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Israel: Kommen die fünften Wahlen oder gelingt ein Wunder?

Ein Drive-Thru-Wahllokal für Israelis, die unter Corona-Quarantäne stehen
Ein Drive-Thru-Wahllokal für Israelis, die unter Corona-Quarantäne stehen (© Imago Images / Xinhua)

Die Wahlen in Israel bringen wieder kein eindeutiges Ergebnis, sodass sich eine Regierungsbildung ebenso schwierig erweisen wird, wie in den Wahlgängen davor.

Nach einer langen dramatischen Nacht, in der sich das Kräftegleichgewicht zwischen den Pro- und Anti-Bibi-Lagern ständig verschoben hat, sieht das vorläufige Ergebnis nach der Auszählung aller gestern regulär-abgegebenen Stimmen so aus: 61 Mandate für das Anti-Bibi Lager; 59 Mandate für den Pro-Bibi Block.

Allerdings müssen noch rund 500.000 sogenannte doppelte Umschläge, sprich die Stimmen von Soldaten, Auslandsisraelis, Corona-Kranken, usw ausgezählt werden.

Israel bleibt tief gespalten

Das endgütige Wahlergebnis dürfte erst Freitag Mittag feststehen. Eines zeichnet sich allerdings jetzt schon ab: Israel ist wie ehedem gespalten. Keines der beiden Lager hat von der Bevölkerung ein klares Mandat zur Regierungsbildung erhalten. Und die Möglichkeit einer fünften Wahl scheint stündlich realistischer zu werden.

Wie erwartet

Wie erwartet, ist die Likud unter Führung von Benjamin Netanjahu mit 30 Mandaten die stimmenstärkste Partei. Danach folgt, mit beachtlichem Abstand – sprich 18 Mandaten, Yesh Atid, die Fraktion des gegenwärtigen Oppositionsführers Yair Lapid.

Die traditionellen Likud-Koalitionspartner, Shas und Yahadut HaTorah, beides religiösen Parteien, schneiden mit jeweils 9 und 7 Mandaten ebenfalls relativ erwartungsgemäß ab. Ebenso Israel Beiteinu mit 6 Mandaten.

Völlig überraschend

Für Überraschungen sorgen aber die anderen. Alle voran Benny Gantz, der mit seiner Blau-Weiß-Partei von allen Seiten bereits abgeschrieben wurde, und jetzt mit 8 Mandaten ein echtes Comeback feiert.

Ähnlich ergeht es auch Merav Michaeli, der selbstbewussten Fraktionsführerin der Arbeiterpartei. Ihr gelang es die bereits totgesagte Rabin-Partei mit 7 Mandaten in kürzester Zeit wieder zum Leben zu erwecken.

Die rechtsextreme „Zionut Hadatit“-Fraktion, die in den letzten Tagen von keinem anderen als Benjamin Netanjahu mächtig unterstützt wurde, kann mit 6 Mandaten ebenfalls punkten.

Schließlich schafft es ihre Nemesis, die linke Meretz-Partei mit ihrer ‚Last-Minute’-Hilferuf-Kampagne mit 5 Mandaten doch noch ins Parlament zu kommen.

Und auch Ra’am von Mansour Abbas, der sich von der Vereinten Arabischen Liste getrennt, hat kann mit 4 bis 5 Mandaten einen überraschenden Erfolg verbuchen.

Nicht alle Überraschungen gehen allerdings mit Erfolgen einher. Gideon Saar der mit seiner Partei „Neue Hoffnung “ hoch hinaus wollte, schließt mit 6 Mandaten eher enttäuschend ab.

Ähnlich auch Naftali Bennett, der nur auf sieben Mandate kommt.

Schließlich muss auch die Vereinte Arabische Liste mächtig Haare lassen und rutscht auf 6 Mandate herunter.

Koalitionsmöglichkeiten

Was aber bedeutet all das und wie stehen die Chancen für eine neue Regierungsbildung?

Mit seinen treuen Blockkameraden allein kommt Netanjahu nicht auf die erforderlichen 61 Mandate. Er muss zunächst Bennett überzeugen, mitzumachen. Der wird sich seine 7 Mandate in Gold aufwiegen lassen. Das lässt sich noch andenken, reicht aber auch nicht aus. Wird Netanjahu sich also, wie man munkelt, an Mansour Abbas wenden und eine Art Koalitionsdeal ausarbeiten.

Selbst wenn das gelingt, wie würde eine Regierung aussehen, an der  auf der einen Seite die extrem-rechte Siedlerpartei, Hazionut Hadatit, und auf der anderen Seite die betont nicht-zionistische, arabische Fraktion, Ra’am teilhat?

Wird alternativ der Anti-Bibi Block versuchen, eine Regierung zu bilden? Auch das gelingt nur mit Unterstützung der arabischen Parteien. Immerhin theoretisch möglich. Aber wie sieht eine Regierung aus, die aus einer Ansammlung von Kleinparteien besteht, die sich ideologisch so fundamental unterscheiden?

Wird der rechte ‚Israel Beteinu’ Chef Avigdor Lieberman mit Ayman Odeh von der Vereinten Arabischen Liste arbeiten können? Und wird der ehemalige IDF-Staabschef, Benny Gantz, Schulter an Schulter gehen mit dem Meretz-Fraktionschef, der die ICC-Untersuchung Israels wegen Kriegsverbrechen begrüßt hat?

Sind Wunder wirklich realistisch?

Kurz, keine der angedachten Koalitionsmöglichkeiten scheint sich als Basis für eine stabile, vernünftige, arbeitsfähige Regierung zu eignen. Mit anderen Worten: Die Wahlen haben wieder kein klares Ergebnis erbracht und die Möglichkeit eines fünften Durchgangs, der Ende August stattfinden dürfte, scheint die realistischste Konsequenz.

Warum sollte es auch anderes sein? Schließlich ist seit zwei Jahren klar, dass Israel an einer tiefen Spaltung krankt. Daran ändern auch die ständigen Wahlen nichts, solange sich in den Köpfen der Politiker oder im Wahlsystem nichts ändert.

Tatsächlich erinnert Israel dieser Tage ein wenig an einen Grippe-Kranken, der jede Stunde ungeduldig Fieber misst und hofft, auch ohne die erforderliche Medizin, wie durch ein Wunder, zu genesen. Vielleicht klappt das aber irgendwann ja auch. Schließlich wusste David Ben Gurion schon vor vielen Jahren: „Wer in Israel nicht an Wunder glaubt, ist kein Realist.“

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