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Wird der Disput über die Gaza-Strategie überbewertet?

Wie unterschiedlich sind die Gaza-Pläne von Generalstabschef Eyal Zamir und Premier Benjamin Netanjahu? (© imago images/UPI Photo)
Wie unterschiedlich sind die Gaza-Pläne von Generalstabschef Eyal Zamir und Premier Benjamin Netanjahu? (© imago images/UPI Photo)

Die Differenzen zwischen Israels Premier und Armeechef über die weitere Vorgangsweise im Gazastreifen könnten kleiner sein als vielfach angenommen.

Yaakov Lappin

Das israelische Sicherheitskabinett trat am Donnerstagabend zu einer entscheidenden Sitzung zusammen, um die nächste Phase des Kriegs im Gazastreifen zu planen. Währenddessen tobte zwischen dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu und der Militärführung eine hitzige öffentliche Debatte.

Das Sicherheitskabinett beschloss mit »entscheidender Mehrheit«, Netanjahus Plan für die Niederlage der Hamas einschließlich der Kontrolle über Gaza-Stadt zu billigen, wie das Büro des Ministerpräsidenten am Freitagmorgen mitteilte. Während Netanjahu auf eine vollständige militärische Besetzung des gesamten Gazastreifens drängte, warnte der Stabschef der israelischen Verteidigungsstreitkräfte (IDF), Generalleutnant Eyal Zamir, Berichten zufolge, dass ein solcher Schritt eine »Falle« sei, die das Leben der verbleibenden Geiseln gefährden würde.

Der Streit dreht sich darum, wie die Bodenoperationen der IDF in jenen etwa 25 Prozent des Gazastreifens ausgedehnt werden sollen, in denen die IDF bisher noch nicht in großem Umfang operiert haben – vor allem in dicht besiedelten Gebieten von Gaza-Stadt und den zentralen Flüchtlingslagern –, da dort sowohl viele Zivilisten leben als auch die verbleibenden zwanzig lebenden israelischen Geiseln vermutlich festgehalten werden.

Öffentlicher Disput

Am 5. August berichteten Medien über ein angespanntes Treffen zwischen Netanjahu und Zamir während einer dreistündigen Sicherheitsberatung, bei der es um die nächsten Schritte im Gazastreifen ging. Hochrangige politische Quellen haben in den letzten Tagen erklärt, Zamir solle zurücktreten, wenn ihm die Entscheidung nicht passt. Ehemalige israelische Verteidigungsquellen sagten jedoch gegenüber Jewish News Syndicate (JNS), dass die öffentliche Debatte zwischen einer schnellen vollständigen Besetzung und einem methodischeren Vorrücken eher politisches Theater als eine substanzielle operative Auseinandersetzung sei.

Zwei ehemalige Verteidigungsbeamte argumentierten jeweils, dass die operative Realität vor Ort eine langsame, systematische und nachrichtendienstlich gestützte Kampagne erforderlich mache und der wahre Schlüssel zum Sieg Israels in der strategischen Trennung der Bevölkerung von der Herrschaft der Hamas liege.

Kein großer Unterschied

Hanan Geffen, ehemaliger Kommandeur der Eliteeinheit 8200 des israelischen Militärgeheimdienstes, erklärte gegenüber JNS, dass es in der Praxis kaum Unterschiede zwischen den Vorstellungen des Premierministers und jenen des Generalstabschefs für die nächste Phase des Konflikts gebe.

»Ich werde Sie überraschen und sagen, dass es meiner Meinung nach keinen wirklichen Unterschied zwischen der Version des Premierministers, der von einer vollständigen Besetzung spricht, und der Version des Generalstabschefs, der von einem methodischen Vorrücken spricht, gibt«, sagte Geffen. »Es gibt einen Unterschied, wenn der Premierminister dies in einem politischen Kontext präsentiert – ›Ich will den Gazastreifen erobern‹. Der Generalstabschef sagt: ›Wir wollen die Hamas eliminieren.‹ In der Praxis, also bei der Umsetzung, wird es meiner Meinung nach sehr schwierig sein, zwischen beiden zu unterscheiden, denn entscheidend für die Umsetzung wird die Erfahrung sein, die wir in den letzten zwei Jahren im Gazastreifen gesammelt haben.«

Geffen erklärte, die Strategie der Hamas bestehe darin, israelische Bodentruppen in vorbereitete Todeszonen in dicht besiedelten Stadtgebieten zu locken, wo kleine Terrorzellen, die aus Tunneln auftauchen, den manövrierenden Streitkräften schwere Verluste zufügen können: »Die Erfahrungen der letzten zwei Jahre zeigen, dass dies genau das Spiel der Hamas ist; wir tappen genau in die Fallen der Hamas, anstatt unsere eigenen Stärken auszunutzen.« Der Vorteil Israels liege in seiner »Überlegenheit in den Bereichen Geheimdienst, Luftwaffe und Präzisionswaffen«.

»Die Hamas will, dass wir mit Infanterie und Panzern in diese Gebiete vordringen, damit wir in ihre Feuerzonen geraten, die sie vorbereitet und geplant hat. Wir haben das auf die harte Tour gelernt, denn diese Gebiete mussten wir zu Beginn des Kriegs betreten«, sagte Geffen. »Auf der anderen Seite liegt unser Vorteil in der Fähigkeit, präzise Informationen darüber zu sammeln, wer sich wo befindet.«

Daher geht Geffen davon aus, dass die IDF angewiesen werden, methodisch vorzugehen, um Risiken zu minimieren und ihre Stärken auszuspielen. Ein langsameres Vorrücken sei auch förderlicher für die Beschaffung von Informationen über die Geiseln, fügte er hinzu und verwies auf jüngste Berichte über Flüge britischer Geheimdienste über den Gazastreifen als Beispiel für die hochentwickelten multinationalen Bemühungen, sie zu lokalisieren.

»Wir haben jederzeit Mittel in der Luft, nicht nur Flugzeuge«, erklärte er. »Wir wollen die Hamas jagen und nicht von ihr gejagt werden. Wenn der Premierminister sagt, der Gazasteifen müsse erobert werden, dann will er israelische Panzer überall sehen. Der Generalstabschef sagt ›in Ordnung‹, aber nicht auf eine Weise, die Schaden anrichtet, und dass wir unsere relativen Vorteile in den Bereichen Geheimdienst, Luftwaffe und präzise Feuerkraft nutzen sollen.«

Konzentration auf Zivilbevölkerung

Amit Yagur, ehemaliger stellvertretender Leiter der Abteilung für Palästina in der Planungsabteilung der IDF und ehemaliger Marine-Geheimdienstoffizier, argumentierte, Israel konzentriere sich zu lange fast ausschließlich auf militärische Maßnahmen und habe dabei die Zivilbevölkerung vernachlässigt, die er als den »weichen Unterbauch« der Hamas bezeichnet.

»Während 90 Prozent der Zeit und mit 90 Prozent der Anstrengungen haben wir uns auf den militärischen Aspekt konzentriert – auf Schüsse, Druck und Dinge dieser Art«, so Yagur gegenüber JNS. »Ich glaube, endlich ist die Erkenntnis durchgedrungen, dass militärische Anstrengungen allein nicht zum Ziel führen werden. Wenn wir sowohl die Niederlage der Hamas als auch die Freilassung der Geiseln erreichen wollen, ist klar, dass ihr weicher Unterbauch die Behandlung der Zivilbevölkerung ist.«

Laut Yagur liegt der entscheidende und unumkehrbare Weg, die Hamas zu besiegen, darin, die Zivilbevölkerung aus ihrer Herrschaft zu befreien: »Der militärische Aspekt ist reversibel; Land, das wir erobert haben, können wir wieder räumen. In dem Moment, in dem eine Bevölkerung vor ihren Augen jemanden sieht, der nun der Souverän ist, der Lebensmittel verteilt, der sich um sie kümmert, erlaubt sie sich automatisch, ihre Meinung zu sagen, Kritik zu üben. Dann ist die Legitimität der Hamas als Herrscher im Gazastreifen nicht mehr gegeben. Das ist der Effekt, der ihre kognitive Niederlage herbeiführen wird.«

Yagur skizzierte eine dreigliedrige Strategie, die sich auf diese zivilen Bemühungen konzentriert. Erstens soll militärischer Druck ausgeübt werden, um die verbleibende Bevölkerung aus den von der Hamas kontrollierten Gebieten wie Gaza-Stadt und den zentralen Lagern in eine humanitäre Zone zu bringen, während der Gazastreifen mit so viel Hilfe überschwemmt wird, dass das Monopol der Hamas gebrochen wird.

Zweitens sollte eine formelle »Exiloption« für Hamas-Kämpfer geschaffen werden, nach dem Vorbild der Evakuierung des PLO-Führers Yassir Arafat aus Beirut im Jahr 1982, um ein Dilemma und interne Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Hamas zu schaffen. Drittens sollte ein Programm zur »freiwilligen Migration« für Zivilisten umgesetzt werden mit dem Argument, dass selbst eine kleine Zahl von Bewohnern des Gazastreifens, die das Gebiet verlassen, einen enormen kognitiven Wandel bewirken würde.

Hamas vor dem Zusammenbruch?

Entgegen der in einigen Medien vorherrschenden Meinung schätzt Yagur die Hamas nicht als stark ein, sondern sieht sie vielmehr am Rand des Zusammenbruchs. Als Beweis für ihre Verzweiflung verweist er auf den jüngsten Einsatz ihrer sogenannten Weltuntergangswaffen: »Die Hamas hat ihre Weltuntergangswaffen eingesetzt. Diese beiden Dinge – die Hungerkampagne und die Behauptung, den Kontakt zu den Geiselnehmern verloren zu haben –, sind ihre Weltuntergangswaffen. Die Tatsache, dass sie diese eingesetzt hat, beweist mir nicht, wie stark sie ist, sondern, wie schwach die Hamas im Gazastreifen ist und wie nahe sie am Zusammenbruch steht. Diejenigen, die sie am Leben erhalten, ist die Hamas im Ausland, die mit Unterstützung der Türkei und Katars derzeit noch rigider ist als die Hamas im Gazastreifen.«

Yagur verwies auf internationale Medienberichte, wonach die von den USA und Israel unterstützte Gaza Humanitarian Foundation ihre Verteilungsstellen von vier auf sechzehn erhöhen werde. »Das bedeutet, dass die USA den Gazastreifen mit humanitärer Hilfe überschwemmen werden, damit diese nicht nur in den Händen der Hamas bleibt. Es soll so viel Hilfe geben, dass jeder etwas davon bekommt. Dazu müssten wir auch die Bevölkerung aus den Händen der Hamas befreien, damit die Zivilbevölkerung sich langsam von ihrer Herrschaft lösen kann«, fügte er hinzu. »Ich glaube nicht, dass es lange dauern wird, bis die Hamas gebrochen ist.«

(Der Bericht ist auf Englisch zuerst vom Jewish News Syndicate veröffentlicht worden. Übersetzung von Florian Markl.)

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