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Israel steht im Gazastreifen am Scheideweg 

Israelische Soldaten bei einem Antiterror-Einsatz in Gaza
Israelische Soldaten bei einem Antiterror-Einsatz in Gaza (Quelle: JNS)

Über ein Jahr nach Beginn des Gaza-Kriegs erzielten die Militäroperationen Israels gegen die Hamas große Erfolge. Um sie endgültig zu besiegen, muss nun die zivile politische Front in Angriff genommen werden.

Yaakov Lappin 

Über ein Jahr nach Beginn seiner Militäraktion zur Zerschlagung der Terrorarmee der Hamas und ihres islamistischen Regimes im Gazastreifen steht Israel am Scheideweg, wie ehemalige israelische Verteidigungsbeamte gegenüber Jewish News Syndicate erklärten.

Der frühere stellvertretende Leiter der Planungsabteilung für den palästinensischen Raum bei den Israelischen Verteidigungsstreitkräften (IDF) und vormaliger Marine-Geheimdienstoffizier Amit Yagur betonte in seinen Ausführungen die beispiellose Natur der israelischen Militäroperationen im Gazastreifen, deren Schwierigkeit darin bestand, einen Antiterrorkampf in einem großteils urbanen Gebiet führen zu müssen.

Bezüglich der Fähigkeit der israelischen Streitkräfte, tief in feindliche Stellungen einzudringen, meint er, »dass wir hier gezeigt haben, wie man mit Terror umgeht, der in einer Zivilbevölkerung eingebettet ist, und zwar mit minimalen Verlusten auf der anderen Seite. Trotz der gemeldeten Zahlen, selbst, wenn wir die vom Hamas-Gesundheitsministerium veröffentlichten überhöhten Zahlen nehmen, die tote Hamas-Kämpfer einschließen, werden wir feststellen, dass die Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung vergleichsweise sehr gering sind«.

Was hier getan worden sei, ist ein »außergewöhnlicher Akt der Kriegsführung. Auf taktischer Ebene gibt es in keinem der Sektoren etwas zu bemängeln; die Taktiken sind bemerkenswert. Die Militäraktion sollte fortgesetzt werden. Ich denke jedoch, dass die strategische Ebene die taktische untergräbt, leider«, warnte Yagur und betonte, wie wichtig es sei, zivile Überlegungen in die Beseitigung der Hamas als Regierungspartei einzubeziehen. »Der zivil-kognitive Aspekt hat eine sehr, sehr große Bedeutung in diesem Militäreinsatz. Wir müssen dies verstehen und anfangen, diese kombinierte Sprache zu sprechen.«

Doppelgleisiger Ansatz

Yagur befürwortet einen parallel laufenden Ansatz, der sowohl militärische als auch zivile Regierungsaspekte berücksichtigt. Obwohl es seitens der IDF bereits alle möglichen erfolglosen Versuche gegeben habe, mit örtlichen Clans zusammenzuarbeiten, glaube er, »dass die IDF dies nicht ausreichend vorangetrieben hat, und die Regierung auch nicht. Sie haben die Bedeutung dessen nicht ausreichend verstanden.« Der erste Schritt, so fügte er hinzu, bestehe darin, der Hamas die Möglichkeit zu nehmen, humanitäre Hilfe zu stehlen und zu verteilen und die Verteilung vorübergehend den IDF zu überlassen. Die Hamas müsse auch aus den verbleibenden Gemeinden im Gazastreifen vertrieben werden sowie aus dem südlichen Teil der Küstenenklave.

Das IDF-Oberkommando hat sich diesen Ideen widersetzt und auf fehlende Ressourcen verwiesen. Daher, so Yagur, stehe eine neue Idee auf der Tagesordnung: die Einbeziehung amerikanischer privater Sicherheitsunternehmen, deren Mitglieder ehemalige US-Soldaten sind und die unter dem Schutz der IDF dazu beitragen könnten, »humanitäre Blasen« im Gazastreifen zu schaffen. In diesen Gebieten würden die privaten Unternehmen die humanitäre Hilfe an die Bevölkerung verteilen und die Hamas überflüssig machen.

Dies sei laut Yagur der schlimmste Schlag, den man der Terrorgruppe versetzen kann, weil: »Sobald man die Hamas überflüssig macht, gerät sie unter Druck, denn derzeit sieht sie sich als höchst relevant für die Zeit nach dem Krieg. Jede Handlung, die die Hamas jetzt unternimmt und ihre sture Haltung bei den Geiselverhandlungen – vorausgesetzt, sie weiß überhaupt, wo sich alle Geiseln befinden –, dienen nur dazu, sich selbst als relevanter Akteur im Gazastreifen für die Zeit danach zu erhalten. Und, nebenbei bemerkt, gestattet Mahmud Abbas der Hamas, dies zu tun«, sagte Yagur in Richtung des Präsidenten der Palästinensischen Autonomiebehörde.

Israel müsse sehr wachsam gegenüber der Gefahr sein, dass externe Akteure versuchen könnten, im Gazastreifen ein libanesisches Hisbollah-Modell durchzusetzen, das es der Hamas ermöglichen würde, ihre Terrorarmee und politische Macht wieder aufzubauen. »Wir müssen aufwachen, und je früher, desto besser, und diese Lücke schließen, die als zivil-politische Frage bezeichnet wird«, erklärte Yagur abschließend. 

Prioritäten setzen

Laut Moshe Fuzaylov, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Misgav-Institut für nationale Sicherheit und ehemaliger leitender Beamter des Sicherheitsdienstes Shin Bet, ist die Zerschlagung der Hamas eine Voraussetzung für die regionale Stabilität. »Der Weg zur Freilassung der Geiseln und zur Schaffung von Hoffnung auf Frieden und Wohlstand im Nahen Osten beginnt mit der entscheidenden Niederlage der Hamas im Gazastreifen«, meinte er gegenüber Jewish News Syndicate. 

Seit den Ereignissen vom Oktober 2023 könne man »die Hamas in der Arena als Boxer mit einem neutralisierten Arm sehen, der blutet und zerstörerische Schläge einsteckt, immer wieder zu Boden geht und sich dennoch wieder auf die Beine stellt.« Nötig sei ein endgültiger K.O-Schlag in Form des Ausschlusses der Hamas aus der Verwaltung des Gazastreifens.

Israel müsse für eine klare und eindeutige Niederlage der Hamas sorgen, während der die IDF die Gebiete des Gazastreifens kontrollieren, das Territorium von Terrorzentren säubert »und die Sicherheitsverantwortung über die Zivilverwaltung an die IDF oder an als Vermittler tätige Partner überträgt. Dies ist eine entscheidende Voraussetzung für eine Hamas-Niederlage. Die Verwaltung durch die IDF wird es uns ermöglichen, die zivilen Machtzentren zu kontrollieren und sicherzustellen, dass die Hamas keine erneute Unterstützung in der lokalen Bevölkerung gewinnen kann.«

Fuzaylov betonte die Bedeutung der Errichtung einer israelischen militärischen und zivilen Aufsicht im Gazastreifen, die »uns dabei helfen wird, Prioritäten in der Region zu setzen, die Hamas daran zu hindern, ihre gefährliche Ideologie zu verbreiten und die lokale Bevölkerung für den Kampf zu rekrutieren. Auf diese Weise können wir unseren Vorteil als starke Armee nutzen, um die Realität im Gazastreifen zu beeinflussen und bei den Bewohnern einen Bewusstseinswandel herbeizuführen: das Bewusstsein, dass es unter israelischer Kontrolle echte Möglichkeiten für Rehabilitation, Wohlstand und sogar Frieden gibt.«

Der Misgav-Mitarbeiter argumentierte, dass solche Aktionen die Verhandlungen über die Freilassung von Geiseln beschleunigen und den Grundstein für langfristige Vereinbarungen legen würden, welche die Sicherheit Israels und der friedliebenden Menschen in der Region gewährleisten.

Dabei plädierte Fuzaylov für einen dem Marshallplan ähnlichen Ansatz zum Wiederaufbau des Gazastreifens nach der Hamas. »Ich schlage vor, einen ähnlichen Ansatz wie beim Marshallplan im Nahen Osten zu verfolgen – einen Plan, der von uns und unseren internationalen Partnern, vor allem gemäßigten sunnitischen Ländern und den Vereinigten Staaten, Investitionen in Infrastruktur, Bildung, Gesundheit und Wirtschaft im Gazastreifen verlangt.« Je deutlicher und eindeutiger die Hamas besiegt werde, desto größer sei die Chance, echten Frieden und langfristigen zivilen Wohlstand zu erreichen. 

Der Senior Fellow am Misgav-Institut für Nationale Sicherheit Gabi Siboni erklärte während eines am Sonntag vom Israel Center for Grand Strategy veranstalteten Webinars, dass die Erwartungen an ein baldiges Ende der Kämpfe im Gazastreifen im Allgemeinen unrealistisch seien. »Ich möchte uns alle daran erinnern, dass wir seit 2002 in Judäa und Samaria kämpfen, und wir kämpfen immer noch, und wahrscheinlich werden wir im Gazastreifen noch jahrzehntelang kämpfen«, sagte er unter Bezug auf den israelischen Antiterror-Kampf im Westjordanland.

Die Ziele der israelischen Regierung seien ganz klar, meinte Siboni: »Erstens die Zerstörung der Hamas, sowohl der zivilen Regierung als auch des militärischen Flügels; zweitens die Schaffung von Bedingungen für die Rückkehr der Geiseln, und drittens zu verhindern, dass der Gazastreifen zu einer erneuten Bedrohung für Israel wird.« Auch Siboni kritisierte wie Yagur die mangelnde Dynamik bei der Einrichtung einer zivilen Regierung im Gazastreifen und erklärte, es sei »ein strategisches Versagen unseres Sicherheits- und Militärsystems, das immer noch nicht bereit ist, den Stier bei den Hörnern zu packen, um durch eine temporäre teilweise Militärregierung im Gazastreifen eine Antwort zu geben«.

Yaakov Lappin ist Korrespondent und Analyst für militärische Angelegenheiten in Israel. Er ist hausinterner Analyst am MirYam-Institut, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Alma-Forschungs- und Bildungszentrum und am Begin-Sadat-Zentrum für strategische Studien an der Bar-Ilan-Universität sowie Autor von Virtual Caliphate – Exposing the Islamist State on the Internet. (Der Text erschien auf Englisch zuerst beim Jewish News Syndicate. Übersetzung von Alexander Gruber.)

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