Irans Präsident: »Feinde« Teherans für Gasangriffe auf Schülerinnen verantwortlich

Solidaritätsdemonstration mit von Giftgasangriffen betroffenen Schülerinnen im Iran
Solidaritätsdemonstration mit von Giftgasangriffen betroffenen Schülerinnen im Iran (© Imago Images / Sipa USA)

Nach wie vor ist unklar, von wem die landesweiten Vergiftungsattacken auf Mädchenschulen ausgehen. Sicherheitshalber gibt das Mullah-Regime dem westlichen Ausland die Schuld an den Giftgasangriffen.

Angesichts der internationalen Empörung über die Untätigkeit im Zusammenhang mit den Giftgasangriffen auf Schülerinnen und Studentinnen haben die iranischen Behörden damit begonnen, die »Feinde« der Islamischen Republik dafür verantwortlich zu machen. Am Freitag bezeichnete etwa Präsident Ebrahim Raisi in einer live im staatlichen Fernsehen übertragenen Rede vor einer Menschenmenge im Süden des Landes, die Vergiftungswelle, der bereits rund 1.200 Schülerinnen zum Opfer fielen, als Teil der psychologischen Kriegsführung des Feindes, die darauf abziele, »das Land ins Chaos zu stürzen, indem er versucht, Eltern und Schüler in Angst und Unsicherheit zu versetzen«. 

Wen er meinte, führte Raisi nicht aus, doch im Jargon der Islamischen Republik werden in der Regel die Vereinigten Staaten und Israel als »Feinde« bezeichnet. Zu diesen zählen aber seit Neuestem auch alle Organisationen und Einzelpersonen, die ihre Unterstützung für die regimefeindlichen Proteste zum Ausdruck gebracht haben. So hatte die als Zeitung der Hardliner geltende Hamshahri bereits in der vergangenen Woche Aktivistinnen wie Masih Alinejad für die Giftgasattacken verantwortlich gemacht

»An einem Tag zetteln die Feinde Straßenkrawalle an und an einem anderen versuchen sie, Probleme im Bereich der Bildung und der Schulen zu schaffen, denn trotz aller Intrigen sind die Menschen im ganzen Land auf den Plan getreten und haben den Feind besiegt«, sagte denn auch Raisi letzten Freitag, während er die staatlich geförderten Demonstrationen im Februar anlässlich des 44. Jahrestags der Islamischen Revolution als Erfolg bezeichnete.

Ebenfalls am Freitag wandte sich Außenminister Hossein Amir-Abdollahian im Zusammenhang mit den Giftgasangriffen gegen westliche Regierungen. »Die interventionistische Reaktion einiger westlicher Behörden auf die Frage der mutmaßlichen Vergiftung von teuren iranischen Studentinnen ist die Fortsetzung des hybriden Kriegs des Feindes«, schrieb er in einem Twitter-Post.

Amir-Abdollahian behauptete, dass »die zuständigen Institutionen des Landes den Vorfall ernsthaft verfolgen und seine Dimensionen akribisch untersuchen. Die große iranische Nation kennt [die westlichen] Krokodilstränen sehr gut!« Während er seinen Tweet absetzte, hatten die Behörden den Medien und den Eltern noch immer nicht erlaubt, die Aufnahmen der Überwachungskameras rund um die angegriffenen Schulen anzusehen. 

Beteiligung des Regimes?

Irans Präsident: »Feinde« Teherans für Gasangriffe auf Schülerinnen verantwortlich

Die bislang ungeklärten Giftgasattacken auf mittlerweile rund 60 Schulen und Mädchenwohnheime in einem Drittel der Provinzen des Landes begannen am 30. November, als im Religionszentrum Qom der erste Fall einer Vergiftung unter Schülerinnen gemeldet wurde. Über 1.000 Schülerinnen sind bisher an den unter mysteriösen Umständen verteilten, nicht identifizierten Dämpfen erkrankt. 

Innenminister Ahmad Vahidi, ein von Interpol wegen seiner Beteiligung an dem Bombenanschlag auf ein jüdisches Gemeindezentrum in Buenos Aires im Jahr 1994 gesuchter ehemaliger Spitzenoffizier der Revolutionsgarden, wurde mit der Leitung der Ermittlungen beauftragt, obwohl er bislang bestritt, dass es überhaupt ein Verbrechen gebe, das aufgeklärt werden müsse. Die Behörden haben auch Berichte dementiert, wonach der Tod der elfjährigen Fatemeh Rezaei mit den Vergiftungen zusammenhängt.

Hinter den Angriffen vermuten viele Iraner religiöse Gruppierungen, die gegen die Bildung von Mädchen sind oder diese für ihre Teilnahme an den regimekritischen Protesten bestrafen wollen, an denen auch Schülerinnen prominent teilgenommen haben. So kursiert eine ganze Reihe von Aufnahmen in den sozialen Medien, die zeigen, wie Mädchen ihre obligatorischen Hidschabs in den Klassenzimmern abnehmen, Bilder des Obersten Führers Ayatollah Ali Khamenei zerreißen, ihm den Finger zeigen und seinen Tod fordern. In einem Online-Video aus dem vergangenen Jahr sind Schülerinnen zu sehen, die mit ihren abgenommenen Kopftüchern winken und einen Angehörigen der paramilitärischen Basidsch-Truppen verhöhnen.

Die Vermutung, sogar Teile des Regimes könnten in die Angriffe verwickelt sein, erhielt ebenfalls am Freitag neuen Auftrieb, als Ajatollah Ahmad Alamolhoda in seiner Predigt sagte, das Regime sei nicht mehr stark genug, um sich gegen Frauen zu wehren, die sich der Hidschab-Pflicht widersetzen, weswegen Privatpersonen möglicherweise das Gesetz in die eigene Hand nehmen müssten. Mit diesem Aufruf scheint sich Alamolhoda, Khameneis Vertreter in der Provinz Chorasan Razavi und Schwiegervater von Präsident Raisi, ganz offen auf die Seite der Verantwortlichen gestellt zu haben. Der Kleriker meinte, die Kampagne gegen die Hidschab-Pflicht habe ein Stadium erreicht, in dem jede Institution und Person, welche die Kleiderordnung verteidigt, als Teil der Regierung angesehen werden muss. 

Kritik an der Regierung

Alamolhodas Kritiker verstanden seine Äußerung als einen weiteren Hinweis auf dessen Ablehnung der seiner Meinung nach zu »milden« Reaktion der Regierung auf den Widerstand gegen die den Frauen auferlegte Kleiderordnung. Auf der anderen Seite sprachen sich inzwischen allerdings auch religiöse Führer – sowohl Schiiten, die zum inneren Kreis des Regimes gehören, als auch Sunniten wie Mowlavi Abdolhamid – gegen die unzureichende Reaktion der Regierung auf die Giftgasangriffe aus.

Der Sprecher des Außenministeriums, Nasser Kanaani, hingegen forderte andere Länder auf, sich aus den landeseigenen Problemen herauszuhalten und bezeichnete die von Regierungen, den Vereinten Nationen und Menschrechtsgruppen erhobenen Forderungen nach einer Untersuchung der Vorfälle als »Einmischungen und pathetische Äußerungen«.

Unabhängig davon erklärte ein hoher Funktionär, ein Tankwagen, der neben einer Schule in einem Vorort von Teheran gefunden und auch in zwei anderen Städten gesichtet wurde, sei wahrscheinlich in die Angriffe verwickelt. Die Behörden hätten den Tankwagen beschlagnahmt und den Fahrer festgenommen, sagte Reza Karimi Saleh, stellvertretender Gouverneur des Vororts Pardis, gegenüber der halbamtlichen Nachrichtenagentur Tasnim. 

Saleh ist der erste Regierungsfunktionär, der eine Verhaftung meldete, denn derselbe Tankwagen sei auch in Qom und Boroujerd in der Provinz Lorestan gewesen, wo ebenfalls Schülerinnen vergiftet wurden: »Die Wachleute auf einem Parkplatz, auf dem der Wagen abgestellt war, erlitten ebenfalls Vergiftungen«, sagte Saleh unter Bezug auf den Standort Pardis.

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