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Israel: IDF-Untersuchung zeigt Ausmaß des Versagens

Israelischer Soldat in einem zerstörten Gebäude in Nir Oz nach dem Hamas-Massaker am 7. Oktober 2023. (© imago images/ZUMA Press Wire)
Israelischer Soldat in einem zerstörten Gebäude in Nir Oz nach dem Hamas-Massaker am 7. Oktober 2023. (© imago images/ZUMA Press Wire)

Die israelischen Streitkräfte haben die Ergebnisse einer internen Untersuchung über die massiven eigenen Versäumnisse rund um den 7. Oktober 2023 präsentiert.

Am Donnerstag haben die Israelischen Verteidigungsstreitkräfte (IDF) die Ergebnisse ihrer Untersuchung über die eigenen Versäumnisse im Vorfeld des Angriffs der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 und des Vorgehens am Tag des Massakers veröffentlicht. Wie die Times of Israel berichtet, verdeutlicht die Untersuchung ein »kolossales Versagen« jener, deren Aufgabe im Schutz Israels und der Israelis besteht.

Jahrelang sei nachrichtendienstliches Material falsch interpretiert worden und habe das Militär sich zu sehr auf Mechanismen zur Frühwarnung vor Angriffen verlassen. Darüber hinaus seien die eigenen Truppen den Terroristen der Hamas und den Tausenden an dem Massaker beteiligten »zivilen« Palästinenser zahlenmäßig weit unterlegen gewesen und habe man viel zu lange gebraucht, um zu verstehen, was an diesem Tag überhaupt geschehen sei.

Falsche Erwartungen

Der Untersuchung zufolge seien die IDF davon ausgegangen, dass die Hamas keine ernste Gefahr darstelle und kein Interesse an einer größeren Konfrontation habe. Als Hauptgefahren galten das iranische Regime und die libanesische Hisbollah, nicht aber die Terrorgruppe im Gazastreifen, die umso weniger Anreize für Angriffe auf Israel habe, umso besser die Lebenssituation im Gazastreifen wären. Als Bedrohung hätten allenfalls die Raketen der Hamas gegolten, nicht aber eine regelrechte Invasion von Terroristen nach Israel.

Das Ausmaß des Hunderte Kilometer langen Tunnelsystems der Hamas im Gazastreifen sei stark unterschätzt worden, weil man glaubte, im Lauf der Jahre einen beträchtlichen Teil davon zerstört zu haben. Sollte die Hamas dennoch einen Angriff auf Israel unternehmen, habe man sich durch Vorwarnmechanismen und den Hightech-Grenzzaun rund um das Küstengebiet geschützt gefühlt, obwohl dieser nicht dafür ausgelegt war, eine groß angelegte Invasion zu unterbinden.

Tragischerweise erwiesen sich all diese Annahmen am frühen Morgen des 7. Oktober 2023 als falsch – und Israel sah sich einem Angriff ausgesetzt, den es nicht erwartet hatte und auf den es deshalb nicht vorbereitet gewesen war.

Übersehene Hinweise

Die Untersuchung der Streitkräfte förderte zutage, dass der Militärgeheimdienst über Jahre hinweg Hinweise auf einen geplanten Großangriff der Hamas erhalten habe, diese Pläne aber als »unrealistisch und undurchführbar« abgetan hätte.

Die ersten Planungen für genau solch einen Großangriff wären schon auf das Jahr 2018 zurückgegangen; im April 2022 habe sich die Hamas schließlich dazu entschieden. Der Großteil der dafür notwendigen Vorbereitungen sei im Herbst 2022 abgeschlossen gewesen; im Mai 2023 sei der Termin für den Angriff festgesetzt worden. Zuvor sei schon zwei Mal (im September 2022 und im Mai 2023) ernsthaft über die Ausführung der Pläne debattiert, diese aber aus nicht bekannten Gründen verschoben worden.

Die Kluft zwischen den Ansichten des Geheimdienstes über die Hamas und deren tatsächliche Vorhaben sei im Laufe der Jahre immer größer geworden, was zu einem weitreichenden Versagen geführt habe, »die Strategie, Ziele, Fähigkeiten und Einsatzpläne der Hamas richtig zu identifizieren und zu verstehen«. An Hinweisen habe es nicht gemangelt, aber da man »Überraschungen« durch die Terrorgruppe ausgeschlossen habe, seien durchaus vorhandene Warnungen nicht ernst genommen worden. Zudem habe man sich zu sehr auf technische Überwachungsmaßnahmen verlassen und die Nutzung von Informanten vernachlässigt.

Am Tag vor dem Massaker habe es fünf Anzeichen für ungewöhnliche Aktivitäten der Hamas gegeben. Die Times of Israel fasst zusammen: »Jedes der Anzeichen für sich genommen deutete nicht auf etwas Bedeutendes hin und einige waren in der Vergangenheit bereits mehrmals aufgetreten. Die Häufung der Anzeichen war jedoch ungewöhnlich.« Dennoch wurden sie nicht als Hinweise auf einen bevorstehenden Angriff gedeutet.

Mehrere Stunden lang besiegt

Schließlich kommt die Untersuchung zu dem Ergebnis, dass die für die Region zuständige Gaza-Division der IDF am Morgen des 7. Oktobers 2023 »mehrere Stunden lang besiegt« gewesen ist, was zu diesem Zeitpunkt in den höheren Ebenen des Militärs niemand realisiert habe. Deshalb habe die Militärführung das Ausmaß der Hamas-Invasion nicht verstanden und sich kein zutreffendes Bild der Lage machen können. Dieser Umstand verzögerte und behinderte das Ergreifen der nötigen Maßnahmen, um die Tausenden vergewaltigend und mordend durch israelische Dörfer ziehenden Terroristen ausschalten zu können – auf deren Angriff man ohnehin nicht vorbereitet gewesen war.

Wie die Times of Israel betont, sind dies die Ergebnisse einer IDF-internen Untersuchung, die darauf abzielt, operative Schlussfolgerungen ziehen zu können. Da die Ebene der politischen Führung des Landes dabei völlig ausgespart bleibt, handelt es sich also keineswegs um die umfassende Untersuchung des 7. Oktober 2023, die von einer Mehrheit der israelischen Bevölkerung zwar schon lange gefordert, von der Regierung bislang aber genauso lange verhindert wurde.

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