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Iranisches Atomprogramm: Was steht wirklich im IAEO-Bericht?

Der jüngste Iran-Bericht der IAEO sorgt bei Israel für Verstimmung. (© imago images/YAY Images)
Der jüngste Iran-Bericht der IAEO sorgt bei Israel für Verstimmung. (© imago images/YAY Images)

Israel versucht zu Recht, Alarm über das iranische Atomprogramm zu schlagen. Ob die Übernahme iranischer Talking Points dabei hilft, ist fraglich.

Israel zeigt sich dieser Tage erbost über die Internationale Atomenergiebehörde in Wien. Israelischen Medien und Regierungsvertretern zufolge habe die IAEO in ihrem jüngsten Bericht über den Iran erklärt, dass sie »ihre Ermittlungen zu einer vermuteten Nuklearanlage abgeschlossen hat«, die seit 2019 im Gespräch ist. Der Iran habe »mögliche Erklärungen für die Uranpartikel gegeben«, die in der Anlage namens Marivan von der IAEO gefunden wurden. Daher sei »die Angelegenheit in diesem Stadium nicht mehr offen«.

Der Sprecher des israelischen Außenministeriums kritisierte die Einstellung der Untersuchungen über Marivan via Twitter als »sehr problematisch«. Die iranischen Erklärungen seien weder glaubwürdig noch technisch möglich, das iranische Regime belüge weiterhin die IAEO und täusche die internationale Gemeinschaft. Es sei »sehr enttäuschend«, dass die IAEO mit dem Ende ihrer Ermittlungen dem iranischen Druck »nachgegeben« habe. Die Vorgänge würden die professionelle Glaubwürdigkeit der IAEO erheblich schädigen.

Auch die Ausführungen der IAEO über die Atomanlage Fordo, in der Spuren hoch angereicherten Urans gefunden wurden, stießen in Israel auf Unverständnis. Der Iran habe erklärt, das beinahe auf Waffenfähigkeit angereicherte Uran sei nicht absichtlich hergestellt worden, sondern sozusagen zufällig entstanden; die Inspektoren der IAEO, so heiße es in dem neuen Bericht, hielten diese Erklärungen für technisch nicht unmöglich und hätten »keine Fragen mehr«.

Ist die israelische Aufregung über die jüngsten Erkenntnisse der IAEO berechtigt? Hat die Behörde tatsächlich Untersuchungen über verdächtige iranische Anlagen eingestellt und damit vor der mangelnden Kooperationsbereitschaft und den Lügengeschichten des iranischen Regimes kapituliert?

Marivan und Fordo: Worum geht es?

Wenn Sie das Mena-Watch-Dossier »… haben die Fähigkeit, die Bombe zu bauen …« gelesen haben, sind Ihnen die iranischen Anlagen, um die es hier geht, bestens bekannt. Bei Marivan handelt es sich um ein Testgelände, auf dem der Iran Experimente mit großen Mengen hochexplosiven Sprengstoffs, einem sogenannten Schockwellengenerator, einer Neutronenquelle und möglicherweise sogar einen Cold Test durchgeführt hat, die Detonation einer vollständigen Bombe, der lediglich der Kern mit dem spaltbaren Material fehlt.

Der Logistikbereicht von Marivan im Juli 2018, bevor die Iraner das Gelände zu säubern versuchten. (Quelle: Google Earth)
Der Logistikbereicht von Marivan im Juli 2018, bevor die Iraner das Gelände zu säubern versuchten. (Quelle: Google Earth)

Marivan bestand aus einem Freilufttestgelände, zwei Bunkern sowie einigen rund eineinhalb Kilometer entfernten Gebäuden, die der logistischen Unterstützung des Testgeländes dienten. Hinweise auf die dort durchgeführten (und vor der IAEO geheim gehaltenen) Experimente lagen der internationalen Öffentlichkeit seit spätestens 2015 vor, doch der tatsächliche Ort des Geländes wurde vom israelischen Premier Benjamin Netanjahu erst im September 2019 enthüllt, gestützt auf Informationen aus dem iranischen Atomarchiv, von dem Teile rund eineinhalb Jahre zuvor in israelischen Besitz gelangt waren.

Der Logistikbereich von Marivan im März 2021, nach der vesuchten iranischen Säuberung des Geländes. (Quelle: Google Earth)
Der Logistikbereich von Marivan im März 2021, nach der vesuchten iranischen Säuberung des Geländes. (Quelle: Google Earth)

Inspektoren der IAEO erhielten erst 2020 Zugang zu der Anlage – nachdem der Iran auf dem Areal so gut wie möglich sämtliche Spuren der vorangegangenen Tätigkeiten zu verwischen versucht und im Zuge dessen unter anderem die logistischen Unterstützungsgebäude beseitigt hatte. Trotzdem fanden die IAEO-Experten auf dem Gelände »anthropogene Uranpartikel«, deren Anwesenheit vom Iran erklärt werden müsse. Marivan ist damit einer von vier Orten im Iran, an denen Uran gefunden wurde, das dort nie hätte sein dürfen.

Bei Fordo handelt es sich demgegenüber um eine im August 2002 von einer iranischen Oppositionsgruppe enthüllte illegale Urananreicherungsanlage, die zum Schutz vor möglichen Angriffen zum großen Teil tief in einen Berg hineingegraben wurde. Fordo wurde als Bestandteil des Amad-Plans errichtet, des um die Jahrtausendwende unterhaltenen, intensiven und umfassenden iranischen Programms zur Herstellung von einsatzfähigen Atomwaffen, das in unserem erwähnten Dossier ausführlich dargestellt wird. Der einzige Zweck der Anlage: die geheime Produktion waffenfähigen Urans.

Was sagt die IAEO?

In Bezug auf das Testgelände Marivan beschreibt die IAEO in ihrem jüngsten Bericht die vom Iran gegebene Erklärung für den Fund von Uranpartikeln: Auf dem Gebiet sei in den 1960er und 1970er Jahren von einem ausländischen Unternehmen eine Mine betrieben worden, zu der auch ein chemisches Labor gehört habe. Die gefundenen Uranpartikel sollen aus Geräten in diesem Labor stammen.

Die IAEO hält diese Erklärung nun zwar für »möglich«, kann sie wegen fehlender weitergehender Informationen aber weder bestätigen noch widerlegen. In ihrer Analyse des IAEO-Berichts beschreiben David Albright von Institute for Science and International Security, Co-Autor unseres Dossiers über das iranische Atomwaffenprogramm, und Andrea Stricker von der Foundation for Defense of Democracies, was das bedeutet: Da zusätzliche Informationen nicht vorliegen und nicht zu erwarten sind, habe die IAEO im Moment keine weiteren Fragen und erkläre, dass die Sache in diesem Stadium nicht mehr offen ist. »Es ist jedoch anzumerken, dass der IAEO-Bericht die Angelegenheit nicht als abgeschlossen bezeichnet.«

Die umstrittenen Uranfunde wurden auf dem Gebiet der mittlerweile vom Iran beseitigten Logistikgebäude gemacht. Was die abgesehen davon viel heikleren Fragen zu Marivan betrifft, sei man der IAEO zufolge keinen Schritt weitergekommen: Der Iran habe keinerlei Informationen über die höchstwahrscheinlich atomwaffenrelevanten Experimente vorgelegt, die auf dem rund eineinhalb Kilometer von den Logistikgebäuden entfernten Freilufttestgelände mit den zwei Bunkern unternommen wurden. Die IAEO betont, dass der Iran laut den ihr vorliegenden Hinweisen dort Versuche im Rahmen des Amad-Plans zur Herstellung von Atombomben ausgeführt habe.

Albright und Stricker resümieren: Dass der Iran in der Detailfrage der gefundenen Uranpartikel eine zumindest theoretisch nicht unmögliche Behauptung geliefert hat, ändert nichts daran, »dass aber der sprichwörtliche Elefant im Raum in Sachen Marivan bestehen bleibt. (…) Letzten Endes ist die Frage der Uranpartikel allenfalls ein Beweisstück in der IAEO-Untersuchung und ist von geringer nachhaltiger Bedeutung im Vergleich zu der Tatsache, dass die Anlage für Tests genutzt wurde, die für die Herstellung von Atomwaffen unerlässlich sind.« [Hervorhebung F. M.]

Festzuhalten ist: Anders als von Israel dargestellt, ist die Untersuchung von Marivan von der IAEO nicht für beendet erklärt worden, weil eine ganze Reihe von Fragen sehr wohl offenbleibt.

Der Befund in Sachen Fordo sieht ganz ähnlich aus. Laut IAEO habe der Iran Erklärungen für das Vorhandensein von fast waffenfähigem Uran in der Anreicherungsanlage vorgelegt, die als »nicht inkonsistent« mit den Funden bezeichnet werden können. Deshalb habe die Behörde »zum jetzigen Zeitpunkt keine weiteren Fragen zu dieser Angelegenheit«. Damit hat die Atomenergieorganisation kein Urteil darüber abgegeben, ob das hochangereicherte Uran absichtlich oder unabsichtlich zustande gekommen ist.

Man muss freilich kein Atomphysiker sein, um die Frage zu beantworten, ob es Zufall ist, wenn in einer Anlage, die gebaut wurde, um waffenfähiges Uran herzustellen, beinahe-waffenfähiges Uran gefunden wird. Man muss nur zwei und zwei zusammenzählen können.

Eine seltsame Übereinstimmung

Marivan und Fordo sind, wie gesagt, nur zwei von vier Anlagen, in denen Uran gefunden wurde. Was die anderen beiden betrifft, das atomare Lagerhaus in Turquzabad sowie die ehemalige Amad-Zentrale in Lavizan-Shian/Teheran (sehen Sie auch zu diesen beiden Orten unser erwähntes Dossier), sind die Ermittlungen der IAEO über mutmaßlich atomwaffenrelevante Komponenten des iranischen Atomwaffenprogramms wegen der iranischen Kooperationsverweigerung keinen Schritt weitergekommen – und es kann keine Rede davon sein, dass diese Untersuchungen von der IAEO für beendet erklärt worden seien.

Die gegenüber der IAEO nicht deklarierten Uranvorkommen sind darüber hinaus nur ein Aspekt des iranischen Atomprogramms. Sie sind, in den Worten Albrights/Strickers, nur »die Spitze des Eisbergs. Es ist an der Zeit, dass die IAEO den gesamten Eisberg freilegt und die Geschichte sowie alle Aspekte der iranischen Kernwaffenaktivitäten rekonstruiert.«

Die von der IAEO gewählte diplomatische und gewohnt zurückhaltende Ausdrucksweise mag aus israelischer Sicht den falschen Eindruck erwecken, die Behörde habe offene Fragen für beendet erklärt, doch das trifft nicht zu. Am grundlegenden Befund ändern die zwei von Israel an den Pranger gestellten Detailfragen im Übrigen nichts. »Der Iran«, so fassen Albright/Stricker zusammen, »hatte in der Vergangenheit ein groß angelegtes Atomwaffenprogramm, und einige Aspekte dieser früheren Bemühungen bleiben bestehen. In der Zwischenzeit weigert sich der Iran, auf sinnvolle Weise zu kooperieren, da er ständig nach Wegen sucht, um die Ermittlungen der IAEO zu untergraben.«

Nichts anderes ist mit Blick auf das große Gesamtbild den Stellungnahmen der IAEO zu entnehmen. Von einer »Entwarnung« in Sachen iranisches Atomprogramm durch die Wiener Behörde kann überhaupt keine Rede sein. Der israelische Aufschrei über den jüngsten IAEO-Bericht wirkt vor diesem Hintergrund als einigermaßen unangebracht und überzogen.

Israel hat jeden Grund, das mangelnde internationale Engagement zur Verhinderung iranischer Atomwaffen und das weiterhin bestehende irregeleitete Interesse nach einer Neuauflage des in Wahrheit in wesentlichen Punkten angesichts der Fortschritte des iranischen Atomprogramms hinfälligen Atomabkommens von 2015 lauthals zu kritisieren. In sachlich unangebrachten Alarmismus zu verfallen, hilft da freilich nicht weiter.

Zumal die israelische Regierung mit der unzutreffenden Behauptung, die IAEO hätte ihre Untersuchungen zu einzelnen Punkten eingestellt, ausgerechnet den Spin übernimmt, den das iranische Regime der Interpretation der IAEO-Berichte zu geben versucht. Dass Teheran den Eindruck zu vermitteln versucht, bislang offen gebliebene Fragen seien geklärt und es gebe nichts weiter zu untersuchen, ist nicht überraschend. De facto macht Israel sich im Dienst der versuchten Mobilisierung der sogenannten internationalen Gemeinschaft gegen das iranische Atomprogramm, wenn auch in anklagender Absicht, ausgerechnet diesen iranischen Spin zu eigen. Es wäre vermutlich besser beraten, sich stattdessen auf das zu konzentrieren, was die IAEO tatsächlich über das iranische Atomprogramm zu sagen hat.

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