierungskoalition zu sichern sowie aus persönlichen Motiven, in einem Rundumschlag systematisch Figuren wegräumen, die für ihn unbequem sind. Gemeint sind damit Yoav Gallant, der im November vergangenen Jahres aus dem Amt des Verteidigungsministers entlassen wurde, Gali Baharav-Miara, deren Entfernung aus der sehr einflussreichen Position der Generalstaatsanwältin und »Rechtsberaterin der Regierung« jetzt offen angestrebt wird, und eben Ronen Bar.

Als Motiv für Bars Entlassung, so Netanjahus Gegner, komme jetzt noch ganz aktuell und konkret die »Katar-Gate«-Affäre dazu: Es geht um den ungeheuerlichen Verdacht, im Büro des Premierministers beschäftigte Personen seien von Katar bezahlt worden – einem Land, das als Sponsor der Hamas gilt. Für die Ermittlungen, die für Netanjahu äußerst peinliche Ergebnisse haben könnten, ist natürlich der Schabak zuständig – und ausgerechnet jetzt wird der Schabak-Chef gefeuert. Oppositionschef Yair Lapid erkennt hier eine Einflussnahme in »einer strafrechtlichen Angelegenheit, welche die Staatssicherheit gefährdet hat«. Gegenargument aus Netanjahus Umfeld: Die Ermittlungen gehen ja auf jeden Fall weiter, auch, wenn Bar entlassen werden sollte.

Das alles geschieht zu einer Zeit, in der die israelische Armee nach einer Feuerpause wieder mit zunehmender Intensität gegen die Hamas im Gazastreifen vorgeht. Netanjahus Entscheidung, den Krieg fortzusetzen, ist in Israel umstritten. Verzweifelte Proteste kommen natürlich von Angehörigen der in den Gazastreifen verschleppten Geiseln; sie verlangen eine Vereinbarung über einen Waffenstillstand samt Freilassung aller Geiseln.

Gibt es da einen Zusammenhang mit der Entlassung des Schabak-Chefs? Insofern vielleicht, als Ronen Bar zu den Geiselverhandlungen eine »weichere« Einstellung hat als Netanjahu. Aber andererseits: Angesichts der Unnachgiebigkeit der Hamas ist die Fortsetzung des Kriegs jetzt, soweit bekannt, von allen Teilen des Sicherheitsapparats empfohlen worden, also auch vom Schabak unter Bars Leitung.

Ende der Demokratie?

Wie geht es weiter? Die Entlassung des Schabak-Chefs ist nicht vollzogen, denn der Oberste Gerichtshof (OGH) hat sie vorläufig ausgesetzt und will am 8. April darüber entscheiden. Das wird extrem spannend: Wenn der OGH die Entlassung als rechtswidrig aufhebt und Netanjahu die Entscheidung missachtet, ist Israel in einer ernsten Verfassungskrise. Angedroht und angekündigt ist für diesen Fall massiver ziviler Ungehorsam samt »Steuerverweigerung« und »Lahmlegung der Wirtschaft«. Aber erstens ist es möglich, dass der OGH die Entlassung als rechtmäßig bestätigt. Und zweitens gilt es als unwahrscheinlich, dass Netanjahu eine OGH-Entscheidung nicht befolgt.

Bei allen innenpolitischen Turbulenzen in Israel ist es unsinnig und unverantwortlich, den Ausdruck »Bürgerkrieg« in die Debatte zu werfen. Ein Bürgerkrieg ist eine Situation, in der bewaffnete Milizen auf den Straßen aufeinander schießen. Das wird in Israel nicht passieren.

Und auch für die Schreckensparole vom »Ende der Demokratie« gibt es keine Grundlage. Spätestens im Oktober 2026 werden in Israel Wahlen stattfinden. Daran ist laut dem israelischen Grundgesetz: Die Knesset, Artikel 9, de facto nicht zu rütteln. Solange die Machtverhältnisse durch Wahlen geändert werden können, kann von einem »Ende der Demokratie« keine Rede sein.

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