Der rund vierzehn Kilometer lange Landstreifen zwischen dem Gazastreifen und Ägypten stellte den jüngsten Schwerpunkt des israelischen Angriffs auf die Hamas dar.
Die Israelischen Verteidigungsstreitkräfte (IDF) hätten die volle Kontrolle über den Philadelphi-Korridor erlangt, erklärten sie am Mittwoch, womit das Militär nun »die Lebensader der Hamas für den Nachschub aus dem Sinai abschneiden« könne.
Dabei handelt sich um ein etwa vierzehn Kilometer langes und hundert Meter breites Stück Land, das sich etwa von der israelischen Grenze im Süden bis zum Mittelmeer im Norden erstreckt. Diese Grenzlinie, welche die Stadt Rafah teilt, wurde im Rahmen des ägyptisch-israelischen Friedensvertrags von 1979 eingerichtet. Ägyptische Grenzschützer überwachen das Gebiet im Rahmen eines Abkommens mit Israel, das 2005 geschlossen wurde, als sich die israelischen Streitkräfte aus dem Gazastreifen zurückzogen. Die Israelis verwenden für den Streifen den Codenamen Philadelphi, während ägyptische Beamte ihn Salah Al Din nennen.
Hochrangige israelische Beamte hatten die Kontrolle über den Philadelphi-Korridor als militärisches Ziel festgelegt, da die Hamas bis nach Ägypten reichende Tunnel – einige sind laut Militärexperten breit genug für Lastwagen – gegraben und diese genutzt hat, um Waffen und Terroristen in das Gebiet des Gazastreifens zu schmuggeln.
»Auf diese Weise können sie ein- und ausreisen, ohne die Israelis zu fragen«, sagte der ehemalige israelische Offizier Ahron Bregman, der nun Politikwissenschaftler und Experte für Sicherheitsfragen im Nahen Osten am King’s College in London ist. Werden die Tunnel nicht blockiert, so Bregman in einem Interview, könnte die Hamas ihre militärischen Kapazitäten nach dem Krieg wieder aufbauen.
Peinlich für Ägypten
Israel habe mindestens zwanzig Tunnel gefunden, hieß es in der aktuellen IDF-Erklärung, und das Militär untersuche nun, wie viele davon genau unter der Grenze durchgehen und von der Terrorgruppe für den Transport von Waffen, Bargeld und möglicherweise Menschen in den und aus dem Küstenstreifen genutzt wurden. Außerdem wurden mindestens 82 Tunnelschächte gefunden, die nach ihrer Untersuchung zerstört werden sollen. Israel hat die Informationen über die Tunnel an Ägypten weitergeleitet.
Das Militär teilte außerdem mit, dass seine Streitkräfte Strukturen und Unterstände ausfindig gemacht haben, in denen sich Dutzende von geladenen Raketenwerfern befinden. Die Positionierung der Tunnel nur wenige Meter von der ägyptischen Grenze entfernt sei wahrscheinlich in der Annahme erfolgt, die IDF würden ein Gebiet in unmittelbarer Nähe zu Ägypten nicht angreifen. »Die Hamas hat nun einen wichtigen Aktivposten für den Transport von Waffen verloren«, so die IDF in ihrer Erklärung.
Israels Kontrolle über den strategisch wichtigen Korridor, der entlang der Grenze zwischen dem Gazastreifen und Ägypten verläuft, könnte als Druckmittel gegen die Hamas eingesetzt werden, um sie zurück an den Verhandlungstisch zu bringen und im Gegenzug für einen Waffenstillstand ein Abkommen über die Freilassung der seit dem 7. Oktober festgehaltenen israelischen Geiseln zu erreichen.
Währenddessen behauptet Ägypten, dass an den Berichten über die Existenz von Tunneln an der Grenze zwischen Ägypten und Gaza »nichts dran« sei. »Israel benutzt diese Behauptungen, um die fortgesetzten Aktivitäten in Rafah zu rechtfertigen und den Krieg zu politischen Zwecken zu verlängern«, sagte eine hochrangige ägyptische Quelle gegenüber Al-Qahara Al-Ahbariya. Eine andere Quelle meinte gegenüber der ägyptischen Zeitung, dass »Israel weiterhin Lügen über die Situation seiner Streitkräfte in Rafah veröffentlicht. Es liege keine Wahrheit in dem, was über die Tunnel an der Grenze zwischen Ägypten und Gaza behauptet wurde: Die Lügen sind Ausdruck des Ausmaßes der Krise der israelischen Regierung.«
Die Existenz von grenzüberschreitenden Tunneln zwischen Ägypten und dem Gazastreifen ist seit Langem bekannt, nicht zuletzt aufgrund eines berühmten New-York-Times-Artikels aus dem Jahr 2013 über Fastfood-Lieferungen durch die von der Hamas kontrollierten Tunnel. Ägypten selbst hat jahrelang daran gearbeitet, das grenzüberschreitende Tunnelnetz zu zerstören, indem es die Tunnel gesprengt, mit Wasser geflutet, Giftgas hineingepumpt und sogar Häuser entlang der Grenze abgerissen hat, um eine Pufferzone einzurichten. Dennoch hieß es über all die Jahre, dass viele nach wie vor existieren, was sich durch die israelischen Funde nun betätigt hat.