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Irak und Syrien: IS-Strukturen trotz Rückschlägen weiterhin bedrohlich

Trotz Rückschlägen droht immer noch Gefahr vom Islamischen Staat im Irak und in Syrien
Trotz Rückschlägen droht immer noch Gefahr vom Islamischen Staat im Irak und in Syrien (© Imago Images / Panthermedia)

Bei einer von den USA angeführten Militäroperation im Irak wurde ein schwerer Schlag gegen die Terrororganisation Islamischer Staat erzielt.

An der Razzia in der westirakischen Provinz Anbar Ende August nahmen mehr als zweihundert irakische und amerikanische Soldaten teil. Laut The Washington Post begann die Operation in den frühen Morgenstunden mit Luftschlägen auf vier Verstecke der Terrororganisation Islamischer Staat (IS). Dabei wurden vierzehn Kämpfer getötet und Waffen bzw. Munition zerstört. Die beschlagnahmten Dokumente, Computer und Smartphones werden derzeit ausgewertet und könnten zu weiteren Operationen führen.

Wie das US-Militär letzten Freitag berichtete, waren unter den Toten vier hochrangige IS-Mitglieder, darunter der tunesische Kommandeur Abu Ali al-Tunisi, auf den das amerikanische Finanzministerium ein Kopfgeld von fünf Millionen Dollar ausgesetzt hatte. Ebenfalls getötet wurden Ahmad Zwein, der stellvertretende IS-Kommandeur im Irak, Ahmad al-Ithawi, verantwortlich für die IS-Operationen im Irak und Shakir al-Issawi, der die militärischen Aktivitäten im Westirak überwacht hatte.

Auf amerikanischer Seite wurden sieben Soldaten verwundet, was eine verhältnismäßig hohe Zahl im Vergleich zu ähnlichen Einsätzen ist.

In Syrien auf dem Vormarsch

Auf seinem Höhepunkt erstreckte sich das Kalifat vom syrischen Aleppo bis nach Falludscha sechzig Kilometer vor Bagdad. Geschätzte 40.000 Kämpfer standen damals unter dem Kommando des selbsternannten Kalifen Abu Bakr al-Baghdadi.

Mit der Eroberung Mossuls im Jahr 2017 durch eine US-geführte Koalition endete das Kalifat im Irak. 2019 fiel mit Baghuz die letzte Hochburg im Osten Syriens. Die Miliz verlor zwar ihr Territorium, war aber nicht besiegt, sondern zog sich in abgelegene Regionen wie die Wüstengebiete zwischen Syrien und dem Irak zurück, wo sie sich neu organisierten.

Im Irak finden die Dschihadisten immer noch zahlreiche Rückzugsorte. »Sie lagern auf Inseln im Tigris oder in Tälern, graben Tunnel und verstecken sich in Höhlen«, erklärte der irakische General Tahsin al-Khafaji im Jahr 2022. Ein bekanntes Rückzugsgebiet sei das Hamrin-Gebirge im Nordosten des Iraks. Der unwegsame Bergrücken biete dem IS Schutz vor Bodenoffensiven und Luftschlägen. »Das ist schwieriges Gelände«, so al-Khafaji. Es sei für die Armee unmöglich, die Terroristen dauerhaft von dort zu vertreiben.

Auch die Wüstengebiete der Provinz Anbar, wo die jüngste Razzia stattfand, gelten als IS-Rückzugsorte. Die Provinzen Anbar und Ninive grenzen auf etwa 600 Kilometern an Syrien – ein Streifen, der sich nicht vollständig kontrollieren lässt. Dschihadisten können daher relativ ungehindert zwischen beiden Ländern pendeln. Ein UN-Bericht vom Sommer 2022 führte an, dass sich in dem irakisch-syrischen Grenzgebiet rund 10.000 IS-Kämpfer aufhalten sollen.

Auch Charles Lister, Direktor des Syrien- und Terrorismusbekämpfungsprogramms des Middle East Institute, warnt vor einem neuerlichen Erstarken der Dschihadisten. Obwohl es dem Irak gelungen sei, den IS im eigenen Land zu schwächen, sei das Erstarken der Gruppe in Syrien alarmierend. »Es sind diese langjährigen sicheren Zufluchtsorte des IS tief in der Wüste von Anbar, die konsequent bekämpft werden müssen, wenn wir ein mögliches Übergreifen der Terrororganisation von Syrien auf den Irak verhindern wollen«, zitiert die New York Times Lister.

Brutstätten der IS-Ideologie

Der Islamische Staat hat jedoch nicht nur militärische Stärke zurückgewonnen, auch seine Ideologie überlebte den Zerfall des Kalifats. In den Flüchtlingslagern des Iraks und Syriens sind nach wie vor Zehntausende Angehörige von IS-Kämpfern interniert. Allein im syrischen Al-Hol-Camp leben rund 50.000 Menschen, überwiegend Frauen und Kinder.

Wie The New Yorker berichtete, stammen die Häftlinge aus mehr als fünfzig Ländern. Viele der Frauen hatten sich dem IS angeschlossen oder waren mit Kämpfern der Terrorgruppe verheiratet. Obwohl das Camp von kurdischen Kräften bewacht wird, haben die Insassen faktisch die Kontrolle übernommen. Weibliche Religionspolizisten zwingen Frauen, sich mit dem Niqab zu verschleiern; bei Verstößen drohen Strafen durch Scharia-Gerichte. Experten warnen, dass diese Lager Brutstätten für eine neue Generation islamistischer Kämpfer sein könnten.

Bereits vor zwei Jahren begann die irakische Regierung, irakische Familien aus dem Al-Hol-Camp zurückzuholen und im Al-Jad’ah-Camp bei Mossul unterzubringen. Doch diese Rückführungen verlaufen nur schleppend, und auf lange Sicht ist das Leben in den Lagern keine Lösung. Die Menschen müssen irgendwann wieder in ihre Dörfer zurückkehren und in die Gesellschaft integriert werden. Diese Wiedereingliederung gestaltet sich jedoch schwierig, da die Betroffenen oft als Angehörige von IS-Kämpfern stigmatisiert werden.

US-Truppenabzug steht bevor

Wie die New York Times berichtete, erklärten der irakische Premierminister Mohammed al-Sudani und irakische Militärkommandeure, die Bedrohung durch den IS auch ohne US-Unterstützung unter Kontrolle zu halten. Dies unterstreicht die Forderung des irakischen Parlaments, wonach die US-Truppen den Irak verlassen sollen.

Der Abzug wird schon seit 2020 gefordert, nachdem die USA den iranischen Revolutionsgarde-General Qassem Soleimani am Flughafen von Bagdad töten ließen. Derzeit unterhalten die USA etwa 2.500 Soldaten im Irak und weitere 900 im benachbarten Syrien. Diese wiederum sind logistisch von der amerikanischen Präsenz im Irak abhängig.

Wie Der Standard meldete, steht eine Einigung über den Truppenabzug bevor. In einer ersten Phase sollen bis September 2025 hunderte US-Soldaten abgezogen werden, der Rest, der sich auf Erbil konzentriert, die Hauptstadt der kurdischen Autonomieregion, soll Ende 2026 das Land verlassen. Bereits 2011 führte der Abzug der amerikanischen Truppen zum rasanten Aufstieg des IS, der schließlich in der Ausrufung des Kalifats mündete. Ob der Irak diesmal die Bedrohung eigenständig abwehren kann, bleibt offen.

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