Mit der israelischen Historikerin Shulamit Volkov lässt sich verstehen, wie die deutsche „Initiative GG 5.3 Weltoffenheit“ BDS zu einem Dienstabzeichen im Kulturbetrieb zu machen droht.
Führende Kulturfunktionäre in Deutschland wollen BDS präsentieren, die anti-israelische Diffamierungskampagne. Aus der Kulturbranche selbst kam bisher kaum Widerspruch – hat das etwas mit Antisemitismus zu tun? Wenn man Shulamit Volkov folgt, dann ja. Aber anders, als man denkt. Die israelische Historikerin hat beschrieben, wie sich Judenfeindlichkeit im 19. Jahrhundert zu einem kulturellen Code aufgehübscht hat, zum Kürzel für einen Lebensstil, in dem sich politische, ästhetische und moralische Vorlieben gebündelt haben. Heute möchte die Initiative GG5.3 Weltoffenheit stylisch sein, das macht die Sache gefährlich: Wird BDS zum Dienstabzeichen im Kulturbetrieb?
Thomas Wessel
Im Dezember hat die „Initiative GG 5.3 Weltoffenheit“ – ein Bündnis von 32 staatsfinanzierten Kultureinrichtungen, zusammen eine Milliarde Euro schwer – ein eigenartiges „Plädoyer“ vorgestellt. Der Text schwingt hoch empor, es geht um „alternative Weltentwürfe“ und „gesellschaftliche Visionen“, um die „Gleichwertigkeit aller“ und „Anderssein als demokratische Qualität“, um „vielschichtige Solidaritäten“ und eine „Ästhetik der Differenz“.
„Die Schlusssätze waren herrlich, doch schwer im Kopf zu behalten, wisst ihr“, schrieb Joseph Conrad in „Herz der Finsternis“ über einen ähnlich emphatischen „Appell an alle selbstlosen Gefühle“. In Conrads Erzählung – sie schildert koloniale Herrschaft in Afrika – ist es Mr. Kurtz, Repräsentant einer Handelsgesellschaft, der sich als „Sendbote der Barmherzigkeit und der Wissenschaft und des Fortschritts und weiß der Teufel von was allem” platziert. Seinen Auftrag hat Kurtz – so wie die Initiative Weltoffenheit ihren – in überaus prächtigen Begriffen geschildert.
„Sie gaben mir die Vorstellung einer exotischen, von majestätischer Güte regierten Unendlichkeit. Ich war vor Begeisterung ganz kribbelig. Das also war die grenzenlose Macht der Eloquenz – der Worte – glühender edler Worte. Kein praktischer Hinweis, der den magischen Strom der Phrasen unterbrochen hätte, es sei denn …“
Es sei denn, man wollte die mitten in das Plädoyer hinein gekritzelte Forderung als „praktischen Hinweis“ nehmen, im Fall der Initiative Weltoffenheit lautet sie: Wir, Kulturdoyens der Republik, lehnen den antisemitischen BDS ab, wollen ihn aber andauernd einladen.
Antisemitismus als grassroots movement
So seltsam, wie sie diesen Wunsch eingespannt haben zwischen Weltentwürfen und Visionen, liegt es nahe, daran zu erinnern, dass sich nicht nur der europäische Kolonialismus, den Conrad beschreibt, als Sendbote der Barmherzigkeit begriffen hat, sondern eben auch der moderne Antisemitismus, auch er verstand sich als Teil einer „begeisternden Vision“.
Schreibt Shulamit Volkov. Die israelische Historikern hat die Entstehung des modernen Antisemitismus im 19. Jahrhundert erforscht, sie fasst ihn im Konzept des „kulturellen Codes“: Antisemitismus wird zum „Kennzeichen einer ganzen Subkultur“. Ein Phänomen, das sie nach Auschwitz erneut ausmacht. Es lohnt sich, mit Volkov über BDS nachzudenken:
- Der religiöse Antisemitismus, schreibt sie, galt im 19. Jahrhundert als überholt.
- Auch der wissenschaftliche Antisemitismus, sprich Rassismus, war nur „ein bequemer, aber nicht unverzichtbarer Ersatz für die überholten religiösen Kategorien“.
- Der parteipolitisch organisierte Antisemitismuskam nie über 2,5 % Stimmenanteil hinaus.
- Entscheidend sei der Trickledown-Effekt: Antisemitismus – in kontroversen Debatten verhandelt, literarisiert und gepredigt – nistete sich im gesellschaftlichen Leben ein, in vor- und halbpolitischen Korporationen, in Lehrer-, Richter- und Beamtenverbänden, in Kirchen-, Bürger- und Heimatvereinen, in studentischen Verbindungen „und zahllosen sonstigen kulturellen Vereinigungen auf lokaler Ebene“.
Hier, als grassroots movement, wurde der moderne Antisemitismus programmiert, Volkov nennt drei Entwicklungsstufen:
- Wilhelm Marr – Linker, Journalist – erfand das Wort „Antisemitismus“, ein Label, das Wissenschaftlichkeit mit einem „Höchstmaß an Mehrdeutigkeit“ verbindet.
- Otto Glagau – Liberaler, Autor der mit zwei Millionen Lesern größten Illustrierten seiner Zeit – fand eine Metapher, die Gefühlshaushalt und Gesellschaftskritik verschmilzt: „Die soziale Frage ist die Judenfrage.“
- Heinrich von Treitschke – National-Liberaler, ein Meinungsführer – bündelte die soziale Frage und alle anderen Themen seiner Zeit zu einer „begeisternden Vision“, er nannte sie „neues deutsches Leben“.
Da hinein konnte er Antisemitismus wie einen roten Faden einweben und auf Schritt und Tritt mit jenem „globalen, sozialen, politischen und moralischen Standpunkt“ vernähen, den einzunehmen er empfahl. Treitschke war kein Antisemit, sein Fazit: „Die Juden sind unser Unglück.“
Entrée Billet ins Milieu
Ein alternativer Weltentwurf. Für eine Gesellschaft, die willens war, sich neu zu erfinden, Antisemitismus wurde zum „Integrationsinstrument“. Und konnte es werden, weil er weltoffen war. Im neuen, dem konservativen Lager fanden Leute zusammen, die bisher nicht viel gemein hatten, ostelbische Junker neben enttäuschten Liberalen, christliche Monarchisten neben frustrierten Linken, Handwerksmeister neben Großindustriellen – in diesem multisozialen Milieu gewann Antisemitismus handfesten Sinn, er wurde zum „Zeichen der Zugehörigkeit“:
Mit ihm ließ sich Kapitalismus kritisieren ohne Angst vor der Revolution, ließ sich ein liberales Programm anrühren mit antiliberalen Forderungen, man konnte Haltung beweisen in Fragen der Emanzipation, konnte ‚deutsche Kunst‘ gegen ‚jüdisches Nachkünsteln‘ ausspielen, konnte „Mentalität“ ausbildenund selbstgewisse Moral, Aversionen und Ambitionen, Anstandsregeln und ästhetische Präferenzen: „ein ganzes Gefüge von Ideen, Gefühlen und Werten“, schreibt Volkov, ließ sich „von der Linken zur Rechten verschieben“.
So wurde die ‚Judenfrage‘ zur Stilfrage, der Stil hat Antisemitismus plausibel gemacht – und ihn zugleich entpolitisiert: Wer eine der Parteien wählte, die tatsächlich gegen Juden vorgehen wollten, zählte zu den marginalisierten Stimmen. Im konservativen Lager dagegen gewann der antisemitische Jargon „symbolischen Wert“, er wurde zum Entrée Billet ins Milieu, zum „Bestandteil eines ganzen Ethos“ und „Element einer moralischen Perspektive“.
„Wie ein Vivienne-Westwood-Oberteil“
Auf eben dieses Phänomen stößt Volkov nach Auschwitz erneut. Wieder wird Antisemitismus zum „Signum kultureller Identität“, diesmal ist es der Anti-Zionismus, der zum Erkennungszeichen wird.
Seit 1967 – Israel hat sich im Sechs-Tage-Krieg nicht vernichten lassen, sondern Gebiete erobert – zählt die Ablehnung Israels zur Kultur der westlichen Linken und ebenso zur postkolonialen Kultur: Wieder geht es darum, dass sich ein polit-ästhetisches Milieu konstituiert, wieder werden „Juden, Judentum und die ‚jüdische Frage‘“ in eine symbolische Funktion gerückt. „Die anti-israelische, anti-zionistische und judenfeindliche Kampagne (wird) zum Dreh- und Angelpunkt“, schreibt Volkov Mitte der 80er Jahre.
Zwanzig Jahre später wird die internationale Kampagne BDS ausgerufen, sie versucht, Israel mit Boykott, Mittelabzug und Sanktionen zu überziehen, der Bundestag hat BDS 2019 als antisemitisch gewertet. Legt man beides – den modernen Antisemitismus des 19. Jahrhunderts und die postmoderne BDS-Bewegung – übereinander, fallen bedrückende Parallelen auf:
- Auch der Antizionismus hat sich durch kontroverse Debatten hindurch im Alltag eingenistet; sein alter ego, die sogenannte Israelkritik, hat es unlängst bis in den Duden gebracht.
- Auch BDS bietet heute ein „Höchstmaß an Mehrdeutigkeit“: Die Forderung nach einem „Rückkehrrecht“ beispielsweise kennt man sonst nur von extrem rechts.
- Wieder findet sich keine parteipolitisch verlässliche Organisation für so etwas, die Ablehnung Israels blüht als grassroots movement [1], das folgenlos bleibt: D wie De-Investment? Israels Wirtschaft boomt.
- Wieder hat sich ein Label gefunden – „Apartheid“ –, das Gefühlshaushalt und Gesellschaftskritik kurzschließt und dafür das „Prestige wissenschaftlicher Terminologie reklamiert.
- Und wieder ist die integrative Kraft dieses Pakets erstaunlich: BDS führt Säkulare und Fromme zusammen, Demokraten und Anhänger von Diktaturen, Weltbürger und Kleinstädter, Liberale und Anti-Imps, Schöngeister und Straßenkämpfer, Schwule und Leute, die Schwule an Kränen aufhängen, Genderstudierte und Hamas, Pazifisten und Heilige Krieger, Pop-Künstler und PFLP, Antifaschisten und Leute, die SS-Washing betreiben, …
- Ihr Meeting Point: die „gemeinsame Front gegen Israel“. Hier lässt sich kämpfen, ohne dass es kostet, lässt sich für Gerechtigkeit streiten ohne Angst, dass die eigenen Privilegien tatsächlich zur Disposition gestellt werden müssten. [2].
Hier kann man den „Loyalitätstes“ bestehen, kann historische Verantwortung reklamieren, indem man Israel maßregelt, und moralischen Mehrwert einheimsen, weil man solidarisch ist mit dem globalen Süden.
Hier kann man sich über Grenzen hinweg politmoralisch verständigen, kann als guter Demokrat auch mal im totalitären Denken planschen und kann dem Ganzen beiläufig Ausdruck geben: „Der Israel-Boykott ist im Pop-Jetset ein Accessoire, das man zur Schau trägt wie ein neues Vivienne-Westwood-Oberteil“, so der Autor Philipp Wurm, ein Statement Piece.
Der Terrorflüsterer
Wieder gilt das Bekenntnis einem ganzen Gefüge von Ideen, Gefühlen und Werten. Seine Mehrdeutigkeit zeigt an, wie geschmeidig es sein will, es lässt sich jederzeit verschieben. Nur wohin? Die Frage ist obligatorisch für Kultur-Intendanzen.
Hier kommt Achille Mbembe ins Spiel, die Initiative Weltoffenheit beruft sich explizit auf ihn, sie bettet die Mbembe-Debatte in BDS-Jargon um. 2020 waren dessen rüde Attacken auf Israel rauf und runter diskutiert worden [3], die Beschlüsse des Land- und Bundestages haben die Debatte offensichtlich nicht verhindert, sondern ermöglicht. Daraus folgern die Kulturfürsten nun, dass die Meinungsfreiheit in Deutschland gefährdet sei, sie sprechen allen Ernstes von „Zensur“. Tatsächlich protegieren sie einen Terrorflüsterer.
Israel, behauptet Mbembe, betreibe ein „Versuchslabor“, um „Techniken zur Zerstörung von nahezu allem“ zu entwickeln, diese Techniken würden weltweit verbreitet. Dahinter verstecke sich ein „Ausrottungswunsch“, der sich „ausdrücklich“ auf die Thora berufe, also spezifisch jüdisch sei und „metaphysisch“ und „apokalyptisch“ und weiß der Teufel was alles …
Es sind die vertrauten Denkfiguren, die über Mbembes Bühne laufen, bei ihm allerdings laden sie zum Terror gegen Israel ein, Mbembe erklärt: Ein Selbstmordattentäter, der Zivilisten in Bussen, Discos und Cafès ermorde, verbinde „Terror, Tod und Freiheit“. Jeder Selbstmordmörder, der sich gegen den „Trennungswahn“ auflehne, sei ein „Arbeiter im Zeichen der Zukunft“ und sei mehr noch ein „Mittler der Erlösung“, darum sei Terror – hier ist sie wieder – eine „Vision von Freiheit“.
Glühende edle Worte. Sie geben einem die Vorstellung einer exotischen, von majestätischer Güte regierten Weltoffenheit, von „vielschichtigen Solidaritäten“ und einer „Ästhetik der Differenz“. Hannah Arendt hat die Frage gestellt, die Volkov uns stellt: Ob nicht gerade diese „gesellschaftlich schwer fassbare Form von Antisemitismus“ – seine Übersetzung in einen verschwafelten Code – die Voraussetzung dafür sei, eine tatsächliche Bedrohung wegzuwedeln. [4]
Für die Nazis jedenfalls galt das Primat der Praxis, Volkov spricht von einer Bedeutungsveränderung im „Kern des Antisemitismus“, er wurde „ganz und gar und bewusst eine Sache des Handelns“.
Die Sprache der Nazis aber blieb scheinbar dieselbe, sie nutzten das bekannte Vokabular und begeisternde Visionen, riefen hehre Ideale an und moralische Empörung ab. Millionen Menschen schauten zu, wie alte Denkfiguren über neue Bühnen liefen, alles schien zu sein, was es zuvor gewesen war: ein Ersatz fürs Handeln. „Sie waren sich nicht bewusst, dass die Sprache sich verändert hatte und dass sie nicht mehr in der Lage waren, die Botschaft dieses neuen Antisemitismus zu entschlüsseln.“ Sind wir noch dazu in der Lage?
Globuli fürs Gewissen?
Natürlich führt von Mbembe kein gerader Weg zu den Endlösungsphantasien iranischer Ayatollahs (so wenig, wie ein gerader Weg von Treitschke zu Hitler geführt hat, Volkov betont das). Es geht um etwas anderes, um die Frage, was eigentlich passiert, wenn wir BDS auf unsere Bühnen bitten: Wird es besinnlich oder Krawall? Werden Globuli fürs Gewissen inszeniert oder die Propaganda der Tat? Wird es Ersatz fürs Handeln oder eine Action directe?
Die Antwort – Terror gegen Juden rottet sich in vielen Milieus zusammen – ist alles andere als egal, mit Volkov aber verschärft sich das Problem. Die kulturelle Codierung des Antisemitismus, schreibt sie, hat keinen Holocaust ausgelöst, aber „überall in Europa die Zuschauer vorbereitet, die es einfach vermieden, die Realität des Holocaust mitten unter ihnen zu sehen.“
Der kulturelle Code macht Zuschauer, das ist der Punkt. BDS in einen solchen Code hinein zu programmieren wie in ein Theaterprogramm, normalisierte eine anti-israelische Kampagne, die sich gegen jede „Normalisierung Israels“ [5] sperrt. Es veralltäglichte ein Setting, in dem Israel – als sei es bereits ein Schemen – nur noch symbolische Funktionen hat für ein subkulturelles Milieu: „Zur Debatte stehen hier gar nicht die tatsächlichen Fragen, zur Debatte steht der symbolische Wert“, so Volkov. BDS als Liturgie.
Für Israel hieße das: BDS auf der Bühne vergleichgültigte, die Kulturdoyens führen es gleich selber vor. In ihrem „Plädoyer“, das sich so hochgestimmt für BDS engagiert, verlieren sie keinen Gedanken an die, gegen die BDS agitiert. Und als sie an Hanukkah im Deutschen Theater vor die Presse traten, war ihnen das jüdische Fest ohne jede Bedeutung, sie redeten beharrlich über sich und ihren Auftrag, ihr Empfinden und ihre „Angst“, über „langjährige Netzwerke“ und „Partner*innen“ von BDS.
Es ist, als seien sie alle gegen Rassismus, müssten das aber andauernd mit dem Ku Klux Klan aushandeln.
Sendboten der Barmherzigkeit
Widerspruch aus ihrem eigenen, dem Kultursektor hat die Initiative für diese Performance nur sehr vereinzelt erfahren [6]. Das deutsche Kulturmilieu grenzt sich – urigerweise im selben Jargon – verlässlich gegen rechts ab, jetzt wartet es lieber ab.
In der Initiative Weltoffenheit steckt nun mal eine Milliarde Euro fürs laufende Jahr. Rund 7 % dieser Summe wendet Israel für internationale Öffentlichkeitsarbeit auf, das entspricht dem Budget des Nationaltheaters Mannheim, einem Teil der neuen deutschen „Weltoffenheit“. Es sind viele Maßstäbe, die im kulturellen Code verrutschen.
So etwas passiert, wenn man versucht, Trends hinterher zu dackeln. Was wiederum die Hoffnung begründet darauf, dass diese Art Weltoffenheit eine Mode sein könnte und der BDS-Sound wie ein One-Hit-Wonder in der Versenkung verschwindet.
Gerade erst hat die arabische Welt umgeschaltet auf Dialog – „We support science, art, medicine, and commerce to inspire humankind, maximize human potential and bring nations closer together“, so die Abraham Accords, die Friedensabkommen mit den Vereinigten Arabischen Emiraten, Bahrain und dem Sudan – und ausgerechnet jetzt soll BDS, das Dialog-Boykott-Programm, auf deutsche Bühnen? Es wirkt wie aus der Welt gefallen.
Einerseits. Andererseits gilt für kulturelle Codes, was Hannah Arendt über Ideologien gesagt hat: Sie blühen auf, sobald die Wirklichkeit sie überholt hat, sie radikalisieren sich in sich selbst. Dann erst wühlen sie im eigenen Code und machen die Welt zu dem, was sein soll, zu einer Vision.
Das erst macht die Sache gefährlich. Als Sendbote der Barmherzigkeit und weiß der Teufel von was allem war Joseph Conrads Mr. Kurtz insgeheim visionär: „Ausrotten, das ganze Viehzeug!“ Ist aber nur eine Erzählung.
Anmerkungen:
[1] „Die BDS-Bewegung ist nicht, wie es oft heißt, eine Graswurzelinitiative der palästinensischen Zivilgesellschaft; ihre Ursprünge sind vielmehr das Werk vor allem von antiisraelischen britischen und amerikanischen Akademikern. Es geht ihr auch nicht nur um ein ‚Ende der Besatzung‘: Zwei der drei BDS-Kernforderungen haben nichts mit der israelischen Politik gegenüber den Palästinensern im Westjordanland zu tun, sondern zielen explizit auf das Kernland Israels, die dritte tut das zumindest implizit. Und alle drei laufen in der Konsequenz auf die Beseitigung Israels als jüdischer Staat hinaus.“ (Alex Feuerherdt auf Mena-Watch. Feuerherdt ist zusammen mit Florian Markl Autor des Buchs „Die Israel-Boykottbewegung. Alter Hass in neuem Gewand“. Hier eine Besprechung des Buches von Stefan Laurin, und hier ein Interview mit Feuerherdt in der Jüdischen Allgemeinen.)
[2] Das behaupten die Mitglieder der Initiative Weltoffenheit von sich, dass sie es täten. Im Israel-Boykott-Talk ist das risikofrei, in anderen Debatten riskanter.
[3] Israel wird von eliminatorischem Terror bedroht, Irans oberster Führer Chamenei ruft regelmäßig zur „Endlösung“ auf, er denkt konventionell: Allein die Hisbollah, die vom Iran finanzierte Terrororganisation im Libanon, befiehlt über mehr Raketen und Flugkörper als alle europäischen NATO-Mitglieder zusammen.
[4] Thierry Chervel hat die Mbembe-Debatte mit dem Historikerstreit 1986/87 verglichen, ein Vergleich mit dem Antisemitismus-Streit 1879/81 bietet sich ebenfalls an.
[5] „Die Normalisierung Israels – die Normalisierung des Anormalen – ist eine heimtückische und subversive Methode, um … den intimsten Teil der Unterdrückten zu kolonisieren: ihren Verstand.“ So PACBI, eine der Gründungsorganisationen der BDS-Bewegung. Wie wahnhaft der akademische Kampf gegen Normalität betrieben wird, zeigt dieses Beispiel: 2009 wollte Leonard Cohen ein Konzert im palästinensischen Autonomiegebiet spielen, in Ramallah. PACBI mobilisierte dagegen mit der Begründung, Cohen würde zwei Tage später in Ramat Gan spielen in der Nähe von Tel Aviv. Der Protest war erfolgreich, den Erfolg feierte BDS mit der Headline: „Leonard Cohen will not Play in Ramallah!“
[6] Aus dem staatsfinanzierten Sektor, soweit ich sehe, nur Bernd Stegemann, Dramaturg am Berliner Ensemble (hier und hier).
Shulamit Volkov ist Professorin emerita für moderne europäische Geschichte an der Universität Tel Aviv, hat vor allem die jüdische Geschichte und die des Antisemitismus in Deutschland und Europa des 19. und 20. Jahrhunderts erforscht. Trägerin des Humboldt-Forschungspreises der Alexander von Humboldt-Stiftung, Gastprofessorin an der LMU München, der FU Berlin, der Oxford University, der École des Hautes Études en Sciences Sociales in Paris und der Columbia University in New York. 2012 erschien ihre Biographie über Walther Rathenau (Beck-Verlag).
Alle Volkov-Zitate im Text (jeweils in Anführungszeichen kursiv gesetzt) sind aus dem Buch: „Antisemitismus als Kultureller Code. Zehn Essays“. Auf Deutsch 1990 und dann 2000 mit Register bei Beck (12,50 €) erschienen.
Thomas Wessel verantwortet Konzept und Programm der Christuskirche Bochum, einer der größten Kulturkirchen bundesweit (www.christuskirche-bochum.de). Der Text ist die leicht redaktionell bearbeitete Version eines Artikels, der ursprünglich bei ruhrbarone erschienen ist.