Islamistischer Terror: Ein Deal, der so nicht zu machen ist

Eine Antwort auf den Artikel „Was tun gegen den islamistischen Terror?“ von Christian Ortner

Frank Brückner

Christian Ortners Gedankengang ist systematisch richtig, aber sein Ergebnis ist unbefriedigend. Es wäre vielleicht zufriedenstellend, wenn die angebotene Lösung des Dilemmas eine hohe Chance hätte, angenommen zu werden. Die Lösung, eine Kombination aus Null-Toleranz und Toleranz, erfüllt Merkmale von Schizophrenie. Es ist vielleicht nicht unmöglich, sie zu verwirklichen, aber wie wahrscheinlich ist es, dass man es ernsthaft versucht? Man wird es deswegen nicht ernsthaft versuchen, weil Null-Toleranz die Toleranz eigentlich ausschließt, und umgekehrt.

Es ist nicht richtig, dass die Islamisten die Toleranz als Schwäche interpretieren und deswegen die Frequenz ihrer Anschläge erhöhen würden. Vielmehr wollen sie ihre Angriffe immer weiter intensivieren, bis der gewünschte Effekt, die Entfremdung der europäischen Muslime von Europa eintritt, und zwar aus rein taktischem Kalkül.

Dieser Taktik kann Europa im ersten Moment tatsächlich nichts entgegensetzen. Sie funktioniert im Kern über eine Täter-Opfer-Verkehrung. Den europäischen Muslimen sollen die Anschläge als Reaktion, quasi als Selbstverteidigung des angegriffenen Islam verständlich werden, damit sie mit den Islamisten offen paktieren.

Würden sie sehen, dass in Wahrheit der Islam angreift, ginge die Strategie nicht auf. Das können sie aber nur sehen, wenn eine gewisse Reflexionsfähigkeit bei ihnen entsteht. Zu deren Herausbildung ist äußerer Druck, eine objektive Grenze in der Realität nötig, die Zweifel an der intakten Selbsttäuschung erzwingt.

Man muss Grenzen setzen. Wenn man das tut, wird sich auch Respekt für den Westen, die europäische Zivilisation auf geradezu wundersame Weise von selbst einstellen, denn der Respekt, den eine große Zahl Muslime empfindet, gilt der Stärke, der Macht, der Überlegenheit. Das heißt nun natürlich nicht, man müsse sie tyrannisieren, aber eben: mit demokratischen und rechtsstaatlichen Zwangsmitteln sich gegen ihren diffusen Unwillen behaupten, und durchsetzen.

Vermittlung gerade nicht möglich

Christian Ortner fordert Respekt für die abendländische Kultur von den Muslimen ein, den viele aber eben gerade nicht haben. Er will ihnen dafür Respekt gegenüber ihrer Religion anbieten, den Europa aber angesichts der aktuellen Verfasstheit des Mehrheitsislam gerade nicht haben kann, es sei denn, in der Form des Respekts gegenüber dem brutaleren Verbrecher. Ein solcher Deal ist mit dem konservativ-orthodoxen Islam, dem eine Mehrheit der Muslime anhängt, nicht zu machen.

Den Kern des Konflikts bilden im Moment nämlich einander ausschließende Interpretationen der Meinungsfreiheit. Die eine Seite sagt, Meinungsfreiheit beinhaltet das Recht auf Schmähung von Mohammed; die andere Seite sagt, sie beinhaltet dieses Recht nicht, sondern stattdessen das Recht auf blutige Verfolgung von Blasphemie. Rein logisch stehen sich beide Seiten vermittlungslos gegenüber. Sie können sich nicht irgendwo in der Mitte treffen.

Die Taktik des IS kann letztlich durch die Fähigkeit zur Selbstreflexion gebrochen werden, und deren Bildung im Einzelnen hat zur Bedingung, dass seiner Selbsttäuschung klare Grenzen durch die Realität gesetzt sind. Für solches Grenzen-Setzen muss man die Entfremdung des Einzelnen bewusst riskieren, man darf sie nicht scheuen – sonst kann man keine Grenzen setzen.

Der Möglichkeit, dass sich Millionen europäischer Muslime dem IS anschließen, muss man ins Auge sehen und auch dafür eine Strategie entwickeln. Man kann diese Möglichkeit gedanklich nicht kategorisch ausschließen, weil der IS hier wirklich eine Schwachstelle Europas gefunden hat, die er angreifen kann. Er kann tatsächlich die Intensität der Angriffe immer weiter erhöhen, dadurch eine Abwehrreaktion Europas hervorrufen, die wiederum die europäischen Muslime von Europa entfremdet und sie sich massenhaft dem IS anschließen.

Für dieses Szenario muss sich Europa rüsten. Denn es kann sich nicht einfach weigern, eine spürbare Abwehrreaktion zu statuieren. In diesem Fall würde ja einfach die Intensität der Angriffe erhöht bzw. ihre Dauer bloß fortgesetzt.

Problem des Good-Cop-Bad-Cop-Spiels

Tut man aber das, was Christian Ortner empfiehlt: Gleichzeitig „nett“ (nach eigenem Empfinden) und „böse“ (dem Empfinden der Muslime nach) zu den europäischen Muslimen zu sein, so könnten sie den nichtmuslimischen Europäern vorwerfen, dass sie keine Selbstreflexion entwickelt, und kein kohärentes Konzept von sich selber haben. Sie werden instinktiv spüren, dass sie Europa mit der Drohung, sich massenhaft dem IS anzuschließen, in der Hand haben, und so würde dieses Europa in der Tat zum Hampelmann.

Will Ortner darauf hinaus, dass mit seiner Kombinationslösung ein ähnliches Szenario wie die Good-Cop-Bad-Cop-Verhörsituation der Polizei verwirklicht werde, so ist ihm entgegenzuhalten, dass ja die Polizei das Verbrechen als Institution grundsätzlich akzeptiert; sie behält sich nur eben vor, gegen es zu agieren. Genau das soll in unserem Fall vermieden werden: die langfristige Institutionalisierung des Konflikts.

Im Übrigen ist das Faktum an sich, dass der IS seine Strategie veröffentlicht hat, interpretationsbedürftig. Die Veröffentlichung könnte gerade mit dem Ziel erfolgt sein, die vorbeugende Kapitulation Europas, sein zwanghaftes Vermeiden einer Abwehrreaktion wahrscheinlich zu machen. Dieses Vermeidungsverhalten gibt der Entfremdungsdrohung der europäischen Muslime die entscheidende Bestätigung und macht sie erst wirksam. Es handelt sich, zum Teil, um Schadsoftware für die europäischen Gehirne.

An der Corona-Krise sieht man: Wenn die Maßnahmen widersprüchlich und nicht nachvollziehbar sind, erodiert die Bereitschaft der Bevölkerung, sie insgesamt zu befolgen. Eine Null-Toleranz, die sich mit Respekt und Toleranz gegenüber ihrem Gegenstand verbinden lässt, wird sich keinen Respekt verschaffen können.

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