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Nein, Israel und die »jüdische Lobby« haben nicht die amerikanische Außenpolitik in der Hand

Israels Premierministerin Golda Meir zu Besuch im Weißen Haus bei US-Präsident Richard Nixon im September 1969. (© imago images/United Archives International)
Israels Premierministerin Golda Meir zu Besuch im Weißen Haus bei US-Präsident Richard Nixon im September 1969. (© imago images/United Archives International)

Walter Russell Mead hat ein Standardwerk über Amerika und sein Verhältnis zu Israel vorgelegt, in dem er mit vielen Mythen aufräumt.

Von Jonathan S. Tobin

Warum interessieren sich die Amerikaner so sehr für den Nahen Osten und den Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern? In den vergangenen Jahren konnte man den Eindruck gewinnen, dass die fixe Idee, es gäbe eine einzigartige und wichtige amerikanische Mission zur Lösung des jahrhundertelangen Konflikts, nachlässt. Der missionarische Eifer, Israel müsse vor sich selbst gerettet werden, oder der Glaube, dass ein weiterer unabhängiger palästinensisch-arabischer Staat (zusätzlich zum von Terroristen regierten Gazastreifen, der nur nominell kein Staat ist) geschaffen werden muss, mag schon weiter verbreitet gewesen sein als heute. Aber die Debatte darüber, ob ein jüdischer Staat eine gute, vielleicht sogar gerechte Idee sei oder nicht, ist ein immer wiederkehrendes Thema der amerikanischen Außenpolitik.

Könnte es sein, dass die meisten Annahmen darüber falsch sind? Beruhten die jahrzehntelangen politischen Debatten und die Initiativen Washingtons in nicht geringem Maße auf falschen Vorstellungen von den geopolitischen Herausforderungen sowie den Motiven und Handlungen der Konfliktparteien? Ist das obsessive Interesse an Israel und den Palästinensern weniger eine politische Frage, als vielmehr das Resultat von Vorurteilen?

Auf der Jagd nach dem Planeten Vulkan

Das sind die Fragen, mit denen sich der Wissenschaftler und Wall Street Journal-Kolumnist Walter Russell Mead in seinem neuen Buch The Arc of a Covenant: The United States, Israel and the Fate of the Jewish People beschäftigt. Es handelt sich dabei nicht um eine weitere Polemik zu diesem Thema, sondern um ein Geschichtsbuch, das die Verbindung zwischen den Vereinigten Staaten und der zionistischen Idee eingehend beleuchtet und als Standwerk zu gelten hat.

Im Mittelpunkt von Meads Arbeit steht die Suche nach einer Antwort auf die Frage, warum so viele davon überzeugt sind, dass die amerikanische Unterstützung für Israel nicht nur ein Fehler ist, sondern auch das Ergebnis einer Manipulation, die die Interessen des jüdischen Staates über die der Vereinigten Staaten stellt.

Um diesen weit verbreiteten Glauben zu erklären, der sowohl auf der linken als auch auf der rechten Seite Anhänger hat, vergleicht er ihn mit einem wissenschaftlichen Disput aus dem 19. Jahrhundert, bei dem viele führende Astronomen davon überzeugt waren, dass ein Planet, den sie Vulkan nannten (nicht zu verwechseln mit dem fiktiven Planeten, der Teil der »Star Trek«-Saga ist), in einer Umlaufbahn zwischen Merkur und der Sonne existiert.

Sie irrten sich; was sie beobachteten, war auf die Wirkung der Anziehungskraft der Sonne auf Merkur zurückzuführen, worüber sie nichts wussten. Dennoch waren sie so überzeugt davon, dass sie Recht hatten, dass sie ihre Schlussfolgerung zur »anerkannten Wissenschaft« erklärten. Diese Gewissheit führte sie dazu, Daten falsch zu interpretieren und machte sie blind für die Tatsache, dass das Universum viel komplexer ist, als sie es verstanden.

Auftritt der »Israel-Lobby«

Für Mead entspricht die Überzeugung, dass die Unterstützung Israels »offensichtlich« nicht im Interesse Amerikas liege, und dass daher die Bereitschaft der verschiedenen Regierungen, dennoch daran festzuhalten, logischerweise nur auf das ruchlose Wirken einer »Israel-Lobby« zurückzuführen sei, genau dem Muster der Proponenten der Planet-Vulkan-Theorie.

Diejenigen, die an diese Verschwörungstheorie glauben, sind tatsächlich der Meinung, dass das, was sie sagen, auf Fakten und nicht auf Vorurteilen beruht. Kritik an ihren falschen Behauptungen deuten sie instinktiv als Beweis dafür, dass sie Recht haben. Wie die wilde Jagd nach dem mythischen Planeten Vulkan ist der Glaube, dass die Juden oder die Israel-Lobby die Kontrolle über die amerikanische Außenpolitik erlangt haben, ein sich selbst verstärkender Irrglaube.

Meads Beitrag ist nicht nur ein meisterhafter Überblick über die Geschichte des letzten Jahrhunderts des amerikanischen Engagements im Nahen Osten. Vielmehr geht es ihm darum, darauf hinzuweisen, dass wir, um die Beziehung zu Israel und die endlosen Versuche, den Konflikt zu »lösen«, richtig zu verstehen, vielleicht einen »weniger auf Juden zentrierten Blick auf die zionistische Geschichte und Amerikas Engagement für das zionistische Projekt« brauchen.

Nein, Israel und die »jüdische Lobby« haben nicht die amerikanische Außenpolitik in der Hand

Damit meint er, dass die Gründung des modernen Staates Israel stark von anderen Nationen beeinflusst wurde. Von Ländern wie Großbritannien, den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion, die sich an Wendepunkten ihrer Geschichte befanden und ihre eigenen Interessen verfolgten. Sie folgten dabei nicht einem zionistischen Drehbuch. Und Mead streicht hervor, dass die amerikanische Politik gegenüber Israel selten, wenn überhaupt, in erster Linie auf die Wünsche der amerikanischen Juden ausgerichtet war.

Das sollte schon allein deshalb offensichtlich sein, weil die Vereinigten Staaten, wie Mead betont, Israel keineswegs konsequent unterstützt haben. Tatsächlich begannen sie erst nach dem erstaunlichen Sieg im Sechstagekrieg von 1967 dem jüdischen Staat wirklich zu helfen, als Israel erstmals als potenziell wichtiger strategischer Verbündeter des Westens im Kalten Krieg wahrgenommen wurde.

Verschiedene Erklärungen

Auch nachdem das Bündnis Wirklichkeit geworden war, tauchten verschiedene Denkschulen auf, die zu erklären versuchten, warum sich Amerika an die Seite Israels stellte – und in der Regel die falschen Antworten auf diese Frage gaben. Sogenannte Realisten glaubten, dass Israel ein Hindernis für bessere Beziehungen zur arabischen Welt sei, und machten es für amerikanische Probleme verantwortlich, die nichts mit Sympathie für den Zionismus zu tun hatten.

Die amerikanische Linke, die Israel in seinen Anfangsjahren unterstützt hatte, wandte sich schließlich gegen das Land, weil auch sie es in einem ideologischen Kontext sah, der von der Realität Israels gleichermaßen losgelöst war. Unterdessen mochten die so genannten Jacksonians Israel genau aus den Gründen, aus denen andere es verabscheuten: für seine hartes Vorgehen gegen den Terrorismus und für sein Bestehen auf nationaler Selbstbestimmung. Für diejenigen, die nach einfachen Erklärungen für komplexe Fragen suchen, sind Israel und die Vorstellung einer verborgenen jüdischen Macht, die Amerika manipuliert, damit es Dinge tut, die seinen Interessen zuwiderlaufen, eine einfache Antwort – auch wenn sie immer falsch ist.

Woher die Unterstützung?

Israel hat eine starke und äußerst loyale nicht-jüdische Wählerschaft unter den evangelikalen Christen. Wahr ist darüber hinaus, dass die beiden israelfreundlichsten Präsidenten – Richard Nixon, der während des Jom-Kippur-Krieges 1973 entscheidende Hilfe zur Rettung Israels leistete, und Donald Trump, der Jerusalem anerkannte und sich dem jüdischen Staat sehr verbunden zeigte – auch die beiden Präsidenten waren, die von der Mehrheit der jüdischen Wähler in den USA am meisten verachtet wurden.

Jahrzehntelang machten sich zahlreiche aufeinander folgende amerikanische Regierungen unter der falschen Prämisse auf die Suche nach einer Beendigung des »Nahostkonflikts«, dass das Erreichen dieses Ziels eine Vielzahl anderer Probleme lösen würde. Der Glaube an den Friedensprozess wurde, vor allem im außenpolitischen Establishment aus altgedienten Diplomaten, Akademikern und Journalisten, die als »Experten« auf diesem Gebiet gelten, zu einem heiligen Gral, der sowohl demokratische als auch republikanische Präsidenten in einen Irrgarten führte, aus dem keiner unbeschadet herausfand.

Mead weist darauf hin, dass der Friedensprozess nicht nur kein heiliger Gral, sondern viel eher ein »MacGuffin« war, ein Begriff, den der Filmemacher Alfred Hitchcock geprägt hat, um ein Handlungselement zu beschreiben, das nur scheinbar die Handlungen der Hauptfigur motiviert und antreibt, in Wirklichkeit aber von sehr geringem Wert ist. Dass der Friedensprozess in der Tat so ein MacGuffin war, zeigte sich an den von Trump eingefädelten Abraham-Abkommen, mit denen einige arabischen Staaten die palästinensische Sache im Wesentlichen zugunsten einer Normalisierung mit einem jüdischen Staat aufgaben, den sie als wertvoller strategischen Verbündeten und Handelspartner sehen. Leider bedeutet das nicht, dass damit der Glaube an die Bedeutung MacGuffin vorüber wäre.

Stets im eigenen Interesse

Mead liefert eine an Erkenntnissen reiche Geschichte der aufeinanderfolgenden Ansätze der amerikanischen Regierungen im Nahen Osten, von den Fehlschlägen der beiden Bushs über Clinton und Obama bis hin zu Trumps überraschenden Teilerfolgen. Es ist wichtig zu verstehen, dass Amerika immer eine Politik verfolgt hat, die von den Überzeugungen seiner eigenen Führungspersonen abhängig war – ob er nun ein bekennender Realist war wie der erste Bush, überzeugt davon, dass sich die Demokratie ausbreiten kann wie der zweite Bush, ein echter Anhänger des Friedensprozesses wie Clinton und Obama, oder ein Jacksonianer wie Trump. Entscheidend war stets, was in deren Augen im besten Interesse Amerikas lag, und nicht etwa in dem Israels.

Trotz der sich wandelnden Positionen der Parteien zu Israel und trotz der immer klarer werdenden verändernden geostrategischen Realität des Nahen Ostens besteht der Glaube an die Existenz einer »verborgenen jüdischen Hand«, die Amerika manipuliert, auf beiden Enden des politischen Spektrums weiter. Er ist ein Beweis dafür, dass der Antisemitismus nach wie vor eine weitaus stärkere Kraft ist, als die meisten derjenigen, die über Amerika und den Nahen Osten nachdenken, zuzugeben bereit sind.

Der Artikel ist auf Englisch vom Jewish News Syndicate veröffentlicht worden. Übersetzung von Florian Markl.

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