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Israel: Bennetts Schonzeit geht zu Ende

In seiner Rede vor der UN-Generalversammlung strich Premier Bennett die Vielfalt innerhalb seiner Regierung hervor. (© imago images/Pacific Press Agency)
In seiner Rede vor der UN-Generalversammlung strich Premier Bennett die Vielfalt innerhalb seiner Regierung hervor. (© imago images/Pacific Press Agency)

Die ersten paar Monate liefen für die Regierung von Premier Bennett einigermaßen ruhig. Das dürfte sich bald ändern.

Seit der Angelobung der Regierung Bennet am 13. Juni 2021 fragen sich viele Beobachter, wie lange die israelische Regierung mit Koalitionspartnern von weit rechts bis extrem links Bestand haben würde. Bennet selbst sprach in seiner Rede vor der UNO-Generalversammlung diesen Umstand an:

„Vor zirka 100 Tagen bildeten meine Partner und ich eine neue Regierung in Israel – die bei Weitem vielfältigste Regierung unserer Geschichte. Wir sprechen respektvoll miteinander, wir handeln mit Anstand und wir überbringen eine Botschaft: Alles kann anders sein.

Es ist in Ordnung, anderer Meinung zu sein, es ist in Ordnung – ja sogar wichtig –, dass verschiedene Menschen unterschiedlich denken, es ist sogar in Ordnung, zu streiten. Denn eine gesunde Debatte ist ein Grundprinzip der jüdischen Tradition und eines der Geheimnisse für den Erfolg unserer Start-up-Nation.“

Der Start war vielversprechend. Der Regierung gelang es, die vierte. Covidwelle überzeugend durch frühzeitigen Beginn von Auffrischungsimpfungen abzuwehren, gegen den Widerstand orthodoxer Parteien eine Kommission zur Untersuchung des Meron-Desasters zu schaffen und das Kaschrutwesen, die einträgliche Erteilung von Koscherzertifikaten, zu reformieren. Außenpolitisch konnte Bennet hinsichtlich verbesserter Beziehungen zu den Golfstaaten und bei seinen Besuchen bei Biden und Putin auf den Erfolgen Netanjahus aufbauen.

Trotz alledem liegt Bennets Partei, die mit sechs von 120 Knesset-Abgeordneten den Ministerpräsidenten stellen konnte, in Meinungsumfragen hinter dem Ergebnis der letzten Parlamentswahl zurück.

Ungewisse Zukunft

Und jetzt stehen große Herausforderungen vor der Tür. Bis 14.November muss das Budget beschlossen werden. Falls nicht, muss in 90 Tagen erneut gewählt werden. Besonders für die arabische Raam-Partei öffnen sich hier Möglichkeiten, eigene Anliegen mit Nachdruck voranzutreiben.

Letze Woche gelang es erstmals der Opposition, bestehend aus dem Likud, den orthodoxen Parteien und der arabischen Vereinten Liste, der Regierung mit 47 zu 46 Stimmen eine Niederlage zuzufügen, wenn auch nur in einer recht nebensächlichen Frage.

Das größte Problem stellt jedoch ein Gesetzesvorschlag des rechtsgerichteten Justizministers Gideon Saar dar, einem ehemaligen Freund und jetzt dafür umso erbitterten persönlichen Feind Netanjahus, der den Likud verlassen mit einer eigenen Partei in die Knesset eingezogen ist. Dem Vorschlag zufolge soll jemand, gegen den eine gerichtliche Untersuchung läuft, die mit einer Verurteilung zu mehr als drei Jahren Gefängnis zu Ende gehen könnte, einer Regierung nicht als Ministerpräsident vorstehen können.

Das Gesetzesvorhaben richtet sich offensichtlich gegen Ex-Premier Netanjahu. Innenministerin Ayelet Shaked von der Partei Bennets lehnt den Vorschlag ab, den sie als unstatthafte Anlassgesetzgebung gegen eine Person betrachtet und der aus ihrer Sicht einen Verstoß gegen die Unschuldsvermutung darstellt. Obwohl die Entscheidung über das Vorhaben zeitlich nach der Budgetabstimmung vorgesehen ist, bringt es beträchtliche Unruhe in die Koalition.

Wohnungsbau in Zone C

Einen weiteren Streitpunkt stellt ein illegaler Außenposten der Siedlung Evyatar dar, die am Ort eines palästinensischen Terrorabschlages errichtet wurde. Noch von der Regierung Netanyahu wurden mit den Siedlern vereinbart, dass sie den Außenposten wieder verlassen müssten, dieser aber bestehen bleiben würde, bis über seine Zukunft entschieden würde. Der zuständige Minister für regionale Entwicklung von der linken Meretz-Partei kündigte jedoch bereits an, eine Legalisierung des Außenpostens unter allen Umständen verhindern zu wollen.

Dazu kommt noch, dass dieser Tage die Ausschreibungen zur Errichtung von rund 1.300 neuen Wohneinheiten jenseits der sogenannten Grünen Linie in der Zone C bekanntgegeben wurden In der kommenden Woche könnten neben 1.300 palästinensischen Bauten auch noch über 3.000 zusätzliche israelische Wohneinheiten in der Zone C bewillig werden. Ein Novum unter der neuen Regierung, das nicht nur intern für gehörige Spannungen sorgt, sondern auch international das Thema Siedlungsbau wieder aufs Parkett geholt hat.

Spannungen lösten auch sehr unterschiedliche Reden von Regierungsmitgliedern anlässlich des Gedenkens an die Ermordung von Premier Jitzchak Rabin vor 26 Jahren aus. Während Premier Bennett in einer Ansprache nachdrücklich das Gemeinsame betonte und vor den Gefahren einer Spaltung der israelischen Gesellschaft warnte, sorgte Vizepremier und Außenminister Jair Lapid für Aufregung, der Ex-Premier Netanjahu scharf dafür angriff, den „ideologischen Erben“ von Rabins Mörder den Einzug in die Knesset ermöglicht zu haben. Er bezog sich dabei auf einen Deal, den Netanjahu eingefädelt und der die religiös-zionistische Rechtsaußenpartei von Bezalel Smotrich ins Parlament gebracht hatte.

Reicht der Klebstoff?

Wie groß die Differenzen innerhalb der Regierung sind, zeigte sich schließlich anhand des von Verteidigungsminister Benny Gantz verfügten Verbots von sechs palästinensischen NGOs wegen deren Verbindungen zur Terrororganisation PFLP. Eine Entscheidung, die nicht nur international auf Kritik stößt, sondern von den arabischen und linken Koalitionspartnern in der Regierung abgelehnt wird.

Nach einem relativ ruhigen Start scheint jetzt die Zeit zu kommen, in der sich zeigen wird müssen, ob die gemeinsame Gegnerschaft zu Benjamin Netanjahu wirklich genug Klebstoff darstellen kann, um die zahlreichen Bruchlinien innerhalb der israelischen Regierungskoalition dauerhaft zu überdecken.

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