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Islamisten und Mehrheiten in Ägypten

Von Florian Markl

In seinem Buch „After the Arab Spring. How Islamists Hijacked the Middle East Revolts“ bezeichnet der Journalist John R. Bradley es als einen gravierenden Fehler zu glauben, dass Demokratie im Nahen Osten im Gegensatz zum Islamismus stünde: „In the Arab world, when the gift of democracy is unwrapped, it is the Islamists who spring out of the box.“

Viele Beobachter hätten darauf hingewiesen, dass eine Mehrheit der Muslime die ideologischen Vorstellungen der Islamisten nicht unterstütze, doch werde damit der entscheidende Punkt verfehlt: Weil die Wahlbeteiligungen in arabischen Ländern so niedrig seien, müssten Islamisten gar nicht die Unterstützung einer Mehrheit der Menschen haben: „The Islamists, to put it simply, do not need a majority support from the total population to triumph in elections. They need a majority within the minority who vote.“ Und das sei einfach, weil die Islamisten am besten organisiert und ihre Wähler deshalb leichter mobilisierbar wären als Anhänger anderer politischer Strömungen.

Sehen wir uns an, was dies auf den Fall Ägypten umgelegt bedeutet, genauer: auf die zwei Runden der ägyptischen Präsidentschaftswahl am 23./24. Mai sowie am 16./17. Juni 2012.

Die Gesamtbevölkerung Ägyptens betrug laut Wikipedia im Juli 2010 offiziell 80.741.869 Menschen. Für die Präsidentschaftswahl waren 50.996.746 Wähler registriert, das sind 63,4 Prozent der Gesamtbevölkerung. In der ersten Runde der Wahl im Mai 2012 wurden 23.672.236 Stimmen abgegeben. Das heißt: 46.42 Prozent der registrierten Wähler nahmen an der Wahl Teil. Auf die Gesamtbevölkerung bezogen waren das nur 29,4 Prozent. Mohammed Mursi, der Kandidat der Muslimbrüder, konnte im ersten Wahlgang 5.764.952 Stimmen gewinnen. 24,78 Prozent der abgegebenen Stimmen reichten ihm also, um in die Stichwahl im Juni zu kommen – 7,2 Prozent gemessen an der Gesamtbevölkerung.

In der Stichwahl wurden 26.420.763 Stimmen abgegeben, 51 Prozent gemessen an den registrierten Wählern, 32,8 Prozent gemessen an der Gesamtbevölkerung. Mursi konnte sich am Ende über 13.230.131 Stimmen freuen. Das waren 51,73 Prozent der abgegeben Stimmen – aber nur 16,4 Prozent gemessen an der Gesamtbevölkerung.

Das Ergebnis lautet also: Mohammed Mursi kam mit der Unterstützung von lediglich rund 7 Prozent der Ägypter in die Stichwahl ums Präsidentenamt und konnte sich gegen einen als Vertreter des alten Regimes geltenden Konkurrenten mit den Stimmen von rund 16 Prozent der Ägypter durchsetzen. Bradleys Theorie wird dadurch klar bestätigt: Auf dem Weg zur Macht mussten die Muslimbrüder nur eine Mehrheit der Minderheit gewinnen – es reichte die Unterstützung von rund einem Sechstel der ägyptischen Bevölkerung.

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