Iran: Die Folgen der Dominanz Ali Khameneis

Iran Oberster Geistlicher Führer, Ali Khamenei. (© imago images/ZUMA Press Wire)
Iran Oberster Geistlicher Führer, Ali Khamenei. (© imago images/ZUMA Press Wire)

Die autoritäre Struktur, in deren Zentrum der Oberste Führer Ali Khamenei steht, kann nicht reformiert werden. Es braucht eine strukturelle Transformation.

Farzad Amini

Äußerungen von Masoud Peseschkian, dem unlängst neu gewählten iranischen Präsidenten, über die direkte Beteiligung von Ali Khamenei, dem Obersten Führer der Islamischen Republik, an der Auswahl der Mitglieder des Regierungskabinetts, haben in der politischen und gesellschaftlichen Sphäre des Landes ein breites Echo gefunden. Peseschkians Bemerkungen unterstreichen nicht nur die überwältigende und allgegenwärtige Rolle Khameneis in der politischen Struktur, sondern stellen die Gesellschaft gleichzeitig vor tiefgreifende gesellschaftspolitische und psychologische Herausforderungen.

Gerade in einer Zeit, in der das Land mit zahlreichen wirtschaftlichen, sozialen und politischen Krisen konfrontiert ist, zeigt sich die dringende Notwendigkeit einer gründlichen und kritischen Untersuchung der Situation.

Scheinautorität

Seit der Islamischen Revolution von 1979 ist die Rolle der Führung in der Regierungsstruktur immer wieder ein Diskussionsthema gewesen. Mit der Verankerung des Konzepts des Velayat-e Faqih (Statthalterschaft des Rechtsgelehrten) in der Verfassung erreichten die Macht und der Einfluss des Obersten Führers ein Niveau, bei dem alle staatlichen Institutionen, einschließlich der Exekutive, der Justiz und der Islamischen Beratenden Versammlung (dem Parlament), unter seinem direkten und indirekten Einfluss standen.

Das hat dazu geführt, dass die Regierungen trotz des Anscheins, aus demokratischen Wahlen hervorgegangen zu sein, bei wichtigen Entscheidungsprozessen in ihren Handlungen über keine Unabhängigkeit verfügen. Und dieser Umstand wird auch gar nicht verschwiegen: Politische Führer der Islamischen Republik haben immer wieder betont, dass die wichtigsten politischen Entscheidungen des Landes, insbesondere in sensiblen Fragen wie der Außenpolitik und dem Atomprogramm, in Abstimmung und unter der Leitung des Obersten Führers getroffen werden.

Vor diesem Hintergrund spiegeln Peseschkians Äußerungen über die Einmischung Khameneis bei der Besetzung von Ministerposten nur eine Realität wider, auf die Politiker und internationale Beobachter seit Jahren hinweisen. Sie haben wiederholt betont, dass das iranische Verhandlungsteam bei wichtigen Verhandlungen wie dem Atomabkommen vom Juli 2015 (Joint Comprehensive Plan of Action/JCPOA) lediglich als Vollstrecker der Entscheidungen des Obersten Führers fungiert. In Wahrheit besitzen iranische Verhandlungsteams lediglich scheinbare Autorität und verfügen in all den von ihnen getroffenen Entscheidungen nur über eine höchst ausgehöhlte und beeinträchtige Unabhängigkeit. Das schmälert selbstverständlich deren Glaubwürdigkeit nicht nur gegenüber der internationalen Gemeinschaft, sondern zieht auch Konsequenzen im Land nach sich.

Menschen wenden sich ab

Denn innenpolitisch verstärken der Einfluss Khameneis auf die Auswahl von Ministern und seine direkte Kontrolle über Regierungsangelegenheiten den erheblichen Rückgang des öffentlichen Vertrauens in die Regierung und die staatlichen Institutionen. Die Menschen haben nicht zu Unrecht das Gefühl, dass ihre Wahlentscheidungen bedeutungslos sind, weil die von ihnen Gewählten lediglich als Werkzeuge zur Umsetzung der Befehle des Obersten Führers fungieren.

Die Verzweiflung und Machtlosigkeit in der Bevölkerung führen in Bezug auf die offiziellen Institutionen des Landes zu politischer Apathie und einem Rückgang der Partizipation an öffentlichen Angelegenheiten. Ausdruck dessen ist die von Wahl zu Wahl weiter schrumpfende Beteiligung: Sowohl bei der Parlamentswahl im Frühjahr als auch bei der Präsidentenwahl im Sommer lag sie trotz aller Manipulationsversuche des Regimes bei gerade einmal vierzig Prozent.

Die gesellschaftlichen Wirkungen dieses Autoritarismus sind nicht zu unterschätzen. Er unterdrückt Kreativität, Innovation und kritisches Denken und will die Menschen dazu bringen, den Status quo, wenn schon nicht zu unterstützen, so doch zumindest als unvermeidliches Schicksal zu akzeptieren. Die Folgen sind die Stagnation des Fortschritts und der Entwicklung des Landes, die Schwächung des sozialen Zusammenhalts und eine generelle Passivität der Bevölkerung.

Davon ist nicht nur die breite Masse betroffen, sondern auch die politische und gesellschaftliche Elite. Peseschkians Äußerungen über die Einmischung Khameneis führen selbst unter jenen zu Desillusionierung, die sich noch Hoffnungen auf eine Veränderbarkeit der Politik und Reformen des Systems gemacht haben. Die Folge ist ein Rückzug aus der Politik, und wer kann, wandert ins Ausland aus und trägt damit zu einer weiteren menschlichen und intellektuellen Schwächung des Landes bei. Die soziale Basis des Regimes schrumpft noch weiter, als dies in den Jahrzehnten seit der Revolution von 1979 und wiederkehrenden Wellen der Repression ohnehin schon geschehen ist.

Strukturelle Transformation

Die Äußerungen von Präsident Masoud Peseschkian warfen ein Licht auf die Dominanz Khameneis über alle wesentlichen Angelegenheiten des Staates und der Politik. Sie erfolgten in einer Zeit, in der die vermeintlich demokratischen Bestandteile des Systems immer weiter zurückgedrängt werden und das Land sich immer mehr in Richtung einer bloßen Diktatur des Obersten Führers entwickelt, in der der Wille einer einzigen Person alle Regierungszweige überschattet und gewählten Institutionen lediglich eine symbolische und dekorative Rolle zukommt. An grundlegende Reformen innerhalb der gegebenen politischen Struktur glaubt kaum jemand mehr.

Der breiten Öffentlichkeit und den Eliten des Landes wird immer klarer, dass ernsthafte Veränderungen nur möglich sind, wenn diese zentralisierte Machtstruktur der Islamischen Republik infrage gestellt wird. Notwendig sind strukturelle Transformationen, welche die Wurzeln der Diktatur beseitigen und Raum für echte Demokratie schaffen.

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