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Israel am Scheideweg in Gaza: Abkommen oder neue militärische Phase?

Israelische Panzer bei einem Einsatz in Dschabalija im nördlichen Gazastreifen
Israelische Panzer bei einem Einsatz in Dschabalija im nördlichen Gazastreifen (Quelle: JNS)

Israel stimmt seine nächsten Schritte im Gazastreifen eng mit den Vereinigten Staaten ab, berichten israelische Beobachter.

Yaakov Lappin

Nachdem die direkte militärische Konfrontation mit dem Iran vorerst beendet ist, richtet Israel seinen strategischen Fokus wieder auf den immer noch ungelösten Krieg im Gazastreifen, wo das israelische Sicherheitskabinett vor einem historischen Scheideweg steht. Jüngsten Berichten zufolge haben die Israelischen Verteidigungsstreitkräfte (IDF) dem Sicherheitskabinett zwei Optionen vorgelegt: Entweder ein umfassendes Geiselabkommen, das wahrscheinlich ein Ende des Kriegs und das teilweise Überleben der Hamas bedeuten würde, oder eine neue, äußerst aggressive Phase der Bodenoffensive, um die Terrororganisation vollständig zu zerschlagen und den gesamten Gazastreifen zu übernehmen.

Dieser kritische Entscheidungspunkt wird nicht nur von der dortigen taktischen Lage geprägt, sondern auch von einer neu gestärkten strategischen Allianz zwischen Jerusalem und Washington. Die erfolgreiche gemeinsame Verteidigung gegen den Iran hat die Partnerschaft zwischen den USA und Israel gefestigt und, wie der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu am 29. Juni bei einem Besuch des Sicherheitsdienstes Shin Bet sagte, »nach diesem Sieg viele Möglichkeiten eröffnet, zuallererst die Rettung der Geiseln«.

Änderung der Strategie?

Der ehemalige hochrangige Shin-Bet-Angehörige Amit Assa mit mehr als dreißig Jahren Berufserfahrung erklärte, davon auszugehen, dass alle Maßnahmen Israels derzeit in Abstimmung mit der Regierung von US-Präsident Donald Trump durchgeführt werden: »Wenn Premierminister Netanjahu vor das Sicherheitskabinett tritt, hat er bereits ein Programm zum Vorgehen im Gazastreifen, das er mit Trump ausgearbeitet hat. Trump verliert die Geduld mit den Ereignissen in Gaza, die ihm im Kontext des gesamten Nahen Ostens wie ein Knochen im Hals stecken, vor allem im Zusammenhang mit den Abraham-Abkommen, die er mit den Saudis, den Emiraten und sogar mit den Syrern vorantreiben will.«

Assa argumentierte, dass diese Koordinierung wahrscheinlich zu einer neuen, aggressiven militärischen Phase führen werde, die auf drei von Trump formulierte Ziele abziele: Den Gazastreifen für Terroristen »zur Hölle« zu machen, die freiwillige Auswanderung der Zivilbevölkerung zu fördern und alle israelischen Geiseln zurückzubringen. Dies könnte auch eine Änderung der israelischen Strategie bedeuten, weg von umfassenden Verhandlungen mit der Hamas im Ausland hin zur Schaffung lokal begrenzter Geiselabkommen mit Terroristen unmittelbar vor Ort, die immer noch etwa fünfzig Israelis festhalten, von denen vermutlich noch zwanzig am Leben sind.

Es werde wahrscheinlich eine intensive Militäraktion geben, erklärte Assa. »Das Ziel wird sein, die Zivilbevölkerung so weit wie möglich aus den Einsatzgebieten zu evakuieren; bestimmte Gebiete, in denen sich die Geiseln befinden, abzuriegeln und nach dieser Absperrung Verhandlungen aufzunehmen. Ich nenne das eine situative Verhandlung zur Befreiung von Geiseln. Es wird sich nicht mehr um ein allgemeines Geiselabkommen handeln.«

Assa kritisierte die Veröffentlichung von Äußerungen des IDF-Stabschefs Eyal Zamir, der dem Kabinett Berichten zufolge mitgeteilt habe, das Militär stünde kurz vor der Verwirklichung seiner Ziele. Er sagte, so etwas sei »ein Signal an die Hamas, dass das Militär aufgibt, warum sollte die Hamas also noch Zugeständnisse machen? Die Hamas würde dann geduldig abwarten, da die Israelis ohnehin einen Waffenstillstand wollen.«

Assa rügte auch die Militärstaatsanwaltschaft, die entschieden hatte, dass die IDF Lastwagen in den Norden des Gazastreifens einfahren lassen muss, damit die dort verbliebenen Zivilisten Hilfe erhalten, und bezeichnete diese Entscheidung als Fehler. Im Norden fehlen derzeit die von Israel unterstützten und von den IDF gesicherten Hilfsgüterverteilungszentren der Gaza Humanitarian Foundation. »Aus militärischer Sicht ist dies ein Fehler, denn wenn wir diesen Bereich im Voraus als Militärzone ausgewiesen und die Bevölkerung zur Evakuierung aufgefordert haben und dann wird [wegen der Hilfslieferung] nicht evakuiert, wird das zu einem Problem.«

Israels Dilemma

Medienberichten über eine kürzlich abgehaltene Sitzung des Sicherheitskabinetts zufolge warnte der IDF-Chef die Minister, dass die Fortsetzung der groß angelegten Militäraktion das Leben der verbleibenden Geiseln direkt gefährde. Der ehemalige Nationale Sicherheitsberater Israels und jetzige Leiter des Misgav-Instituts für nationale Sicherheit und zionistische Strategie Meir Ben Shabbat umriss das zentrale Dilemma, vor dem das Sicherheitskabinett diesbezüglich stehe. Die Wahl, so argumentierte er, sei nicht einfach »Freilassung der Geiseln oder Beendigung des Kriegs«, sondern vielmehr »Freilassung der Geiseln oder Erhalt der Hamas«. Dies sei die Konsequenz eines Gesamtabkommens zur Freilassung aller Geiseln gemäß den Bedingungen, welche die Hamas fordert.

Zu diesen Bedingungen gehören laut Ben Shabbat die vollständige Einstellung der Kämpfe mit internationalen Garantien, der Rückzug auf die Grenzen vom 6. Oktober 2023, der Wiederaufbau des Gazastreifens und die Freilassung palästinensischer Sicherheitsgefangener. »Während die politische und militärische Führung Israels hinsichtlich der Manöver an einem Scheideweg steht, ist es von großer Bedeutung, die tatsächlichen Zahlen zur Lage des Feindes zu kennen und seine Fähigkeit zur Erholung einzuschätzen.«

Der Schlag, den die Hamas von Israel erlitten habe, sei zwar schwer, aber nicht tödlich und nicht irreversibel gewesen. »Die Fähigkeit der Hamas, Israel unmittelbar durch Raketenbeschuss oder einen Bodenangriff wie am 7. Oktober ernsthaft zu bedrohen, ist wahrscheinlich zunichte gemacht worden. Sie hat viele ihrer Kämpfer, ihre Kampfmittel und Produktionskapazitäten verloren, aber man sollte daraus keine Rückschlüsse auf ihre Regenerationsfähigkeit ziehen«, warnte Ben Shabbat.

Die Hamas sei nach wie vor die Hauptmacht im Gazastreifen. »Ihre Kämpfer und Anführer operieren hauptsächlich in Tunneln, gehen wenige Risiken ein, agieren bei sich bietenden Gelegenheiten guerillamäßig und warten auf den Moment, in dem sie sicher an die Oberfläche kommen können.« Die verbleibenden Ressourcen der Hamas, ihre zumindest teilweise Kontrolle über die zivile Hilfe und die breite Unterstützung in der Bevölkerung ermöglichten es ihr, ihre Ressorucen wieder aufzubauen, würden ihre Forderungen nach einer vollständigen Beendigung des Kriegs und dem Rückzug der IDF erfüllt.

Auch sei die Führung der Hamas im Ausland weiterhin funktionsfähig und setze ihre politischen und propagandistischen Aktivitäten fort, rekrutiere Ressourcen und plane für die Zeit nach dem Krieg, gibt Ben Shabbat zu bedenken, der zu dem Schluss kam, dass die von der israelischen Regierung festgelegten Kriegsziele zwar richtig sind, aber auch vollständig erreicht werden müssen.

Yaakov Lappin ist Korrespondent und Analyst für militärische Angelegenheiten in Israel, hausinterner Analyst am MirYam-Institut, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Alma-Forschungs- und Bildungszentrum und am Begin-Sadat-Zentrum für strategische Studien an der Bar-Ilan-Universität sowie Autor von Virtual Caliphate – Exposing the Islamist State on the Internet. (Der Text erschien auf Englisch zuerst beim Jewish News Syndicate. Übersetzung von Alexander Gruber.)

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