Nachdem es im Irak seit zehn Monaten nicht gelungen ist, eine Regierung zu bilden, legt der Schiitenführer Muqtada al-Sadr all seine Ämter nieder. Dem Land könnte eine unruhige Zukunft bevorstehen.
Nach mehr als zehn Monaten des politischen Stillstands im Irak hat der schiitische Geistliche und Gewinner der Wahlen im Jahr 2021, Muqtada al-Sadr, am Montag seinen »endgültigen Rückzug« aus der Politik angekündigt: »Ich habe beschlossen, mich nicht mehr in politische Angelegenheiten einzumischen, und verkünde nun meinen endgültigen Rücktritt und die Schließung aller [Partei-]Institutionen«, sagte Sadr in einer Erklärung und fügte hinzu, dass der Heilige Schrein, das Heilige Museum und Sadrs Erbschaftsbehörde die einzigen Orte sein werden, die geöffnet bleiben.
Sadr kündigte seinen Rücktritt bereits einen Tag vor Ablauf der Frist an, die er den irakischen politischen Parteien gesetzt hatte, als er am Samstag ein dreitägiges Ultimatum gestellt und erklärt hatte, er werde ein Regierungsabkommen nur mit denjenigen unterzeichnen, die seit 2003 an keiner Regierung beteiligt waren. »Wenn dies nicht zu erreichen ist, gibt es keinen Raum für Reformen, und dann gibt es für mich auch keinen Grund mehr, mich in das einzumischen, was in Zukunft passiert«, sagte er Samstag.
Sadrs Büro veröffentlichte am Montag auch eine an die Medien gerichtete Erklärung, in der es heißt, es sei nach der Auflösung der sadristischen Fraktion jedem strikt untersagt, in der Öffentlichkeit als deren Vertreter aufzutreten. Sadrs enger Mitarbeiter Salih Mohammed al-Iraqi hat am Montag seinen Telegram-Kanal und sein Twitter-Konto geschlossen, über die er oft als Sprecher seines Fraktionschefs fungierte.
Die politische Situation im Irak eskalierte Ende Juli, als Anhänger von Sadr große Demonstrationen in Bagdad organisierten und seine Loyalisten zweimal das Parlament stürmten und bis heute Sitzstreiks außerhalb der Grünen Zone veranstalten. Vergangenen Dienstag weiteten die Sadr-Anhänger ihre Proteste auf das Gebäude des Obersten Justizrats aus, nachdem ein Antrag Sadrs auf Auflösung des Parlaments von der Justiz mit der Begründung abgelehnt worden war, dass das Gremium nicht befugt sei, sich in Angelegenheiten der Legislative oder Exekutive einzumischen.
Der Irak hatte im Oktober vorgezogene Parlamentswahlen abgehalten, aber Unstimmigkeiten verhinderten bislang, dass es zur Bestimmung eines Präsidenten und eines Premierministers kommen konnte. Sadr, dessen Bewegung mit 73 Sitzen die Wahl für sich entscheiden konnte, forderte im Juni alle seine Abgeordneten auf, aus dem Parlament auszutreten, sodass der Koordinationsrahmen, in dem die pro-iranischen Milizen vereint sind, nun die größte Koalition im Parlament bildet.
Anhänger des gegen den Iran auftretenden Sadr bezeichneten den vom Koordinationsrahmen vorgeschlagenen Premierminister als »korrupt« und warfen ihm enge Beziehungen zum ehemaligen Premierminister Nouri al-Maliki vor. Da sowohl die Pläne des Koordinationsrahmens zu einer Regierungsbildung als auch der Versuch der Sadristen, Neuwahlen anzusetzen, erfolglos blieben, ist der Irak nun seit zehn Monaten ohne Regierung.
Nach Bekanntwerden von Sadrs Rücktritt kam es zu Protesten und Zusammenstößen in Bagdad, die bislang zwei Todesopfer forderten. Nachdem Anhänger des Schiitenführers den Präsidentenpalst gestürmt hatten, verkündete der Irak eine nächtliche Ausgangssperre.