„Der Islamismus war stets eine Gegenideologie: Er wurde einst von den arabischen Monarchien am Golf gestärkt, gegen die arabischen Nationalisten, die progressiv, oft sogar sozialistisch ausgerichtet waren. Derzeit wetteifert Saudi-Arabien mit Iran um die Vormachtstellung und die Definitionshoheit über den Islam. Zwei Systeme, die jeweils eine spezifische Form des Islamismus vertreten. Westliche Länder haben ihn einst im Kampf gegen die Sowjets in Afghanistan selbst genutzt. Damit konnte sich der Islamismus die Aura einer revolutionären, provokanten Trotzideologie verleihen, die Grenzen verwischt und Solidarität unter den Muslimen vorgaukelt. …
Sicherheitspolitische Maßnahmen und Präventionsprojekte werden verpuffen, wenn man diese globale Herausforderung nicht an den Wurzeln angreift. Will man islamistischen Terrorismus effektiv bekämpfen, müssen die Hassnarrative und Überlegenheitsfantasien zerlegt werden. Das ist deshalb so schwer, weil die Mehrheit dieser Narrative aus der Mitte der islamischen Orthodoxie stammt. So beziehen sich heute die meisten Ideologen des sogenannten ‚Islamischen Staates‘ auf den religiösen Ausführungen des mittelalterlichen Gelehrten Ibn Taymiyya. Letzterer wird wiederum an den zentralen sunnitischen Fakultäten als wichtigster Gelehrter des Islam angesehen. Die Dschihadisten können deshalb oft auf ein solidarisierendes, verständnisvolles Umfeld hoffen.“
(Der Politik- und Islamwissenschaftler Marwan Abou Taam in der deutschen Wochenzeitschrift Die Zeit: „Terrorismus: Islamistische Hassnarrative zerlegen“)