Berichten zufolge präferiert Irans neuer Präsident, indirekt gegen Israel vorzugehen, um einen möglichen Krieg zu vermeiden. Die endgültige Entscheidung liegt in den Händen von Khamenei.
Eine interne Diskussion zwischen dem neuen Präsidenten Masoud Peseschkian und Mitgliedern der Islamischen Revolutionsgarden (IRGC) behindert die iranische Reaktion auf die Israel zugeschriebene Tötung des Hamas-Führers Ismail Haniyeh in Teheran. Der britische Telegraph berichtete am Freitag, dass IRGC-Mitglieder einen direkten Angriff auf Militärstützpunkte im Raum von Tel Aviv und anderen israelischen Städten fordern, während der neue Präsident darauf besteht, »israelische Stützpunkte« in Nachbarländern anzugreifen.
Peseschkian, der im Juli zum Präsidenten des Irans gewählt und im Nachgang zu dessen Vereidigung Haniyeh eliminiert wurde, hat versprochen, sein Land aus der internationalen Isolation und den gegen es verhängten Sanktionen zu befreien. Er will die Beziehungen des Irans zum Westen verbessern und das Land wieder in das Atomabkommen einbinden.
Der britische Guardian berichtete, Teheran könnte angesichts des starken internationalen Drucks, dazu angehalten sein, zurückhaltend zu reagieren und eine dramatische Eskalation in der Region zu vermeiden. Insofern könnte das Regime versuchen, diejenigen ins Visier zu nehmen, die für die Ermordung Haniyehs verantwortlich gemacht werden: den Mossad oder mit ihm verbundene Einrichtungen, was sich sich mit der Haltung von Peseschkian decken würde. Das letzte Wort in allen staatlichen Angelegenheiten hat allerdings Irans Oberster Führer Ali Khamenei, der letztlich entscheidet, wie die Islamische Republik auf die Tötung Haniyehs reagieren wird.
Berater des iranischen Präsidenten erklärten gegenüber dem Telegraph, die Revolutionsgarden versuchten, Peseschkian mit ihrer Forderung nach einem härteren Vorgehen gegen Israel zu »untergraben«. Einer seiner engen Berater sagte der britischen Zeitung, Peseschkian sei besorgt über die Folgen eines direkten Angriffs auf Israel.»Jeder direkte Angriff auf Israel hätte schwerwiegende Folgen«, sagte er. Teheran habe beim Angriff im April »Glück gehabt, nicht in einen umfassenden Krieg mit Israel gezogen« worden zu sein. Diese Mal, so der Berater weiter, herrsche solches Glück möglicherweise nicht.
Die der iranischen Opposition nahestehende Nachrichtenplattform Iran International berichtete, Peseschkian habe Khamenei nahegelegt, von einem Angriff auf Israel abzusehen. In jüngster Zeit häufen sich Berichte, wonach der Iran seine angekündigten Reaktionen gegen Israel überdenkt und neben anderen Optionen auch einen »indirekten« Angriff auf israelische Ziele in Betracht zieht.
Machtkampf Präsident vs. Revolutionsgarden
Dem vom Telegraph zitierten Berater Pescheks zufolge gehe es den Revolutionsgarden allerdings nicht allein um die »Demütigung«, die sie erlitten haben, als Haniyeh in einer ihrer Teheraner Residenzen eliminiert wurde, sondern auch um ihren Wunsch, den Präsidenten zu untergraben, der dem sogenannten Reformlager angehört und nicht ihr Wunschkandidat war.
Am Donnerstag kündigte der Iran Schießübungen mit scharfer Munition an seiner Westgrenze an, was mehrere Länder dazu veranlasste, ihre Piloten zu warnen, den iranischen Luftraum zu meiden. Dies löste auch Befürchtungen aus, Teheran könnte die Gelegenheit nutzen, um Israel anzugreifen, was sich jedoch nicht bewahrheitete. »Die jüngsten Übungen an der Westgrenze des Landes dienen nur der Einschüchterung Peseschkians«, meinte ein anderer Berater des Präsidenten. »Sepah [das IRGC] ist sehr darauf bedacht, Israel ins Visier zu nehmen, und sie denken, dass das einfach ist.«
Der Berater sagte dem Telegraph, dass Iran stattdessen mit Israel in Verbindung stehende Orte in Aserbaidschan oder Irakisch-Kurdistan, die beide an den Iran grenzen, angreifen könnte – »und diese Länder vorher informieren, um so das ganze Drama beenden«. »Der Präsident fühlt sich nicht gedemütigt, weil es [Hanyiehs Tötung] Stunden nach seiner Vereidigung geschah. Wir können die Hisbollah mit moderneren Waffen ausstatten und sie mit der Unterstützung des Irans kämpfen lassen«, fügte er hinzu.
Der Telegraph berichtete auch, dass die Peseschkian nahestehende Personen sogar »glauben, dass die Nachlässigkeit bei Haniyehs Sicherheit absichtlich geschah, um den Präsidenten in einen Krieg zu ziehen.« Es habe lange und intensive Diskussionen gegeben, in denen Peseschkian versucht habe, »die IRGC-Kommandeure davon zu überzeugen, Aktionen zu vermeiden, die außer Kontrolle geraten könnten«, so der Berater.
Peseschkian sei sich ist sich bewusst, dass die Revolutionsgarden darauf abzielen, das Land in einen Krieg hineinzuziehen. »Doch er ist entschlossen, die Versprechen einzuhalten, die er während seiner Präsidentschaftskampagne gegeben hat, darunter die Schaffung friedlicher Lebensbedingungen für die Menschen. Er nutzt seinen Einfluss im Büro des Führers [Khamenei], um zu verhindern, dass das IRGC den Iran in einen Krieg stürzt.«
Ein Revolutionsgarden-Funktionär wiederum sagte dem Telegraph, seine Organisation glaube, Peseschkian sei bloß »um seine Position besorgt«, und fügte hinzu, dass »nur wenige Leute im IRGC auf ihn hören. An erster Stelle steht immer noch die Überlegung, Tel Aviv zusammen mit der Hisbollah und anderen gleichzeitig anzugreifen. Innerhalb der Streitkräfte wird darüber diskutiert, wie man die Bemühungen von Masoud Peseschkian blockieren kann.«