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Der Iran ist weniger mächtig und stabil, als es den Anschein hat

Trauerveranstaltung für Qassem Soleimani in Teheran (Majid Asgaripour/CC BY 4.0)
Trauerveranstaltung für Qassem Soleimani in Teheran (Majid Asgaripour/CC BY 4.0)

Die inszenierte Trauer für Soleimani kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Herrschaft des iranischen Regimes auf wackeligen Füßen steht.

Oliver M. Piecha, Jungle Blog

Ein bisschen war es so wie früher: brennende Fahnen, ‚Tod den USA‘-Gesänge, Massen von Menschen mit Bärten oder Schleiern, Drohungen mit einem kommenden Krieg, Terror und der Apokalypse. Auch die iranischen Parlamentarier stellten sich brav für ein Gruppenbild mit geballten Fäusten zusammen. Die Propagandamaschine der Islamischen Republik Iran lief nach der Tötung Qassem Soleimanis, des Leiters der Auslandsabteilung der iranischen Revolutionswächter, bei der Inszenierung des Staatskults zu alter Hochform auf. Fast hätte man den Eindruck gewinnen können, als habe sich im Nahen Osten in den vier Jahrzehnten seit der Besetzung der amerikanischen Botschaft 1979 nichts weiter geändert. Dazu passend versah US-Präsident Donald Trump seine Drohung auf Twitter, 52 Ziele im Iran seien bereits festgelegt, mit dem Hinweis, sie stünden für die 52 damaligen Geiseln. (…)

Wenn es eine wirklich zentrale Machtfigur gab in einer Region, in der sehr vieles von persönlichen Beziehungen und Loyalitäten abhängt, dann war es Soleimani. Was er alles gewusst haben muss, ist unbezahlbar; er bekleidete seinen Posten seit 1997. Lange Jahre war er so etwas wie eine graue Eminenz, bis er im Zuge der Kämpfe in Syrien zu einer medial dauerpräsenten Figur wurde. Soleimani wurde schließlich das Gesicht der iranischen Offensive im Nahen Osten. Nach seinem Tod dürfte er endgültig zum Posterboy des Imperialismus der Islamischen Republik werden.

Die Nachfolge tritt sein Stellvertreter Esmail Ghaani an, der 1997 zugleich mit Soleimani sein Amt übernommen hatte. Das garantiert Kontinuität für die Netzwerke, aber Ghaani hat nicht das Charisma seines ehemaligen Vorgesetzten, er soll sich vor allem um Finanzen und Verwaltung gekümmert haben. Ghaanis Führung ist möglicherweise eine Übergangslösung, aber hier liegt ein gravierendes Problem für die Strategen der Islamischen Republik: Der Tod Soleimanis trifft sie zur Unzeit.

Mit Blick auf ihre Machtmittel, auf die Milizen unter ihrer Kontrolle, die Regierungen in ihrer Hand und ihre Möglichkeiten – so konnte sie etwa den Erzrivalen Saudi-Arabien mit dem Raketenangriff auf dessen wichtigste Ölverarbeitungsanlagen vergangenes Jahr folgenlos demütigen – steht die Islamische Republik 40 Jahre nach ihrer Gründung im Zenit ihrer Macht. Aber die Probleme häufen sich. Das imperiale Gebilde, das Soleimani unermüdlich aufgebaut hat – bei seiner Tötung war er gerade von Damaskus kommend in Bagdad eingetroffen –, hat sich in den vergangenen Monaten als äußerst fragil erwiesen. (…)

Soleimani wusste darauf keine andere Antwort als Gewalt. Es waren seine schiitischen Milizen, die im Irak auf die Demonstrierenden schossen. Zudem steht der Libanon vor dem Zusammenbruch und im verheerten Syrien wird Assad immer mehr zum Mündel des russischen Präsidenten Wladimir Putin. Beiden geht es darum, Geld aufzutreiben und für die internationale Rehabilitierung Assads zu sorgen. Damit konnte Soleimani nicht mehr dienen. (…)

Die iranische Bevölkerung begehrt auf, weil das System keine gesellschaftliche und ökonomische Perspektive bieten kann. Dasselbe Problem stellt sich dem iranischen Regime in seinen Protektoraten. Daran konnte auch Soleimani nichts ändern. Die jüngste Krise im Irak mit der Beschießung US-amerikanischer Stützpunkte und der Belagerung der US-Botschaft hatte er als Ablenkungsmanöver inszeniert, um die Proteste gegen die irakische Regierung und den iranischen Einfluss auszubremsen. (…) Die Inszenierung von Soleimanis Beerdigung wird die Spaltung der Gesellschaft kaum länger überdecken können. Im iranischen Imperium herrscht Bürgerkrieg. (…)

Über Jahrzehnte eingeübte Riten funktionieren im Nahen Osten seit 2011, dem Ausbruch des ‚arabischen Frühlings‘, nicht mehr recht, auch wenn die Islamische Republik nach dem Tod Soleimanis noch einmal ihr ganzes Repertoire aufbietet. In Europa hingegen wird weiterhin reflexartig vor einer gewissermaßen naturhaften ‚Gewaltspirale‘ gewarnt und von Dialog gesprochen, so wie seit Jahrzehnten. Damit hofft man, den islamischen Machthabern nicht unangenehm aufzufallen.“

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