Weder Israel noch der Westen dürfen von einer Änderung der schiitisch-apokalyptischen Weltsicht oder der aggressiven regionalen Aktionen des iranischen Regimes ausgehen.
Dan Diker
Nach der Amputation von zwei Armen des iranischen Regimes – der Hamas im Gazastreifen und der Hisbollah im Libanon – durch Israel und dem anschließenden Zusammenbruch seiner syrischen Satrapenprovinz mag es so aussehen, als wären die Mullahs von Teheran neutralisiert worden. Das Regime stellt jedoch nach wie vor eine nukleare Bedrohung dar.
Die Islamische Republik sieht diese Rückschläge als Bestätigung der Notwendigkeit, eine nukleare Abschreckung gegen Israel zu etablieren. Dies wird durch einen Artikel des Chefredakteurs der mit dem Korps der Islamischen Revolutionsgarde (IRGC) verbundenen Zeitung Javan belegt, der am 26. Oktober dieses Jahres veröffentlicht wurde und in dem Gholamreza Sadeghian auf die wachsenden Bestrebungen im Iran hinweist, eine Nuklearmacht zu werden.
Der Oberste Sicherheitsrat hat außerdem dazu aufgerufen, die Fatwa des Obersten Führers gegen Atomwaffen neu zu bewerten, »weil sich die Umstände geändert haben«. Am 23. November schlug das Mitglied des Nationalen Sicherheitsausschusses des Parlaments Ahmad Ardestani, der schon den Austritt aus dem Atomwaffensperrvertrag (NVV) gefordert hatte, vor, der Iran sollte den nordkoreanischen Weg einschlagen: »Der Westen legt sich nicht mit Nordkorea an, weil das Land über Atombomben verfügt.«
Diese Erklärungen lassen vermuten, dass der Iran seine Bemühungen um den Erwerb von Nuklearkapazitäten beschleunigt. Gleichzeitig ist das Regime verwundbar, nachdem die israelische Luftwaffe kürzlich seine Luftabwehr ausgeschaltet und damit wertvolle militärische Ziele für nachfolgende Angriffe offengelegt hat. Folglich wird Teheran wahrscheinlich weitere Anschläge auf Israel vermeiden, bis die Islamische Republik über umfassende Nuklearkapazitäten verfügt.
Die operative Bedrohung ist keine bloße Vermutung: Nachdem der Iran heuer bereits zweimal rote Linien überschritten hat, indem er Israel einmal im April und einmal im Oktober direkt angriff und Uran auf sechzig Prozent anreicherte, steht das Regime kurz vor der nuklearen Ziellinie.
Apokalyptisches Regime
Sollte der Iran sich für einen Ausbau zur Atommacht entscheiden, würde er zunächst eine Atombombe in einer seiner zahlreichen Wüsten zünden, wahrscheinlich in der großen und abgelegenen Dasht-e-Kavir im Norden des Landes. Das Regime hofft, eine solche Detonation werde Feinde, »Freunde« und die Großmächte davon überzeugen, dass der Iran ein nuklearer Akteur ist.
Das IRGC, das die operative Kontrolle über die Nuklearprogramme innehat, ist sich bewusst, dass solche Wüstendetonationen Israel möglicherweise nicht davon abhalten werden, die wichtigsten Atomstandorte anzugreifen. Die Revolutionsgarde und die Nukleartechniker werden wahrscheinlich ihre Bemühungen zur Entwicklung von einsatzfähigen Atomwaffen beschleunigen. Die Anbringung eines transportablen Atomsprengkopfs im bestehenden ballistischen Raketenarsenal des Irans bleibt kompliziert, ist aber letztlich machbar. Israel infiltrierte den Iran im Jahr 2018, entwendete die Bombenpläne des IRGC und veröffentlichte anschließend Fotos und Blaupausen eines Atombombenkerns.
Das Korps der Islamischen Revolutionsgarde ist sehr daran interessiert, Israel und die USA am Angriff der nuklearen Ziele zu hindern und zeitgleich von Russland und Nordkorea Know-how über die Herstellung von Waffen zu erhalten. Es besteht dann die reale Gefahr, dass die mächtige revolutionäre Clique alternder theokratischer Eiferer die Apokalypse heraufbeschwört, indem sie versucht, eine ballistische Rakete mit einem nuklearen Sprengkopf gegen Israel abzufeuern; insbesondere, wenn ihr Regime unmittelbar vor dem Zusammenbruch steht.
Israelische und westliche Entscheidungsträger dürfen nicht davon ausgehen, dass das iranische Regime seine apokalyptische schiitisch-theologische Weltsicht ändern oder seine aggressiven regionalen Aktionen einstellen wird, um sich den sich ändernden Machtverhältnissen anzupassen. Es gibt immer noch genügende »wahre Gläubige« in der Regimehierarchie, welche die mittelalterlichen Theoreme des Schiismus vertreten, nämlich, dass die Apokalypse das globale »Goldene Zeitalter« des Schiismus einläuten wird, um davon auszugehen, dass das Regime in einer existenziellen Krise nicht irrational handeln wird. Der Westen muss sich dieses Risikos bewusst und darauf vorbereitet sein, präventiv zu handeln.
Dan Diker ist Präsident des Jerusalem Center for Public Affairs und langjähriger Leiter des dortigen Counter-Political Warfare Project. (Der Text erschien auf Englisch zuerst beim Jewish News Syndicate. Übersetzung von Alexander Gruber.)