Von Stefan Frank
„Iranische Geisterschiffe“ würden auf den Weltmeeren fahren, war in den letzten Wochen und Monaten in verschiedenen Publikationen zu lesen. Was hat es damit auf sich? Nicht das, was man denkt: Ein „Geisterschiff“ ist im gewöhnlichen Sprachgebrauch ein Schiff, das ohne Besatzung auf dem Meer treibt. Das ist hier nicht gemeint. Die Rede ist vielmehr davon, dass Schiffe mit aus dem Iran stammender Fracht – in der Regel Öl – ihr AIS-Signal ausschalten, um ihre Position geheim zu halten.
Kennzeichnungssystem
AIS ist die Abkürzung für Automatic Identification System (Automatisches Identifikationssystem). Es bezeichnet ein Funksystem, das durch den Austausch von Navigations- und anderen Schiffsdaten die Sicherheit und die Lenkung des Schiffsverkehrs verbessert. Seit 2004 sind im Seeverkehr alle Berufsschiffe mit einer Bruttoregisterzahl von über 300 in internationaler Fahrt verpflichtet, eine AIS-Anlage zu betreiben. Dadurch, dass die genaue Position jedes Schiffes jederzeit bekannt ist, soll beispielsweise illegaler Fischfang verhindert, aber auch die Kollisionsgefahr auf See vermindert werden. Auf Websites wie marinetraffic.com kann man sehen, welche Schiffe gerade wo auf den Weltmeeren unterwegs sind (die Daten der kostenlos nutzbaren Version sind, anders als die der kostenpflichtigen, nicht unbedingt vollständig und aktuell).
Das Wall Street Journal berichtete schon im Juli 2017, iranische Schiffe würden kurz nach dem Verlassen des Hafens das AIS-Signal ausschalten, und stellte dies in einen Zusammenhang mit den von den Vereinigten Staaten erlassenen Sanktionen gegen das iranische Regime. Am 5. November werden diese verschärft; Unternehmen, die dann noch iranisches Öl kaufen, riskieren Strafen in den USA. Erklärtes Ziel der US-Regierung ist es, die iranischen Ölausfuhren „auf null“ zu bringen.
Verschleierungsmanöver
Das Abschalten des AIS-Signals, so ist zu vermuten, soll verschleiern, in welchen Häfen die iranischen Schiffe ihre Ladung löschen. Ein Journalist des öffentlichen kanadischen Rundfunksenders CBC zeigt dies in einem Beitrag am Beispiel der Reise des Supertankers Dino I. Am 4. September 2018 hätten die AIS-Daten gezeigt, dass er am iranischen Ölterminal Charg, einer Insel im Persischen Golf, zwei Millionen Barrel Öl geladen habe. Dann sei das Schiff durch die Meerenge von Hormuz in den Indischen Ozean gefahren. Am 15. September sei das AIS-Signal abgeschaltet worden. Erst zehn Tage später sei das Schiff wieder auf dem Bildschirm aufgetaucht, nun in der Nähe von Kuala Lumpur, Malaysia. Das Signal der Dino I sei an geblieben, als sie am 27. September in Singapur einfuhr. Dann sei es für eine Woche verschwunden und am 5. Oktober vor der Küste Taiwans wieder aufgetaucht. „Dino I verstummte für ein paar weitere Tage, ehe sie sich vor der Küste Südkoreas zurückmeldete und ihre Ladung am 13. Oktober im chinesischen Hafen Dalian löschte.“
Manipulationsversuch
Der Bericht könnte vermuten lassen, dass es sich um eine Fehlfunktion des Senders handelt, zumal das Signal ja bei der Einfahrt in zwei Häfen eingeschaltet war. Doch Berichte über viele derartige Fälle bestätigen, dass es sich um Absicht handelt.
So sieht es auch Samir Madani, der die Website tankertrackers betreibt, die Nutzern gegen Zahlung einer Gebühr Informationen über die Aktivitäten von Öltankern liefert.
Der Iran, so sagt er, sei früher ein Land gewesen, dessen tägliche Öltankerbewegungen er „innerhalb von Minuten“ habe verfolgen können. „Wegen der Schiffe, die ihre AIS-Sender ausschalten, um ihre Fahrten zu verschleiern, nimmt es nun den größten Teil des Tages in Anspruch.“ Noch im Sommer seien es nicht mehr als zwei Schiffe pro Tag gewesen, die ihr Auslaufen aus dem Iran oder ihre Ankunft etwa in Syrien hätten verschleiern wollen. Seit Oktober indessen seien nur noch wenige Abfahrten öffentlich sichtbar, die meisten hingegen nicht. „Als Exporteur verheimlichen sie nun – zumindest im Verhältnis – ebenso viele auslaufende Schiffe, wie Israel die Ankunft von Schiffen aus Ländern wie Russland, Angola, dem Kongo, Nigeria, Aserbaidschan oder den Kurdenregionen im Nordirak via Türkei verheimlicht.“
Nun ist AIS nicht die einzige Methode, um Schiffe zu orten; auch mithilfe von Satellitenbildern lässt sich sehen, wo sich ein Supertanker gerade befindet, es ist nur etwas aufwendiger. China, Indien, die EU und die Türkei waren Madanis Recherchen zufolge im September die größten Empfänger iranischen Öls. Seine Informationen sind so genau, dass er sogar die Menge des Öls auf das Barrel genau beziffert. Was soll das Versteckspiel dann überhaupt? Barani hat eine Hypothese: „Uns ist aufgefallen, dass diese Aktivitäten zugenommen haben, als der Preis des Brentöls [Europas wichtigste Ölsorte], über 80 Dollar stieg. Der Iran profitiert davon, wenn die Welt glaubt, er würde weniger exportieren, als er es wirklich tut. Der Preis steigt aufgrund der Angst, dass weniger Barrel auf dem Markt sind, während die Ausfuhren in Wahrheit konstant bleiben.“
Sollte das das Ziel gewesen sein – immerhin klingt es plausibel –, dann ist die Taktik nur anfänglich aufgegangen: Zwar stieg der Ölpreis an den Weltmärkten von Mitte August bis Anfang Oktober um 20 Prozent; seither aber ist er deutlich gefallen und hat, wenige Tage vor Inkrafttreten der neuen Sanktionen, den Jahrestiefststand von August fast wieder erreicht.
Die Kollision der Sanchi
Eine Folge hat das Ausschalten des AIS auf jeden Fall: Es macht den Schiffsverkehr unsicherer. Bei früheren Schiffskollisionen hat sich nämlich gezeigt, dass es in Zeiten von AIS Kapitäne gibt, die auf einen Ausguck oder permanentes Beobachten des Radars verzichten, und sich stattdessen allein auf das AIS verlassen. Fährt ein Schiff ohne AIS, ist es für solche Kapitäne unsichtbar. Ein ausgeschaltetes AIS könnte möglicherweise mitverantwortlich für die verheerende Schiffskatastrophe gewesen sein, die sich am 6. Januar im ostchinesischen Meer ereignete. Die Sanchi, ein unter panamaischer Flagge fahrender Tanker der staatlichen iranischen Ölgesellschaft NIOC, war nach einer Kollision mit dem chinesischen Massengutfrachter CF Crystal vor der Küste Chinas in Brand geraten und sank acht Tage später. Alle 32 Seeleute an Bord der Sanchi kamen ums Leben. Recherchen des Wall Street Journal ergaben, dass das AIS Stunden vorher abgeschaltet worden war.