Der tödliche Hubschrauberabsturz des iranischen Präsident Ebrahim Raisi erfolgte ausgerechnet in der Region Aserbaidschan, die seit dem Pahlavi-Regime systematisch zugunsten einer persischen Hegemonie in allen Bereichen unterdrückt wird.
Turkan Bozkurt
Während nach dem Tod von Präsident Ebrahim Raisi in vielen iranischen Städten Feuerwerkskörper den Himmel erhellten, blieben die Erfahrungen der verschiedenen iranischen Minderheiten, insbesondere der aserbaidschanischen Bevölkerung, im Verborgenen. In den persischsprachigen iranischen Medien im In- und Ausland werden die Stimmen dieser Minderheiten oft ignoriert oder falsch wiedergegeben, sodass ihre Geschichten nicht erzählt werden.
Aserbaidschaner interpretierten Raisis Tod als eine Form kosmischer Gerechtigkeit, als Rache, da Raisi just in der Region starb, in der er so viel Unheil angerichtet hatte. Dass der Ort von Raisis Hubschrauberabsturz in der Provinz Ost-Aserbaidschan liegt, ist für die aserbaidschanische Bevölkerung und die Aktivisten von besonderer Bedeutung.
Diskriminierung
Der Ausdruck »Land des Feuers« wird oft verwendet, um die aserbaidschanische Region zu beschreiben, und hat große historische Bedeutung. Diese Region wurde während der Herrschaft des türkischen Qajar-Reichs geteilt. Die nördliche Hälfte fiel unter die Herrschaft des Russischen Reichs und erlangte schließlich nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion ihre Unabhängigkeit. Obwohl die Aserbaidschaner im Süden 1945 ebenfalls eine nationale Regierung unter der Führung von Präsident Ja’far Pishevari ausriefen, währte diese nur ein Jahr lang, bevor die Region vom iranischen Pahlavi-Regime zurückerobert und Tausende von Menschen massakriert wurden.
Der Prozess der internen Kolonisierung und Assimilierung im Iran dauert seit dem Pahlavi-Regime an und setzt die systematische Unterdrückung der Sprachen, Religionen und Kulturen ethnischer Minderheiten zugunsten einer persischen Hegemonie fort. Das Verbot von Bildung in der Muttersprache, die Änderung der Namen von ihren aserischen Ursprüngen in persische Entsprechungen und die Schaffung sozioökonomischer Ungleichheiten mit geringerem Zugang zu hochrangigen Regierungspositionen und Bildungsmöglichkeiten sind nur einige Beispiele für die Diskriminierung der aserbaidschanischen Region im Iran.
Darüber hinaus gibt es in den iranischen Medien und im alltäglichen Umgang mit Menschen aus Aserbaidschan nach wie vor abwertende Stereotypen und Vorurteile gegenüber Aserbaidschanern, die ein schädliches Umfeld schaffen. Diese Praktiken tragen insgesamt zur systematischen rassistisch motovierten Diskriminierung von Aserbaidschanern im Iran bei.
Friedliche Proteste gegen diese Ungerechtigkeiten wurden immer wieder mit Gewalt und Brutalität beantwortet, wobei Demonstranten willkürliche Verhaftungen, Folterungen und Tod drohten. Darüber hinaus wurde unter Raisis Präsidentschaft eine strengere Haltung gegenüber Veröffentlichungen in Minderheitensprachen und kulturellen Aktivitäten eingenommen. Dieser unerbittliche Kreislauf der Unterwerfung hat zu einer historischen und kulturellen Auslöschung geführt, die darin resultiert, dass sich viele Aserbaidschaner in ihrem eigenen Heimatland ausgegrenzt und entmachtet fühlen.
Die aserbaidschanische Bevölkerung ist mit einer ungleich hohen Umweltbelastung konfrontiert, da ihre Ressourcen ohne Entschädigung gestohlen werden und ihr Land verschmutzt wird. Beispiele wie Ardabil, wo Chemiefabriken in landwirtschaftliche Nutzflächen eindringen, und die langsame Austrocknung des Urmia-Sees erinnern schmerzlich an die durch Vernachlässigung und Ausbeutung verursachte Umweltzerstörung.
Lobgesang auf die Freiheit
Viele Menschen sehen in Raisis Tod einen symbolischen Akt der Vergeltung, ein passendes Ende für einen Mann, der für Unterdrückung und Grausamkeit im ganzen Land berüchtigt war. Die ergreifenden Verse des berühmten aserbaidschanischen Dichters Ashiq Hojjet, die in einem Epos verewigt wurden, haben bei vielen Aseris tiefen Eindruck hinterlassen. Hojjets Verse fangen das Wesen von Raisis Verbrechen gegen die Menschlichkeit ein und zeichnen ein lebendiges Bild des Leidens und des Widerstands. Sie wurden in vielen Videos verwendet, die über soziale Medien verbreitet wurden.
Bir xalqın belin bükən /
Er, der den Rücken eines Volkes beugt /
Nahaq yerə qanın tökən /
Der Blut vergießt, ohne Gerechtigkeit zu üben /
Bir bədəni iki bölən /
Der einen Körper in zwei Hälften spaltet /
Quduz tək sinələr sökən /
Der wutentbrannt Brustkörbe aufreißt/
Azadlığa həsrət qoyan /
Der die Sehnsucht nach Freiheit entfacht /
Sazı boğazlarda boğan /
Der das Lied in seiner Kehle erstickt /
Anaları ağlar qoyan /
Der die Mütter weinen lässt /
Igidləri darda boğanb /
Der die Tapferen mit dem Strick zum Schweigen bringt /
Özü ağlar qalacaq /
Er wird selbst weinend zurückbleiben /
Özü darda qalacaq /
Er selbst wird in großer Gefahr sein /
Azərbaycan yurdunun alovunda yanacaq.
Und wird im Feuer des aserbaidschanischen Landes verbrennen.
Die Videos sind ein eindrucksvolles Zeugnis für die Wahrheit der Erzählung des Epos. Sie beginnen mit eindringlichen Bildern derjenigen, die dem Raisi-Regime zum Opfer fielen und bei Protesten ermordet oder durch die Todesstrafe zum Schweigen gebracht wurden, und werden mit lebensfrohen Szenen – Tanzen, Singen, Leben – kontrastiert.
Die Erzählung wird unmittelbar mit realen Videos von trauernden Müttern kontrastiert, die weinen und die Gräber ihrer Kinder umarmen, zugleich mit den Worten »naları ağlar qoyan« (»der die Mütter weinen lässt«). Während der letzten drei Verse des Crescendos verlagert sich die Bildsprache der Videos auf das Wrack von Raisis Hubschrauberabsturz, was die Wahrhaftigkeit der Worte »Azərbaycan yurdunun alovunda yanacaq« (»Und wird im Feuer des aserbaidschanischen Landes brennen«) widerspiegelt.
Es ist wichtig, sich daran zu erinnern, dass Ebrahim Raisis Absturz zwar in einem Flammenmeer erfolgte, als er im Land des Feuers abstürzte, was aber nur sein persönliches Ende bedeutete und nicht das Ende der Tyrannei im Iran. Der Kampf für Gerechtigkeit und Freiheit für alle unterdrückten Minderheiten, einschließlich des aserbaidschanischen Volks, wird weitergehen. Bei den Feiern anlässlich des Tod dieses ungebildeten Tyrannen geht es nicht nur um den Sturz eines Einzelnen, sondern um eine kollektive Bekräftigung der Widerstandsfähigkeit und Entschlossenheit derjenigen, die weiterhin unter dem iranischen Regime leiden.
Turkan Bozkurt ist Menschenrechtsaktivistin mit Sitz in Montreal. Sie erwarb ihren Master an der Universität Toronto, wo sie sich auf Minderheiten im Nahen Osten, insbesondere im Iran und in Aserbaidschan, konzentrierte. (Der Text erschien auf Englisch zuerst beim Jewish News Syndicate. Übersetzung von Alexander Gruber.)