Nach anfänglicher Warnung vor der Gefahr der sunnitischen Taliban regiert nun die Freude über die Niederlage der USA und den Sieg des „Widerstands“.
Shelly Kittleson, Al-Monitor
Während sich die Welt auf das Ende der US-Militärpräsenz in Afghanistan und die rasche Übernahme des größten Teils des Landes durch die Taliban konzentriert, die mit der Übergabe von Kabul am 15. August ihren Höhepunkt erreichte, beobachten die Iraker die Entwicklung ganz genau.
Sowohl die Iraker als auch die Syrer haben unter dem Islamischen Staat und den Zerstörungen, die der Kampf gegen ihn angerichtet hat, sehr gelitten und sind besorgt darüber, was der Wendepunkt in Afghanistan für ihre Zukunft bedeuten wird.
Die Machtübernahme der Taliban ist zumindest eine Inspiration für radikale und terroristische Gruppen. Die Taliban verfügen über große Mengen an Ausrüstung, Fahrzeugen und Flugzeugen, die von den Vereinigten Staaten zurückgelassen wurden. Sie sind besser ausgebildet und scheinen mehr Unterstützung aus den Nachbarländern zu erhalten als zu der Zeit, als sie das Land zwischen 1996 und 2001 zum ersten Mal beherrschten. (…)
Zur Überraschung vieler scheint sich der Iran eher darauf zu konzentrieren, Kritik an den Taliban zu unterbinden, als der Gruppe Bedingungen zum Schutz der schiitischen Minderheit des Landes abzuringen. (…) Irans langjähriges Engagement in seinem westlichen Nachbarland Irak hat viel mehr Aufmerksamkeit erregt als sein Engagement in seinem östlichen Nachbarland Afghanistan.
Im Irak sprachen Mitglieder verschiedener bewaffneter und mit dem Iran verbundener schiitischer Gruppen zwar zunächst über die Gefahr durch die Machtübernahme Taliban und brachten sie mit den sunnitischen Extremisten von al-Qaida in Verbindung, schwiegen aber kurz darauf oder lobten sie sogar.
Ich erhielt am 27. Juli – während ich aus Kandahar berichtete, wo heftige Kämpfe tobten – eine Nachricht von Abbas al-Zaidi aus dem Politbüro der Kataib Sayyid al-Shuhada, einer Fraktion der schiitischen Volksmobilisierungskräfte (PMU). Darin wetterte Zaidi gegen eine Verschwörung der Vereinigten Staaten und Israels, die darauf abziele, „die Islamische Republik Iran zu destabilisieren“ und „das sektiererische Projekt durch die Taliban-Bewegung und den Kalifatstaat wiederzubeleben“, womit er offenbar den IS meinte. (…)
Eine am 30. August an Zaidi gerichtete Bitte um einen Kommentar zur Machtübernahme durch die Taliban und deren Bedeutung für die vom Iran geführte „Muqawama“ oder Widerstandsbewegung wurde nicht beantwortet.
Der Sprecher der Kataib Hisbollah, Mohamed Mohi, erklärte stattdessen am 30. August gegenüber Al-Monitor, die Kontrolle der Taliban über Afghanistan sei eine „große Niederlage für Amerika und seinen Einfluss in der zentralasiatischen Region“. Sowohl Kataib Sayyid al-Shuhada als auch Kataib Hisbollah sind mit dem Iran verbundene bewaffnete Gruppen, die unabhängig operieren, aber über Brigaden verfügen, die den offiziellen irakischen Streitkräften unterstellt sind.
Mohi fügte hinzu: „Der beschämende Rückzug Amerikas und der schnelle Zusammenbruch der afghanischen Regierung und ihrer Sicherheitskräfte haben bewiesen, dass unsere Überzeugung richtig ist, dass Amerika keine Sicherheitskräfte aufbaut, sie nicht unterstützt oder stärkt und Ländern nicht hilft, sich zu entwickeln.“
„Folglich ist die Akzeptanz der Taliban-Herrschaft eine Entscheidung des afghanischen Volkes, und wir respektieren ihre Entscheidung, vorausgesetzt, dass sie keine Bedrohung für ihre Nachbarn darstellt und keine Takfiri-Ideologie [Ideologie sunnitischer Jihadisten; Anm. Mena-Watch] übernimmt“, sagte er.
„Amerika ist ein Land, das sich nur um seine eigenen Interessen kümmert, auf Kosten der Interessen der Volker, und es arbeitet bloß daran, seinen Willen und seine Pläne durchzusetzen. Wir trauen Amerika nicht und glauben, dass seine Anwesenheit im Irak eine Bedrohung für unsere Sicherheit und Existenz darstellt. Deshalb arbeiten wir daran, sie mit allen Mitteln zu vertreiben.“
Aufmerksame Beobachter haben festgestellt, dass der Iran die Taliban seit vielen Jahren auf verschiedenen Weise unterstützt, ebenso wie einige afghanische Schiitenführer.
(Aus dem Artikel „Taliban victory inspires pro-Iran militias in Iraq“, der bei Al-Monitor erschienen ist. Übersetzung von Alexander Gruber.)