Spätestens nachdem Israel die iranische Stellvertretermiliz Hisbollah massiv geschwächt hat und das Assad-Regime in Syrien gestürzt wurde, geht der Irak auf Distanz zu Teheran.
Für das Regime in Teheran galt der Irak immer auch als Teil seiner selbsternannten »Achse des Widerstands« gegen Israel und die USA. Dafür hat der Iran in seinem westlichen Nachbarland viel investiert, ihm hörige schiitische Milizen nach dem Vorbild von Hisbollah und Huthi aufgebaut und immer wieder dafür gesorgt, dass trotz Verlusten an den Wahlurnen ihm freundlich gesonnene Regierungen in Bagdad an die Macht gekommen sind.
Nach Ausbruch des Gaza-Kriegs schossen die mit dem Iran verbundenen Milizen auch Raketen von irakischem Territorium auf Israel ab. Das Land galt somit als eine der vielen Schauplätze in diesem Mehrfrontenkrieg gegen Israel.
So richtig glücklich war aber eigentlich niemand in der irakischen Regierung über diese Entwicklung, denn schließlich unterhält Bagdad weiterhin gute und enge Beziehungen zu den USA, die das Land unter anderem in der Koalition im Kampf gegen den Islamischen Staat unterstützen. Und schon vor einigen Jahren präsentierten verschiedene irakische Politiker eine Vision für die Zukunft ihres Landes: Das sollte, gerade angesichts der eigenen blutigen Geschichte und der regionalen Verstrickungen, künftig möglichst neutral bleiben. Bagdad solle, so die Vorstellung, eine Art Genf des Nahen Ostens werden, ein Ort, an dem sich auch verfeindete regionale und internationale Mächte treffen könnten.
Diese Ideen gerieten nach dem 7. Oktober 2023 erst einmal ins Hintertreffen, denn Teheran übte enormen Druck aus, damit sich auch der Irak an militärischen Aktionen gegen Israel beteiligen möge. Offiziell tat die Regierung in Bagdad dies zwar nicht, ließ aber Milizen weitgehend gewähren. Dabei war allerdings auch klar, dass sie mit dieser Arbeitsteilung keineswegs glücklich gewesen ist und sich von Verwicklungen in diesen Krieg lieber früher als später verabschieden würde.
Schließlich ist die Sympathie mit der Islamischen Republik im Irak nicht gerade beeindruckend groß: Weder in der autonomen Region Irakisch-Kurdistan noch in den mehrheitlich von Sunniten bewohnten Gebieten des Zentraliraks mag man das schiitische Regime in Teheran besonders. 2019 hatte es sogar im schiitischen Südirak und in Bagdad massive Proteste gegen die damalige proiranische Regierung, aber auch das sie unterstützende Teheraner Regime gegeben, die nicht zuletzt von den iranisch unterstützten Milizen niedergeschlagen wurden.
Massive Schwächung
Nachdem Israel die iranische Stellvertretermiliz Hisbollah massiv geschwächt und ihren langjährigen Anführer Hassan Nasrallah getötet hatte und kurz drauf auch noch das Assad-Regime in Damaskus, einer der wichtigsten regionalen Verbündeten Teherans, gestürzt wurde, ging die irakische Regierung weiter auf Distanz zu Teheran. Hatte das dortige Regime offenbar im November noch gehofft, irakische Milizionäre würden in Scharen dem Diktator in Damaskus zu Hilfe eilen, sahen sie sich enttäuscht: Der einflussreiche Kleriker Muqtada al-Sadr, auf den viele dieser Milizionäre hören, winkte öffentlich ab und forderte den Irak auf, sich aus den inneren Angelegenheiten Syriens herauszuhalten.
Jüngst nun ging der irakische Außenminister angesichts des neu entflammten Kriegs im Gazastreifen noch einen Schritt weiter, vermutlich auch, um sich explizit von einem weiteren Element der iranischen Achse, den Huthi im Jemen zu distanzieren, und erklärte öffentlich, der Irak sei kein Teil der »Achse des Widerstands«, womit er offenbar auch versuchte, Israel davon abzuhalten, erneut Ziele im Irak anzugreifen:
»Der irakische Außenminister Fuad Hussein bekräftigte, dass der Irak kein Teil der sogenannten ›Widerstandsachse‹ sei, und lehnte das [iranische] Konzept der ›Einheit der Fronten‹ ab. Er betonte, dass er sich ausschließlich der ›irakischen Front‹ verpflichtet fühle. In einem Fernsehinterview kritisierte Hussein das Vorgehen einiger bewaffneter irakischer Gruppierungen in den vergangenen Monaten und erklärte, dass ihre Operationen ›dem Irak erheblich geschadet und der palästinensischen Sache nicht genützt‹ hätten.
Hussein gab bekannt, dass er sich weiterhin um eine Zusammenarbeit mit diesen Gruppierungen bemühe, um potenzielle Militärschläge externer Mächte, darunter die USA und Israel, gegen den Irak zu verhindern. Er betonte, wie wichtig der Dialog sei, um eine Katastrophe abzuwenden, die den Irak und die gesamte Region destabilisieren könnte. Der Außenminister äußerte sich besorgt und warnte, dass das Scheitern einer Einigung zu einer Eskalation der Spannungen führen und den Irak anfällig für Angriffe aus dem Ausland machen könnte.«
Solche Äußerungen wird man in Teheran, dem gerade seine Verbündeten wegbrechen, nur ungern hören. Doch auch dort weiß man, dass irakische Politiker – egal, welcher Couleur – längst versuchen, sich aus der Umarmung der Ayatollahs zu lösen und diesen Prozess eher beschleunigt voranzutreiben versuchen werden, da der Iran momentan in keiner Hinsicht einen attraktiven Partner darstellt.
Das Land befindet sich in der wohl schlimmsten Wirtschaftskrise seit Jahren, die Bevölkerung wünscht sich mehrheitlich ein Ende des Regimes und auch regional musste Teheran in den letzten Monaten schwere Niederlagen einstecken. Von seiner angestrebten Dominanz an Mittelmeer und Roten Meer, jenem quasi-imperialen Projekt, das unter Ayatollah Khamenei jahrelang und mit immensem finanziellen und militärischen Aufwand vorangetrieben wurde, ist wenig mehr als ein Trümmerhaufen geblieben.
Offenbar fürchtet die irakische Regierung nun, der Iran könne an ihr vorbei, wie schon im vergangenen Jahr, den mit ihm verbundenen schiitischen Milizen den Befehl geben, Israel mit Raketen oder Drohnen anzugreifen. Dies würde vermutlich zu heftigen Gegenreaktionen führen, an denen man in Bagdad jedoch nicht das geringste Interesse hat.