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Israels Megiddo-Zwischenfall: Hisbollah-Attacke und Hamas-Drohungen

Der bei dem Terroranschlag bei Megiddo schwer verletze arabische Israelis Sharif ad-Din
Der bei dem Terroranschlag bei Megiddo schwer verletze arabische Israelis Sharif ad-Din (Quelle: Twitter Yoseph Haddad)

Der Megiddo-Zwischenfall hielt Israel mehrere Tage lang in Atem. Die Nachrichtendienste hatten gewarnt, dass Libanons Hisbollah-Terrormiliz versuchen könnte, in Israel aktiv zu werden. Nicht nur, dass dies tatsächlich erfolgte, sorgte in Israel für Alarmbereitschaft.

Ruhig und entspannt ist es an Israels nördlicher Grenze nie. Die Armee ist immer in Bereitschaft. Die Nachrichtendienste dürfen nie nachsichtig werden. Zudem ist der alte Grenzzaum längst marode, doch bis die neuen Grenzanlagen fertig sind, werden noch zwei Jahre vergehen. Auch wenn es immer wieder mal zu terroristischen Aktivitäten kam, liegt der letzte Krieg schon gute 16 Jahre zurück

Vor einigen Tagen blickte nun allerdings ganz Israel sorgenvoll nach Norden zur Megiddo-Kreuzung in Galiläa. Dieses Mal nicht wie üblich aufgrund von schweren Verkehrsunfällen, sondern wegen eines Sprengsatzes.

Der Zwischenfall

Es war vergangenen Montag um 06:00 Uhr morgens, als der 21-jährige Sharif ad-Din aus dem nahen arabischen Dorf Salem bei der Megiddo-Kreuzung durch einen Sprengsatz lebensgefährlich verletzt wurde. 

Die Hauptverkehrsstraße 65, die die Küstenstadt Hadera mit Galiläa oberhalb von Tiberias verbindet, wurde stundenlang gesperrt. Zunächst war Israels Polizei vor Ort aktiv, denn immer wieder kommt es vor, dass auf diese Weise kriminelle Banden Widersacher aus der Welt schaffen. Da der Verletzte aber keinerlei Verbindungen zum organisierten Verbrechen hat, kam der Verdacht eines Terroraktes auf.

Recht umgehend war klar, dass es sich um einen ungewöhnlichen Sprengsatz handelt. Er glich in keiner Weise denen, die in letzter Zeit von palästinensischen Attentätern eingesetzt wurden und durch die zuletzt im November 2022 in Jerusalem zwei Menschen ums Leben kamen und Dutzende verletzt wurden. Zwar ist die Grenze zum Westjordanland im Süden nicht weit entfernt, doch die Zeichen deuteten nicht in diese Richtung. Wegen des Terrorverdachts übernahm der Inlandsgeheimdienst Shabak die Untersuchung.

Der Hintergrund hellt sich auf

Es dauerte 48 Stunden, bis im nordisraelischen Städtchen Ya’ara ein Fahrzeug auffiel. Der gestellte Fahrer reagierte verdächtig und wurde von Offizieren der israelischen Yamam-Anti-Terrortruppe erschossen. Im Wagen fand man neben einem Sprengstoffgürtel noch weitere Waffen.

Ya’ara ist nur wenige Kilometer von der Grenze zum Libanon entfernt. Da der Terrorist hier gestellt wurde, stand außer Zweifel, dass er dorthin zurückzukehren versuchte, woher er gekommen war: in eben jenen Libanon. Israels Sicherheitskräfte schätzen, dass er ein bis zwei Tage zuvor über die Grenze gekommen war. Schnell war man sich sicher, dass er alleine unterwegs war, sich also kein zweiter Attentäter versteckt hielt. Da die Ermittlungen noch auf Hochtouren laufen, wurden keine weiteren Details bekanntgegeben.

Quälende Fragen

Israels Sicherheitskräfte beschäftigt gegenwärtig nicht nur die Frage, wo und wie dieser Terrorist auf israelisches Territorium gelangen konnte. Da die UNIFIL-Truppen im Libanon bestätigten, keinen illegalen Grenzübertritt registriert zu haben, könnte er ein Tunnelnetzwerk genutzt haben. Überdies stellt sich die Frage, ob er auf israelischer Seite Helfer hatte. 

Die Sicherheitskräfte beschäftigt ferner, ob er mit den Waffen die Grenze passierte oder sie für ihn vorab deponiert worden waren. Doch warum unternahm er den Weg ausgerechnet nach Megiddo? Hatte er ursprünglich den Plan, ins Westjordanland zu gelangen? Nicht weniger quälend ist folgende Frage: Wie konnte er von der Grenze rund 65 Kilometer unentdeckt ins Landesinnere vordringen und ebenfalls ohne Aufsehen zu erregen, den Rückweg antreten?

Auf einer eilig einberufenen Sitzung der israelischen Sicherheitskräfte mit Premier Benjamin Netanjahu und Verteidigungsminister Yoav Gallant (Likud) stand zudem eine andere brenzlige Frage im Raum: Wieso war die Armee nicht vorbereitet, obwohl die Nachrichtendienste vor einem solchen Zwischenfall gewarnt hatten?

Braut sich etwas zusammen?

Israels Verteidigungsminister Gallant sagte nach der Sitzung zu den Medien: »Wir werden den richtigen Zeitpunkt und Weg finden, um zurückzuschlagen.« Generalstabschef Generalleutnant Herzi Halevi bestätigte, dass die israelischen Sicherheitskräfte »nunmehr verstärkt verschiedene Arenen« im Blickfeld haben, an denen es seit Jahren ruhig ist, denn: »Unsere Feinde beobachten uns und denken, dass es wohl eine gute Zeit ist, zuzuschlagen, da sie Schwäche erkennen.« Damit nahm er Bezug auf die innere Zerrissenheit Israels vor dem Hintergrund der umstrittenen Reform im Justizwesen.

Zwar fiel offiziell nicht der Name Hisbollah, doch alle in Israel wissen, wer die terroristischen Fäden im Libanon und darüber hinaus zieht. Die über den Megiddo-Zwischenfall bekannt gewordenen Details deuten auf ein hochprofessionelles operatives Vermögen, eine solche Aktion durchzuführen, ohne dass in Israel sämtliche Sicherheitsorgane wach werden – ein weiteres Argument dafür, dass die Hisbollah dahintersteckt

Stutzig macht einige, dass die Hintermänner dieser Terrorattacke das Risiko eingingen, Israel könnte harsch reagieren. Vor dem Hintergrund der Ereignisse von 2006, als der Hisbollah die unerwartete Entführung von israelischen Soldaten in Grenznähe gelungen war, kam die Befürchtung auf, die Elitetruppe der Hisbollah – die Radwan Einheit – könnte in Bereitschaft im Libanon lauern.

In Israel ist ebenfalls allseits klar, dass die Feinde des Landes sehr genau die innenpolitischen Entwicklungen verfolgen. Israels Sicherheitskräfte gehen bislang davon aus, dass Hisbollah-Anführer Scheich Hasan Nasrallah nach dem Krieg von 2006 nicht auf eine erneute Eskalation setzt, wenngleich er manchmal mit punktuellen Aktionen Israels Reaktion austestet. 

Doch seit einigen Wochen vernimmt man ihn regelrecht frohlockend, Israel werde seinen 80. Unabhängigkeitstag ohnehin nicht erleben. Das fällt zusammen mit einer Aufstockung seiner Verteidigungsinfrastruktur, eingeschmuggelt aus dem Iran, und vermehrten Aktivitäten in Grenznähe, darunter die Errichtung von neuen Beobachtungstürmen.

Das größere Bild

Wenngleich Sicherheitsexperten den Zwischenfall für gravierend halten und eine angespannte Lage im Norden des Landes gegeben sehen, scheint daraus nicht zwangsläufig ein von der Hisbollah vom Zaun gebrochener Krieg daraus zu resultieren. Doch die grundlegende Bereitschaft der iranischen Stellvertretermiliz, etwas zu riskieren, bereitet Israels Sicherheitsexperten Sorgen, da diese Aktionen anscheinend mit palästinensischen Terroraspirationen einhergehen. 

Kein Tag vergeht, ohne schwere Zusammenstöße mit Terrorzellen in der Region von Jenin und Nablus in der Westbank, wobei die Kämpfer Rückendeckung durch die Hetze der Palästinensischen Autonomiebehörde erhalten. Inmitten dieses Szenarios haben hochrangige Hamas-Mitglieder, die mit dem Libanon in Verbindung stehen, in den Tagen vor Beginn des muslimischen Fastenmonats Ramadan konkrete Warnungen gegen Israel ausgesprochen. Nur wenige Tage zuvor war an der israelischen Grenze zum Gazastreifen eine Sprengladung explodiert; ein solcher Zwischenfall hat sich hier seit längerer Zeit nicht mehr ereignet.

Es scheint Wunschdenken, dass die vom Hamas-Mitglied Marwan Issa angekündigte »Vielzahl von Ereignissen« mit all dem schon durchgestanden ist; erst recht, wenn man die Großwetterlage im Nahen Osten und den Rückenwind bedenkt, den gegenwärtig der Iran auszunutzen versucht. 

Israels professionelle Sicherheitsorgane sind folglich an allen Fronten in Alarmbereitschaft, müssen sich darüber hinaus allerdings mit zwei weiteren Hindernissen auseinandersetzen: Rund 650 Reservisten der Elitetruppen der israelischen Verteidigungsstreitkräfte kündigten an, aus moralischen Gewissenskonflikten infolge der Justizreformdem Reservedienst schon vor der Annahme der ersten Gesetzänderungen in dritter Parlamentslesung fernzubleiben. 

Ferner sind die Entscheidungen des Ministers für nationale Sicherheit, Itamar Ben-Gvir (Otzmah Yehudit/Jüdische Stärke), zu nennen, die professionell begründete Erwägungen in den Wind schlagen, sodass nicht mit Maßnahmen deeskalierend gegengesteuert werden kann, sondern das Gegenteil des gewünschten Effekts eintritt.

Wenngleich gerade aus Israel die professionelle Einschätzung kommt, dass palästinensische Terroraktivitäten während des Ramadan-Monats in aller Regel nicht zunehmen, so stehen dieses Mal in den Tagen vor Feiertagsbeginn die Zeichen dennoch auf Sturm. Erst recht, wenn die Hamas für ihren Ramadan-Eskalationsplan Rückendeckung oder gar mehr Unterstützung von der libanesischen Hisbollah erhalten sollte.

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