Im Gegensatz zu Syrien, das dabei ist, sich in der Weltordnung neu zu positionieren, verharrt der Iran in starren Strukturen, die das Land immer mehr in den Abgrund führen.
Farzad Amini
Das bis kürzlich von Bürgerkrieg, Terrorismus und weitreichender Zerstörung heimgesuchte Syrien zeigt heute Anzeichen einer Rückkehr zum wirtschaftlichen Leben und zur internationalen Diplomatie. Einst als »regionaler Kriegsschauplatz« bezeichnet, versucht Syrien nun vorsichtig, sich in der sich wandelnden Weltordnung neu zu positionieren. Die Wiedereröffnung von Botschaften, die Teilnahme an regionalen Gipfeltreffen und die Wiederaufnahme der Beziehungen zu Wirtschaftsmächten sind allesamt Zeichen für eine bewusste, wenn auch langsame Bewegung hin zum Wiederaufbau der internationalen Beziehungen.
Obwohl das Land nach wie vor mit Unsicherheit, Armut, ethnischen und religiösen Spannungen und Massenvertreibungen zu kämpfen hat, ist der Wille zum Wiederaufbau und zur Wiederannäherung deutlich zu spüren – ein Wille, der in Ländern wie dem Iran kaum oder gar nicht vorhanden ist.
Sackgasse
Die Geschichte des Irans präsentiert sich denn auch in einem ganz anderen Licht. Ein Land, das mit immensen natürlichen Ressourcen, einer strategisch günstigen Lage und einer hochgebildeten Bevölkerung gesegnet ist, befindet sich in einer tiefen politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Sackgasse. Obwohl der Iran den Verwüstungen eines Bürgerkriegs entgangen ist, bleibt er in verfallenden und starren Strukturen gefangen, die sich seit Langem jeglichen Reformen widersetzen. Diese Strukturen, die sich hinter hohler Rhetorik von Religion, Sicherheit oder Unabhängigkeit verbergen, funktionieren ohne Rechenschaftspflicht und legen den Schwerpunkt auf Selbsterhaltung des Regimes um jeden Preis – auch, wenn dieser Preis die Zukunft einer ganzen Nation bedeutet.
Unter diesen Bedingungen leiden vor allem die jungen Menschen. Anstatt Motor für Entwicklung und Innovation zu sein, sind sie zum Symbol für Arbeitslosigkeit, Hoffnungslosigkeit, Sucht und Massenauswanderung geworden. Da ihnen ein dynamisches Bildungssystem vorenthalten wird, ihnen eine echte politische Teilhabe verwehrt bleibt und sie keine vielversprechenden Zukunftsperspektiven haben, sind sie gezwungen, zwischen Überleben und Exil zu wählen: eine grausame Dichotomie, die das systemische Versagen des Regimes offenbart.
Zentrale Frage
Doch die zentrale Frage bleibt: Warum kommt es trotz der weit verbreiteten Unzufriedenheit, der wiederkehrenden Proteste und der anhaltenden Krisen zu keinen grundlegenden Veränderungen im Iran?
Die Antwort liegt in einem komplexen Geflecht aus kulturellen, historischen und psychologischen Faktoren. Eine Gesellschaft, die lange Zeit unter Unterdrückung gelitten hat, kann sich an Untätigkeit gewöhnen – aber das ist nur ein Teil der Geschichte. So halten bestimmte Teile der Bevölkerung weiterhin an überholten Lösungen fest, die sich wiederholt als gescheitert erwiesen haben. Die Nostalgie für vergangene Regierungsformen, das Recycling längst diskreditierter Persönlichkeiten und Ideologien sowie die Sehnsucht nach atavistischen Systemen, die nicht in der Lage sind, eine moderne, partizipative Gesellschaft zu regieren – all dies führt zu einer allgemeinen Trägheit.
Doch dieses Festhalten an alten, ausgereizten Wegen bietet keine Rettung, sondern vertieft die Krise nur noch. Eine geschichtsgebundene Denkweise und die Wiederholung gescheiterter Modelle dienen allein der Aufrechterhaltung des schlechten Status quo. Doch in der Zwischenzeit entwickelt sich die Welt weiter, Technologie definiert Macht neu, und Gesellschaften, die nicht bereit sind, an diesem Fortschritt teilzuhaben, bleiben unweigerlich zurück.
Ein weiteres Hindernis für Veränderungen ist das kulturelle Monopol des Regimes und seine Unfähigkeit bzw. sein Unwille, einen echten Dialog zwischen den verschiedenen ethnischen, religiösen und ideologischen Gruppen zu fördern. Das vorherrschende Narrativ versucht nach wie vor, den Menschen eine einheitliche Definition der »authentischen iranischen Identität« aufzuzwingen und andere Definitionen zu marginalisieren oder gar zu leugnen. In einem solchen Umfeld ist der Aufbau einer zwanglosen Identität praktisch unmöglich, solange echte Inklusion fehlt und Minderheiten nur in Krisenzeiten anerkannt werden, um sie zu beruhigen und anschließend schnell wieder an den Rand zu drängen.
Um diesen Stillstand zu überwinden, ist vor allem ein kollektiver Wille erforderlich, ein aus der Bevölkerung stammender und basisdemokratischer Wunsch nach Veränderung, und keine Anordnung von oben. Die iranische Gesellschaft muss sich also entscheiden, nicht länger in einer historischen Schleife des Scheiterns gefangen sein zu wollen. Intellektuelle, zivilgesellschaftliche Aktivisten und »normale« Bürger müssen begreifen lernen, dass Untätigkeit und Stillhalten die Gräben vertieft und Neutralität angesichts von Ungerechtigkeit eine Form der Komplizenschaft ist. Selbstverständlich hält sich die Führung auch dank massiver Repression jeglicher Opposition an der Macht, aber kein autoritäres Regime kann ohne die Trägheit und das Schweigen seiner Bevölkerung auf Dauer überleben.
Schicksalhafte Antwort
Ein Blick auf die Geschichte des Irans zeigt, dass die Keime des Wandels schon immer vorhanden waren: von der Verfassungsrevolution über die Frauenrechtsbewegung bis hin zu den jüngsten Aufständen und ethnischen und kulturellen Forderungen. Diese Bewegungen spiegeln einen lebendigen, anhaltenden Willen innerhalb der Gesellschaft wider.
Doch diesmal dürfen die Fehler der Vergangenheit nicht wiederholt werden. Der Weg in die Zukunft muss auf Demokratie, sozialer Gerechtigkeit, Respekt vor Vielfalt und der Bereitschaft zum offenen Dialog aufgebaut sein. Freiheit und Gleichheit sind keine abstrakten Ideale mehr, sondern unverzichtbare Voraussetzungen für das Überleben und Wachstum dessen, was der Iran ohne das unterdrückerische Regime sein könnte.
Solange das Land und seine Bevölkerung in verfallenden Strukturen, kultureller Exklusivität und historischen Illusionen gefangen bleibt, wird der Iran nicht nur daran scheitern, sich der freien Welt anzuschließen, sondern sogar hinter Nachbarländer wie Syrien zurückfallen, das trotz seiner Zerstörung zumindest versucht, den Wiederaufbau zu meistern.
Die entscheidende Frage bleibt: Wie lange noch? Wie lange muss eine Bevölkerung, die ein Recht auf ein Leben in Freiheit und Sicherheit hat, noch den Preis für ein System zahlen, das sie weder gewählt hat noch reformieren kann? Wird der Tag kommen, an dem die gesamte Bevölkerung – unabhängig von ethnischer Zugehörigkeit, Religion oder Sprache – gemeinsam für eine freie, gerechte und inklusive Zukunft eintritt? Die Antwort auf diese Frage wird über das Schicksal der Iraner und ihrem Land entscheiden.