In Konya nichts Neues. Zum politischen Hintergrund eines Skandal-Plakats

Christen- und judenfeindliches Plakat in Konya (Quelle: Twitter)

In der türkischen Stadt Konya wurden juden- und christenfeindliche Plakate aufgehängt, nach Kritik wieder abgenommen und durch türkische Fahnen ersetzt.

Konya ist eine zentralanatolische Millionenstadt, die niemand wirklich kennen oder gesehen haben muss. In der Türkei sieht das allerdings anders aus. Ein Bekenntnis für oder gegen die siebtgrößte Stadt des Landes kann bereits darüber entscheiden, ob ein Gespräch weitergeführt wird – oder ob schlimmeres als Gesprächsabbruch droht.

Denn im Alltagsgespräch in der Türkei ist nicht selten, dass ein Gesprächseinstieg darüber erfolgt, dass sich gegenseitig erkundigt wird, aus welcher Region oder Stadt der andere kommt. Das hat Gründe, wie zum Beispiel den Wunsch, sich den weitverbreiteten Glauben zu bestätigen, Stadt und Land prägten entscheidend die Gesinnung,. Ein Satz wie „Ich bin aus Konya“ kann folglich je nach politischer Präferenz entweder Bewunderung oder Verachtung hervorrufen.

So wird in säkularen Kreisen, die es mit dem Leben und der Freiheit halten, über Städte wie Konya eher ausgiebig gescherzt. Es heißt, dass in der Republik Säkulare wohnten – und in Konya die Islamisten. Eh und je gilt Konya nämlich als Hort des türkischen Islam; und die Stadt ist in den 1970ern auch die Geburtsstätte des türkischen Islamismus gewesen – also der Millî-Görüş-Bewegung. So wird in Konya auch traditionell islamistisch gewählt: Siebzig Prozent und mehr Wahlstimmen gehen an entsprechende Parteien – und das unverändert seit den 1970er Jahren.

Islamistischer Probelauf

Im völligen Dissens zur Rest-Republik war es in Konya bereits in den 1980ern üblich, dass Geschlechtertrennung in Cafés und Bussen praktiziert, der Verkauf alkoholischer Getränke durch die Stadtverwaltung erschwert, gar verunmöglicht wurde, und Bars mit der spontanen Bildung des Mobs konfrontiert waren. Jede Lebensregung sollte bereits im Keim erstickt werden. Kein Reiseführer kommt daher bis heute ohne den obligatorischen Hinweis aus, dass in Konya während des Ramadan das Fastenritual „besonders streng befolgt“ werde oder Frauen hier die islamische Kleiderordnung besonders respektieren sollten. 

Lange Zeit galt Konya darum als Vorführstadt islamistischer Stadtverwaltung. Viele Großstädte wie Istanbul oder Ankara, die in den 1990ern in islamistische Hand fielen, nahmen das sittenstrenge Konya-Modell zum Vorbild, um gegen den „Sittenverfall des Zentrums“ zu agieren.

Konya war somit ein Probelauf dafür, was wenige Jahre später in der Rest-Republik flächendeckend erfolgen sollte. Hier hat Islamistenführer Necmettin Erbakan mit seinem Einzug ins Parlament 1969 als Abgeordneter der Provinz einst seinen Marsch gegen die Republik begonnen und in den Folgejahren die Weichen für den politischen Islam gestellt, weshalb in der Stadt seit 2010 – neben zwei anderen – auch die Necmettin-Erbakan-Universität zu Ehren des Führers der Millî-Görüş-Bewegung Studenten dazu einlädt, den Worten und Taten des solcherart Geehrten zu folgen.

Drei staatliche Universitäten haben jedoch aus Konya keine moderne und offene Universitätsstadt gemacht. Konya schneidet in Uni-Rankings eher schlecht ab, ist trotz seiner verkehrstechnisch guten Anbindung an die Metropolen Istanbul, Eskişehir und Ankara unter Studenten unbeliebt und überzeugt eher als Touristenattraktion. Orientschwärmer kommen hier auf ihre vollen Kosten.

Hort islamischer Mystik

In Konya nichts Neues. Zum politischen Hintergrund eines Skandal-Plakats
Der Rumi auf einer türkischen Banknote (Quelle: banknotes.it, Gemeinfrei)

Unter Touristen, die Religiosität für eine Bereicherung halten, ist Konya beliebt als ein Ort des Sufi-Islam. Jährlich lassen sich zwei Millionen inländische wie ausländische Besucher in den Sog islamischer Mystik ziehen. Tanzende Derwische, das Mausoleum des Mevlana Rumi und diverse mystisch inspirierte Derwisch-Gemeinschaften, die für die Missachtung des eigenen Lebens stehen, haben aus Konya eine Pilgerstätte für all jene gemacht, die gegen einen gewaltbereiten oder gewaltverherrlichenden orthodoxen Islam auf einen friedlichen und toleranten Sufi-Islam schwören. Die Stadtverwaltung ist dafür dankbar und wirbt entsprechend ganz offen als Touristenmagnet. Denn in industrieschwachen Regionen setzt man in der Türkei entweder auf Landwirtschaft oder eben auf Tourismus. Darum wirbt die Stadt auf ihrer Homepage, auch auf Deutsch, für Frieden und Toleranz. Dort heißt es:

„Maulana Dschalal ad-Din Rumi war ein bedeutender Gelehrter und Denker, dessen Ideen nunmehr seit Jahrhunderten die Welt beeinflussen und die gesamte Menschheit erhellen. Seine Reise begann in Balch und endete in Konya. Das Geschenk, nämlich den größten Mystiker und Künstler der gesamten Menschheitsgeschichte, nahm die Stadt Konya mit großer Freude an. Durch die Philosophie Maulanas wurde Konya zu einer Stadt des Friedens, der inneren Ruhe und der Toleranz.“

Christen- und judenfeindliche Plakate

Das Selbstverständnis, eine Stadt des Friedens und der Toleranz zu sein, scheint man allerdings nicht so genau zu nehmen und auf gegenteilige Anzeichen erst dann zu reagieren, wenn Protest bereits anläuft. Jüngst tauchten mehrere Plakate an Bushaltestellen auf, deren Urheber die Jugendorganisationen AGD (Anadolu Genclik Dernegi, dt.: Anatolische Jugendbewegung) und MGV (Milli Genclik Vakfi dt.: Nationale Jugendbewegung) waren, die der oppositionellen Saadet Partisi nahestehen. Ganz im Zeichen der islamisch begründeten Christen- und Judenfeindlichkeit wirbt man mit blutbeflecktem Kreuz und Davidstern dafür, Christen und Juden nicht als Freunde zu nehmen. Ein Koranzitat aus Sure 5, Vers 51 untermauert die eigene Haltung, sich ja nicht mit den „Falschen“ anzufreunden. Dort heißt es:

„Nehmt nicht die Juden und die Christen zu Freunden. Sie sind einer des anderen Freund. Und wer von euch sie zu Freunden nimmt, der gehört zu ihnen. Gewiss, Allah leitet das ungerechte Volk nicht recht.“

Ohne die Erlaubnis der Stadtverwaltung wäre solch offene Propaganda nicht möglich. Die Jugend ist schließlich noch wild und radikal, hat man sich wohl gedacht, auch wenn sie nicht immer den Altvorderen folgt. In Konya ist die Alternative zur dort herrschenden AKP darum keine säkulare Jugend, wie zu erwarten wäre, sondern eine noch radikaler frömmelnde, der die AKP noch zu moderat ist.

„Nichts gewusst“

Doch nach den öffentlich gewordenen Protesten will die Stadtverwaltung von den Plakaten nichts gewusst haben und verweist auf den Vermieter der Plakatflächen. Eine Stellungnahme, geschweige denn eine Distanzierung, ist bislang aber nicht erfolgt.

Anders als auf den Abbildungen erkennbar, stellt die Werbeflächen nicht das deutsche Unternehmen Wall, das sich bereits von den Plakaten distanziert hat, sondern – wie die türkische Zeitung Evrensel berichtet – die türkische Werbeagentur Anadolu Açıkhava zur Verfügung, die mittlerweile die Plakate abnehmen ließ.

Doch machte dies die Sache nur wenig besser, denn zugleich gab man in der Annahme, etwas Richtiges getan zu haben, stolz preis, was Türken gerne tun, wenn sie nicht weiter wissen und sich für eine Entschuldigung zu fein sind: Die Plakate wurden zusammenhanglos und ohne weitere Einlassung durch Türkei-Fahnen ersetzt.

In Konya nichts Neues. Zum politischen Hintergrund eines Skandal-Plakats
Kemalistisch-nationalistische Zeitung Korkusuz

Begeistert von den Fahnen, und dennoch als einzige größere Tageszeitung zur Skandalisierung der Plakate überhaupt gewillt, titelte die nationalistisch-kemalistische Boulevardzeitung Korkusuz (dt.: Furchtlos) in ihrer Ausgabe vom 23.10.2019 überraschend: „Ein Skandal-Plakat“. Da dämmerte den Kemalisten wohl die Furcht, dass solche Plakate durchaus als Aufruf zum Pogrom gelesen werden können.

Auch Avlaremoz, eine türkischsprachige Plattform, die regelmäßig über Antisemitismus und Antizionismus in der Türkei berichtet, griff den Vorfall auf und beließ es nicht dabei, den Finger allein auf Konya zu legen. In der jüngeren Vergangenheit sollen auch andere Städte wie etwa die der westtürkischen Provinzhauptstadt Bursa angehörige Stadt Gemlik mit gleichen Koranzitaten aufgefallen sein. Eklatant dabei: Die Plakate tragen das Emblem sowohl der türkischen Religionsbehörde DIYANET als auch der Türkiye Diyanet Vakfı (Diyanet-Stiftung Türkei). Bis heute, so Avlaremoz habe sich die DIYANET zu diesen und ähnlichen Vorfällen nicht geäußert.

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