Sollte es handfeste Garantien bekommen, könnte Israel einen Rückzug von der Grenze zwischen dem Gazastreifen und Ägypten als Teil eines Geiselabkommens mit der Hamas in Betracht ziehen.
Akiva Van Koningsveld
Jerusalem könnte einen Truppenabzug von der Grenze zwischen dem Gazastreifen und Ägypten als Teil eines Geiselabkommens mit der Hamas in Betracht ziehen, wenn eine praktikable Alternative gefunden wird, um die Terrorgruppe daran zu hindern, sich durch Tunnel unter der Grenze hindurch wieder zu bewaffnen, sagte der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu am Mittwoch. »Wir sind offen dafür, dies in Betracht zu ziehen. Aber ich glaube nicht, dass das im Moment geschieht. Solange das nicht passiert, sind wir dabei«, sagte Netanjahu bei einem Briefing im Regierungspresseamt in Jerusalem.
Netanjahu dementierte die Berichte nicht, nach denen die israelischen Unterhändler den Vermittlern bei den indirekten Verhandlungen mitgeteilt hätten, dass Jerusalem in der zweiten Phase eines möglichen Abkommens nach wie vor einen Rückzug der israelischen Streitkräfte aus dem Philadelphi-Korridor, dem vierzehn Kilometer langen Grenzgebiet, das den Gazastreifen von der ägyptischen Sinai-Halbinsel trennt, unterstütze. Er habe »zugestimmt, die Zahl der Truppen entlang des Philadelphi-Korridors zu reduzieren«, erklärte der israelische Regierungschef. »Die andere Sache ist, was in Phase zwei passiert.«
Hamas-Wiederaufbau verhindern
Zu Israels Forderungen für einen dauerhaften Waffenstillstand mit der Hamas gehöre auch eine Lösung, welche die Terrorgruppe daran hindere, Waffen über den Sinai [nach Gaza] einzuschleusen, sagte er. »Jemand muss da sein«, betonte Netanjahu und fügte hinzu, er werde jeden Akteur unterstützen, »der uns tatsächlich zeigt, nicht auf dem Papier, nicht in Worten, nicht auf Folien, sondern auf dem Boden, Tag für Tag, Woche für Woche, Monat für Monat«, dass er in der Lage ist, die Versuche der Hamas und ihrer iranischen Unterstützer zu vereiteln, den Gazastreifen erneut in eine terroristische Enklave zu verwandeln.
Nach Israels Rückzug aus dem Gazastreifen im Jahr 2005, darunter auch der Philadelphi-Korridor, wurde die Grenze »völlig durchlässig«, sagte er. »Sobald wir den Grenzübergang verlassen hatten, konnte der Iran seinen Plan verwirklichen, den Gazastreifen in eine Terrorbasis zu verwandeln, die nicht nur die umliegenden Gemeinden, sondern auch Tel Aviv bedrohen kann«, so der Premierminister.
Dieser Rückzug »führte zu dem Massaker vom 7. Oktober, von dem die Hamas stolz geschworen hat, es wieder und wieder zu tun. Sie wollen die militärischen und regierungstechnischen Fähigkeiten der Hamas zerstören? Dann müssen Sie sie daran hindern, Waffen ins Land zu bringen. Der Gazastreifen kann keine Zukunft haben, wenn die Hamas sich wieder aufbaut.«
Wird die Grenze des Gazastreifens zum Sinai nicht abgeriegelt, könnten die verbleibenden Geiseln über Ägypten in den Iran oder den Jemen geschmuggelt werden, so Netanjahu, der sagte, dies sei »den meisten Israelis – allen Israelis – klar«.
Wolle man die Freilassung der Verschleppten erreichen, »müssen Sie den Philadelphi-Korridor kontrollieren«, bekräftigte der israelische Premierminister auf Nachfrage. »Ich bin bereit, einen Deal zu machen; ich habe bereits einen gemacht, der 117 Geiseln lebendig zurückbrachte, und ich verpflichte mich, die restlichen 101 zurückzubringen. Das wirkliche Hindernis für eine Einigung ist weder Israel noch ich, sondern die Hamas, und zwar [Hamas-Führer Yahya] Sinwar«, schloss Netanjahu.
Überbrückungsvorschlag
In einer Ansprache am Montagabend erklärte Netanjahu, die »gesamte Zukunft« des jüdischen Volks hänge vom Schicksal des Korridors ab, den er als »Sauerstoff« der Hamas und des Irans bezeichnete. Zu den von den USA vermittelten Waffenstillstandsverhandlungen merkte er an, dass sich die Hamas monatelang nicht bewegt habe. »Der erste Riss [in ihrer Haltung] erfolgte, als wir in Rafah einmarschierten und den Philadelphi-Korridor übernahmen. Da begannen sie anders zu reden.«
Nach mehr als dreihundert Tagen werden im Gazastreifen immer noch einhundert – lebende und tote – Geiseln gefangen gehalten. Die Gespräche werden seit Monaten in unregelmäßigen Abständen fortgesetzt, wobei die Vereinigten Staaten, Ägypten und Katar als Vermittler fungieren.
US-Außenminister Antony Blinken hat bestätigt, dass Jerusalem den Vorschlag des amerikanischen Präsidenten für einen Waffenstillstand gegen Geiseln vom 31. Mai akzeptiert hat, ebenso wie den sogenannten »Überbrückungsvorschlag der USA« vom letzten Monat. »In einem sehr konstruktiven Treffen mit Premierminister Netanjahu hat er mir heute bestätigt, dass Israel den Überbrückungsvorschlag akzeptiert und unterstützt«, sagte der Diplomat nach einem Treffen in Jerusalem am 19. August und fügte hinzu, dass es nun an der Hamas sei, dasselbe zu tun.
Die Hamas lehnte den Überbrückungsvorschlag am 18. August formell ab und beschuldigte Netanjahu, »neue Bedingungen und Forderungen zu stellen, um die Bemühungen der Vermittler zu vereiteln und den Krieg zu verlängern«.
US-Beamte berichteten dem Wall Street Journal am Mittwoch, ein neuer Entwurf für ein Abkommen sei in Arbeit, die Hamas aber immer noch jene Partei sie, die am wenigsten bereit ist, dem zuzustimmen. Verhandlungsführer bestätigten der Zeitung, dass das derzeitige Abkommen der Hamas das meiste zugestehe, was sie verlangte, wobei die israelische Regierung viele Zugeständnisse gemacht hat, um eine Einigung zu erzielen.
Zwei neue Umfragen, die diese Woche veröffentlicht wurden, ergaben, dass eine Mehrheit der jüdischen Israelis die Beibehaltung der Kontrolle über den Philadelphi-Korridor befürwortet; selbst, wenn dies auf Kosten einer Vereinbarung über die Freilassung der restlichen Entführten geht.
Der Text erschien auf Englisch zuerst beim Jewish News Syndicate. (Übersetzung von Alexander Gruber.)