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In Deutschland herrscht Unwissen über Iran

Die iranische Journalistin Elahe Boghrat im Interview
Die iranische Journalistin Elahe Boghrat im Interview (Quelle: Screenshot Youtube)

Elahe Boghrat ist Autorin, Journalistin und Chefredakteurin der im Jahr 1983 ins Leben gerufenen und auf Farsi erscheinenden iranischen Onlinezeitung Kayhan London. Mit ihr sprach Kilian Foerster im Rahmen der auf seiner Website publizierten Serie »Iranische Worte«.

Mostafa Mesbahzadeh (1908–2006) war einer der bekanntesten iranischen Zeitungsverleger und gründete in Teheran im Jahr 1942 die Zeitung Kayhan, die sich im Laufe der Jahre zu einer der wichtigsten und auflagenstärksten Zeitungen des Landes entwickelte. Nach der Islamischen Revolution 1979 wurde das Verlagshaus von Islamisten übernommen und die Zeitung unter demselben Namen als ultrakonservative Regimepropaganda weiterbetrieben. Kayhan London versteht sich als Fortführung der ursprünglichen Zeitung Kayhan von Mostafa Mesbahzadeh und berichtet über politische, kulturelle und soziale Themen zum Iran.

Kilian Foerster (KF): Was verbinden Sie mit ihren frühesten Erinnerungen an ihre iranische Kindheit?

Elahe Boghrat (EB): Die Natur des iranischen Nordens, viele Kinder und ein glückliches und ruhiges Leben.

KF: Was hat Ihnen in ihrer Kindheit am meisten Freude bereitet?

EB: Ich habe eine sehr glückliche Kindheit gehabt, und wie fast alle Kinder freute ich mich über Süßigkeiten, Spielzeug und Puppen.

KF: Sie haben die Schule zu einer Zeit besucht, als der Schah und besonders seine Frau Kaiserin Farah Pahlavi große Anstrengungen unternommen haben, das Schul- und Bildungssystem zu modernisieren. Wie haben Sie diese Zeit als Schülerin erlebt?

EB: Ich bin gerne zur Schule gegangen. Meine Mutter war Lehrerin, mein Vater arbeitete als Schuldirektor, und das Lernen in der Schule hat mich glücklich gemacht. Ich habe damals eine Mädchenschule besucht. Ich erinnere mich auch an eine Privatschule in meiner Heimatstadt Sari, an der meine Mutter gemischte Klassen unterrichtete.

KF: Was haben Sie als junge Iranerin von den Protesten gegen den Schah im Iran mitbekommen? Wie war damals Ihre Haltung zu diesen Protesten und was haben Sie aus der Islamischen Revolution gelernt?

EB: Als junge Frau war ich politisch linksorientiert und gegen den Schah eingestellt. An Protesten habe ich jedoch nicht teilgenommen. Ich habe damals Jura an der Iran Nationaluniversität in Teheran studiert. Dort gab es regelmäßig einmal im Jahr am sogenannten Studenten-Tag (7. Dezember) Proteste der Studenten gegen den Schah. Während der Islamischen Revolution habe ich aus familiären Gründen nicht daran teilgenommen, da mein Vater an Krebs erkrankt war und in einem Krankenhaus in Teheran lag. Als mein Vater mit 49 Jahren gestorben ist, sind wir nach Sari zurückgegangen, und ich habe dort alles nur über das Radio und Fernsehen mitbekommen.

Erst einige Monate nach der Islamischen Revolution bin ich wieder nach Teheran gezogen, und natürlich war ich für eine positive Revolution, aber niemals für eine islamische. Ich habe auch nicht am Referendum für die Islamische Republik Iran teilgenommen. Im Vergleich zu damals habe ich heute meine Einstellung aufgrund vieler Erfahrungen sehr geändert.

Meine Eltern waren nicht gegen den Islam, aber sie waren sehr säkular und liberal eingestellt und nicht religiös. Bei uns zu Hause wurde nicht gebetet oder gefastet. Ich war immer gegen die Mullahs, und als zwanzigjährige Iranerin hatte ich mir damals vielleicht eine kommunistische Regierung gewünscht. Das war natürlich dumm, weil man später in der ganzen Welt gesehen hat, was in den kommunistischen Ländern passierte.

Ich habe aus der Islamischen Revolution gelernt, dass eine Revolution nicht immer gut endet. Eine Revolution kann modern und fortschrittlich sein wie die konstitutionelle Revolution von 1905. Aber sie kann auch reaktionär und fundamentalistisch sein wie die Islamische Revolution im Februar 1979. Ich habe auch gelernt, dass man sich immer bewusst sein sollte, was man besonders als öffentliche Person sagt und tut.

KF: Wann und wo haben Sie zuerst als Journalistin gearbeitet?

EB: Im Iran habe ich noch nicht als Journalistin gearbeitet, sondern erst in Deutschland mit dieser Arbeit angefangen. Im Iran lebte ich mit zwei kleinen Kindern im Untergrund und hatte kleine Jobs. Als ich nach Deutschland gekommen bin, allein mit zwei kleinen Kindern, wohnte ich die ersten drei Jahre in verschiedenen Asylunterkünften und habe dann auf dem College und an der Freien Universität die deutsche Sprache gelernt. An der Universität studierte ich Politikwissenschaften, aber meine Hauptaufgabe war die Erziehung meiner beiden Kinder.

Erst später bin ich mit der Zeitung Kayhan London in Kontakt gekommen. Es gab in dieser Zeitung einen Artikel mit Interviews unterschiedlicher Personen, und die Frage war, was sie machen würden, wiederholte sich die Geschichte noch einmal. Und ich dachte, warum fragen sie nicht, was diese Personen jetzt machen würden oder sollten! Und warum sollte man immer nur an die Vergangenheit denken, also was jemand damals gemacht hätte und nicht heute in der Gegenwart? Aus diesem Grund habe ich dazu etwas geschrieben, es wurde veröffentlicht, und so ergab sich meine Zusammenarbeit mit Kayhan London.

KF: Wann und warum haben Sie den Iran verlassen?

EB: Im Jahr 1989 aus politischen Gründen. Zu diesem Zeitpunkt fanden die Massaker an politischen Gefangenen im Gohardascht- und Evin-Gefängnis statt. Der Irak-Iran-Krieg war gerade zu Ende gegangen und es wurden viele politische Gefangene im Gefängnis vom Regime umgebracht. Wir lebten damals im Untergrund, wurden auch verfolgt und zeitweise festgenommen. Danach haben wir nachts mit dem Auto den Iran verlassen; an der Grenze konnten sie nicht alle Personen kontrollieren.

KF: Welche Hoffnungen, Wünsche und Vorstellungen hatten Sie vom Westen, als Sie ihre Heimat verlassen haben und wie stellte sich dann für Sie die Wirklichkeit im Westen dar?

EB: Ehrlich gesagt dachte ich, dass die Islamische Republik Iran nicht so lange an der Macht bleibt und dass wir wieder zurückgehen können. Das war unser Wunsch, unsere Vorstellung und es war auch unsere Erwartung, dass die westlichen Länder ein solch brutales Regime nicht unterstützen würden – was wir allerdings nach der Islamischen Revolution erlebt haben. Leider hat sich davon nichts bewahrheitet, und so sind wir hiergeblieben.

Wenn ich mein Leben im Iran vor 1979 mit meinem Leben in Deutschland vergleiche, dann gab es nicht so große Unterschiede. In meiner Studienzeit hatte ich als Frau im Iran so viele Freiheiten, Sicherheiten und eine Fülle von Möglichkeiten. Ich bin alleine als junge Frau im Iran herumgereist, auch in kleine Städte und Dörfer, und ich habe mich niemals unsicher gefühlt. Besonders als junge Frau wurde ich damals sogar von Busfahrern oder Polizisten unterstützt. Und das ist etwas, was wirklich sehr schade ist, nämlich dass dieses schöne Land wegen der Islamischen Republik Iran so zerstört wurde. Manches im Westen war natürlich fortschrittlicher als im Iran, aber nirgendwo wird es so sein wie im eigenen Land.

KF: Es gibt nur wenige Iraner wie Parviz Nikkhah, einst prominenter Anführer der Studentenproteste im Iran gegen den Schah, der verhaftet wurde und im Gefängnis den Irrsinn seiner Einstellung und Ideologie erkannte und bis 1979 für das nationale Radio und Fernsehen arbeitete. Nur drei Monate nach der Islamischen Revolution wurde Parviz Nikkhah von Khomeinis Schergen hingerichtet.

Bis heute gibt es besonders in westlichen Ländern ehemalige Befürworter der Islamischen Revolution, die ihre frühere Unterstützung schönreden und jegliche Mitverantwortung an der Machtergreifung der Islamisten im Iran abstreiten. Wie erklären Sie sich diese Ignoranz und fehlende Selbstkritik?

EB: Ich denke, das sind Leute, welche im Grunde gegen die Pahlavis und die Monarchie sind. Diese Leute haben zugleich aber auch keine Vorstellung von Demokratie.  Damals hatten alle Gegner der Pahlavi-Monarchie, auch ich als 20-jährige Iranerin, keine Vorstellung von Demokratie und Menschenrechten; in dieser Hinsicht waren wir blind. Und diejenigen, die heute noch die Islamische Revolution unterstützen, wollen nicht zugeben, dass es eine unnötige Revolution gewesen ist. Man hätte das Regime vom Schah wirklich mit Reformen verändern können, weil der Schah selbst und auch sein Vater gerade Frauen zahlreiche Rechte zugestanden haben.

Der Schah und sein Vater haben niemals behauptet, Demokraten zu sein, und deswegen verstehe ich auch nicht, warum manche heute noch die Erwartung haben, dass der Schah im Iran eine Demokratie aufbauen würde oder sollte!

Diejenigen, die heute noch für die Islamische Revolution sind, sind in meinen Augen solche Leute, die erst zufrieden sind, wenn man die Monarchie vergisst und denen es egal ist, dass jetzt eine Islamische Republik an der Macht ist. Diese Leute setzen ihre Hoffnung auf Zeit, also dass die Monarchie und ihre Bedeutung für den Iran vergessen wird und zu Ende ist. Aber gleichzeitig wissen sie nicht, dass die Monarchie im Iran eine historische und kulturelle Bedeutung hat, die für Iraner, selbst wenn Kronprinz Reza Pahlavi nicht an die Macht kommt, unverzichtbar ist.

KF: Warum haben die westlichen Regierungen von USA, Frankreich, England und Deutschland dem Schah ihre Unterstützung entzogen?

EB: Für mich ist die Theorie von Brzezinski mit dem »grünen Gürtel« die Erklärung für das Verhalten der westlichen Regierungen [Zbigniew Brzezinski war Nationaler Sicherheitsberater unter US-Präsident Jimmy Carter und versuchte mit der Unterstützung islamistischer Milizen im Nahen Osten, zum Beispiel mit den Mujaheddin in Afghanistan, einen »Schutzwall« gegen eine mögliche Expansion der Sowjetunion aufzubauen, den sogenannten »grünen Gürtel«; Anm. KF]. Wäre die Sowjetunion zehn Jahre früher zusammengebrochen, dann hätte vielleicht auch nicht die Islamische Revolution im Iran stattgefunden.

Die Islamische Revolution war für westliche Länder eine strategische Position gegen die »rote Gefahr« der Sowjetunion. Und ein Jahr davor gab es einen Putsch von Linken in Afghanistan. Das hat alles zusammengespielt. Ich habe auch in deutschen Dokumenten gelesen, dass der deutsche Bundeskanzler Helmut Schmidt damals gegen einen Regimewechsel im Iran gewesen ist. Nicht, weil Schmidt den Schah oder die Monarchie mochte, sondern es war sein Prinzip, sich nicht in Angelegenheiten anderer Länder einzumischen.

KF: Warum wird bis heute der frühere Premierminister Mossadegh zu einem Mythos verklärt und wie stark nutzt diese Verklärung direkt dem Regime? Und warum spricht in diesem Zusammenhang kaum jemand über Mossadeghs Parteikollegen Shapour Bakhtiar, dem letzten vom Schah nominierten Premierminister vor der Machtübernahme durch die Islamisten, dessen moderne und aufgeklärte Sichtweise für Khomeini solch eine »Bedrohung« darstellte, dass er von Khomeinis Schergen am 6. August 1991 im französischen Exil brutal ermordet wurde?

EB: Also, zu dieser Mossadegh-Geschichte habe ich in deutschen Medien immer wieder in der Vergangenheit bis heute die Behauptung gelesen, dass er »demokratisch gewählt« worden sei. Das war nicht der Fall. Mossadegh wurde vom Parlament vorgeschlagen und der Schah hat zugestimmt. Mossadegh war auch kein Republikaner, sondern ein Befürworter der Monarchie. Ich denke, dass all die politische Literatur über den Iran sehr von politisch Linken bestimmt wurde und extrem gegen das Schah-Regime und die Pahlavis eingestellt ist.

Shapour Bakhtiar war eigentlich ein Außenseiter in der Nationalfront [einem 1949 unter anderem von Mohammad Mossadegh und Mozaffar Baqai gegründeten und mit Unterbrechungen bis 1979 aktiven Bündnis aus nationalen, liberalen, sozialistischen, sozialdemokratischen Oppositionsgruppen und Parteien im Iran; Anm. Mena-Watch], und er hatte eine andere und eigene Position als die übrigen Mitglieder der Nationalfront.

Und eines muss man wissen: Khomeini war solch eine negative, charismatische Figur, dass niemand im Iran, selbst in kleinen Dörfern auf dem Land, ein Wort gegen ihn sagen durfte. Die Propaganda für Khomeini, besonders auch von westlichen Medien wie zum Beispiel BBC Farsi, war schon Monate vor der Islamischen Revolution stark, und deshalb erschien der später in Paris ermordete Bakhtiar in den Augen vieler Leute als Verräter. Wenn man heute zurückblickt, sieht man, wer der wirkliche Verräter gewesen ist; nicht Bakhtiar oder Pahlavi, sondern all die Menschen, Gruppen und Parteien, welche die Islamische Republik unterstützt haben – zusammen mit der Hilfe von westlichen Ländern.

Der Schah und Mossadegh sind beide wichtige, nationale und patriotische Figuren für den Iran, aber besonders die Linken, die Tudeh-Partei, die Fedajin und die Islamisten haben die Geschichte für sich interpretiert und ausgenutzt.

KF: Von Anfang an stehen die Machthaber der Islamischen Republik Iran für Lügen, Terror, Geiselnahme und Korruption. Parviz Dastmalchi, Überlebender des Mykonosattentats in Berlin und späterer Prozesszeuge, hat sich in zahlreichen Schriften mit dem System der Islamischen Republik Iran auseinandergesetzt und bezeichnet es schlicht als Abbild des Islamischen Staates (IS) in schiitischer Form. Warum verweigern sich so viele westliche Journalisten seit Jahren einer gründlichen Analyse dieses Systems und beschreiben das Regime als reformierbar und als Verhandlungspartner?

EB: Vielleicht wegen ihrer eigenen Interessen. Ich habe mich in meinem Studium an der Universität auch mit deutschem Journalismus auseinandergesetzt und dazu eine Arbeit geschrieben. Überall gibt es für Journalisten bestimmte »Frames«, und sie arbeiten in diesem Rahmen. Damit meine ich auch die sogenannten Mainstream-Medien, die versuchen, die öffentliche Meinung in eine bestimmte politische und wirtschaftliche Richtung zu beeinflussen. In diesen Medien suche ich seit Jahren das Leid und das Elend der Menschen im Iran, die mittlerweile über 87 Millionen sind.

Wo finde ich die Wahrheit über das tagtägliche Leben im Iran? In einer Berichterstattung, in der nur über die »Reformisten« und »Hardliner« des Regimes geredet wird? Gab es in all diesen Jahren nichts anderes als diese zwei Flügel des Systems, die zusammen das Land beraubt und die Menschen unterdrückt haben? Das ist ein journalistischer Frame: ein Frame, der vom Regime und seinen Lobbyisten kommt. Ein Frame, der die neuen Generationen im Iran und ihre Leidenschaft und Hingabe für die historische, kulturelle und patriotische Identität nicht zu sehen scheint und deswegen auch nicht darüber berichtet: Ihre Mottos wurden nicht gehört, noch nicht!

Ein anderer Frame ist es, ein falsches Bild vom Iran zu vermitteln, wo die exotische Natur, gutes Essen und auch der Hijab nicht als Unterdrückung, sondern als Spaß auf Touristen warten. Ein normales Land, wo die Touristen sich fotografieren und ihre Fotos auf Instagram posten könnten. Aber nichts im Iran ist normal! Nicht das Mullah-Regime, nicht das Leben der Menschen, nichts ist dort normal. Wie kann denn ein mittelalterlicher Staat im 21. Jahrhundert ein normales Leben für eine Gesellschaft schaffen, die ihn nicht akzeptiert und drastisch progressiv ist?

Anscheinend interessiert den Westen diese Realität aber nicht. Sogar die Proteste, die brutal niedergeschlagen werden, werden hier als eine Art »Entertainment« dargestellt: Oh, schaut mal die Frauen und die Jugendlichen dort! Falls dem nicht so wäre, sollten sich die westlichen Medien und Politiker darum kümmern, dass es nicht wieder passiert. Und nicht warten, bis die Menschen wieder auf die Straßen gehen, wieder brutal niedergeschlagen werden und wieder und wieder …

Als 2009 zum Beispiel im Iran die grüne Bewegung begann oder vergangenes Jahr die Bewegung unter dem Motto »Frau, Leben, Freiheit», haben viele etwas dazu geschrieben. Aber ansonsten spielt der Iran in der deutschen Außenpolitik bei Politikern und Medien keine Rolle. Nur wenn etwas passiert, das man nicht ignorieren kann, wird das Land für deutsche Medien und Politiker interessant.

Gleichzeitig sind deutsche Firmen und deutsche Politiker für das Islamische Regime der größte Handelspartner innerhalb der westlichen Länder. Und das hat auch eine Bedeutung für die journalistische Berichterstattung; es wird sich kaum jemand in den Medien finden, der über die Hintergründe im Iran schreibt und die Wahrheit sucht, wenn er dafür kein Geld bekommt. Genau das ist aber unsere Aufgabe als Deutsch-Iraner, allerdings findet man damit so gut wie kein Gehör bei deutschen Medien. Ich habe ein paar Mal an die ZEIT, den Spiegel und die Frankfurter Allgemeine Zeitung geschrieben, ich bekam zwar eine höfliche Antwort, aber meine Sichtweise interessiert sie nicht.

KF: Schah Mohammad Reza Pahlavi warnte schon früh vor einer Koalition von Roten (politische Linke) und Schwarzen (Islamisten), allerdings hat er die Macht des Klerus unterschätzt. Die Islamisten um Khomeini konnten auf die Unterstützung der politischen Linken zählen, und linke Intellektuelle wie Michel Foucault, Jean-Paul Sartre oder Ernesto Cardinal machten aus ihrer Sympathie für Khomeini kein Geheimnis. Bis 1979 spielte die politische Linke den nützlichen Idioten für Khomeini, wer spielt heute diese Rolle für Irans Islamisten?

EB: Heute ist es nicht so wie damals. Damals war die Islamische Revolution wie eine Art Rausch und niemand war sich bewusst, was daraus folgen würde. Aber heute, nach all dieser Brutalität, besonders in Bezug auf Frauen- und Menschenrechte, fällt mir niemand mehr ein, der die Islamische Republik Iran nach 2009 so verteidigen würde wie damals in der Vergangenheit. Nur eine Ausnahme gibt es: Iranische Parteien oder politische Aktivisten, die mehr gegen die Pahlavis und die Monarchie sind als gegen die Islamische Republik.

KF: Sadegh Tabatabai war enger Vertrauter von Khomeini. Er studierte und arbeitete in Deutschland, wo er die spätere RAF-Terroristin Ulrike Meinhof mit Propagandamaterial versorgte, das diese für ihre Artikel gegen den Schah verwendete. Tabatabais Sohn Adnan gelang der Aufstieg bis zum Berater des deutschen Außenministeriums. Waren die Verbindungen zwischen der politischen Linken und Vertretern der Mullahs in der Vergangenheit ein Grund, dass so viele Lobbyisten der Islamischen Republik Iran an unterschiedlichen Stellen im Westen arbeiten konnten und können?

EB: Ich denke, ja.

KF: Welche Ziele verfolgen die Lobbyisten der Mullahs im Westen und mit welcher Strategie setzen sie diese um?

EB: Geld spielt beim Lobbyismus die Hauptrolle – und der Handel mit der Islamischen Republik Iran. Das sage ich, weil zum Beispiel vor einigen Monaten, als sich die Situation im Iran so zuspitzte, selbst Lobbygruppen wie der National Iranian American Council (NIAC) in den USA plötzlich Zustimmung für die Parole »Frau, Leben, Freiheit« signalisierten. Natürlich glaubt man ihnen nicht, weil sie selbst überhaupt nicht vertrauenswürdig sind, aber mit der Situation im Iran verändert sich auch die politische Haltung der Lobbyisten.

Die Lobbyisten haben Möglichkeiten, die wir nicht haben. Sie haben große finanzielle Mittel und staatliche Unterstützung vom iranischen Regime, während die Dissidenten, die gegen die Islamische Republik sind, über keine solche finanziellen Mittel und Möglichkeiten verfügen. Das persönliche und politische Interesse der Lobbyisten besteht in der Behauptung, dass die Islamische Republik Iran eine »Republik« sei, und sie wollen diese »Republik« behalten, mit oder auch ohne Islam. Auf keinen Fall wollen sie aber, dass eine Monarchie oder Kronprinz Reza Pahlavi zurückkommt.

KF: Welche Stimme der iranischen Diaspora erfährt im Iran die größte Zustimmung und warum?

EB: Vor ein paar Jahren hätte ich nicht gesagt, dass Patriotismus, die Liebe für das Land und das nationale Interesse so stark sind und im Vordergrund stehen – etwas, das von der Islamischen Republik nicht beachtet und befolgt wird. Gäbe es heute ein Referendum, hätten die Monarchisten von Reza Pahlavi die größte Chance.

KF: Sowohl die ehemalige iranische Kaiserin Farah Pahlavi als auch ihr Sohn, Kronprinz Reza Pahlavi, wünschen sich für die Zukunft des Irans Demokratie und eine freie Volksabstimmung für eine neue Verfassung. Gleichzeitig gibt es aber auch radikale und fanatische Monarchisten, bei denen jeder, der ihre bedingungslose Bewunderung für die Monarchie nicht teilt, als Verräter gilt. Wie ordnen Sie diese Personen ein, welche Bedeutung haben sie?

EB: Natürlich muss man sie ernst nehmen und sie können gefährlich werden, aber solange die Monarchisten der Haltung von Kronprinz Reza Pahlavi zustimmen und die Unterstützer selbst Liberale sind, sehe ich eher Chancen für einen liberalen, demokratischen Iran, auch unter einer Monarchie.

KF: Welche Rolle spielen die Volksmudschaheddin (MEK) bei den Protesten nach dem Tod von Mahsa Amini, die einerseits zeitweise als Terrororganisation im Westen gelistet wurde und andererseits über gute Beziehungen zu westlichen Politikern verfügt?

EB: Ich bin der Meinung, dass man keine Partei oder Gruppe ignorieren darf und so tun sollte, als ob sie nicht existierten. Die Volksmudschaheddin gibt es, aber gleichzeitig sind sie wegen ihrer Politik in den Augen der Menschen im Iran nicht beliebt.

Allerdings verfügen sie über Geld und Lobbyisten und können westliche Politiker bezahlen, damit diese auf ihren Sitzungen Reden halten. Aber ich denke nicht, dass die MEK im zukünftigen Iran eine Chance haben werden, da sie die ganze Macht haben wollen, während sie gleichzeitig behaupten, demokratisch zu sein. Und falls die MEK Kronprinz Reza Pahlavi und die Monarchie als Gefahr sähen, dann würden sie auch eher hinter der Islamischen Republik stehen, zusammen mit ein paar linken Parteien, die immer gegen die Pahlavis und die Monarchie waren, und gemeinsam mit einigen Reformern im Iran.

KF: In der Bundesrepublik Deutschland gab es im linken, akademischen Milieu große Unterstützung für die Proteste gegen den Schah. Deutschsprachige Berichte über die Zeit der Pahlavi-Monarchie sind häufig einseitig oder tendenziös, da die Verfasser in der Regel aus dem linken Milieu kommen und sich einer Selbstkritik bis heute fast ausnahmslos verweigern. 2016 zeichnete der amerikanische Historiker Andrew Scott Cooper mit seinem Buch A Fall of heaven ein deutlich differenzierteres und unvoreingenommenes Bild der Pahlavi-Monarchie. Wie beurteilen Sie als Exiliranerin und Journalistin die Beschreibung der Pahlavi-Monarchie im Westen?

EB: Ja, die Beschreibung ist im Westen weit weg von der Wahrheit und der Realität und sehr einseitig. Die neue, junge Generation im Iran ist in dieser Hinsicht viel weiter. Sie vergleicht ihre Situation mit der Vergangenheit, auch wenn sie damals noch nicht gelebt hat. Sie sieht Bilder, Filme, Videos aus der Vergangenheit und bekommt über ihre eigene Familie die Erinnerungen und Familienfotos geteilt – die Islamische Republik konnte nicht alles vernichten. Und deswegen rufen junge Iraner »Pahlavi, komm zurück«. Ich wundere mich, dass sich deutsche Journalisten überhaupt keine Mühe geben, diese Realität im Iran zu untersuchen und zu recherchieren.

KF: Im Jahr 1942 fanden Hunderte polnische, jüdische Waisenkinder auf der Flucht vor der Shoah eine sichere Bleibe im Iran; später zogen viele weiter nach Palästina. Unter dem Schah gab es eine strategische Partnerschaft mit Israel, während Khomeini Antisemitismus und Hass auf Israel zum Grundstein seiner Ideologie machte.

Im April 2023 setzte Kronprinz Reza Pahlavi mit einem Besuch in Israel ein Zeichen und sagte dort: »Ich reise nach Israel, um eine Freundschaftsbotschaft des iranischen Volkes zu überbringen, israelische Wasserexperten zu engagieren, um den Missbrauch der natürlichen iranischen Ressourcen durch das Regime zu bekämpfen, und den Opfern des Holocaust an Yom HaShoa Respekt zu zollen.« Was empfinden Sie als Iranerin, wenn heute in sozialen Netzwerken der Schah oder sein Sohn Kronprinz Reza als Faschisten bezeichnet werden, und von wem könnten solche Diffamierungen kommen?

EB: Das ist selbstverständlich falsch, weder Reza Pahlavi noch sein Vater sind oder waren Faschisten. Solche Diffamierungen kommen von der Islamischen Republik und von linksorientierten Leuten und Parteien, die immer noch gegen das Schah-Regime und die Pahlavis sind. Sie bekämpfen bis heute noch das alte Regime und nicht die Islamische Republik. Die Reise von Kronprinz Reza Pahlavi nach Israel war eine kluge, politische Geste, und auch die Menschen im Iran haben diesen Besuch sehr positiv aufgenommen.

KF: Als multiethnisches und multireligiöses Land ist es für den Iran von besonderer Bedeutung, dass die nationale Einheit erhalten bleibt, damit er nicht dem Beispiel Iraks folgt, wo nach dem Sturz Saddam Husseins die Macht an ethnische und religiöse Identitäten verteilt wurde, was bis heute für massive Konflikte und Probleme sorgt. Wie könnte am besten die nationale Einheit des Irans gesichert werden?

EB: Durch die nationale Solidarität, die in meinen Augen auch heute noch im Iran existiert. Was wir in der iranischen Diaspora im Ausland sehen, ist nicht das wahre Bild von der Realität im Iran. Dort gibt es eine nationale Solidarität, auch zum Beispiel in den kurdischen Gebieten. Die kurdischen Parteien im Iran stellen alle zusammen nur eine Minderheit unter den iranischen Kurden dar und sind nicht repräsentativ für die kurdische Bevölkerung des Irans, die in verschiedenen Provinzen im Westen, aber auch im Norden des Landes lebt.

So sieht man zum Beispiel einfache Leute mit dem Slogan »Von Kurdistan bis Belutschistan, ich gebe mein Leben für den Iran» demonstrieren. Die Gefahr ist, dass sich die kurdischen Parteien gegenseitig bekämpfen, wozu sie auch in der Lage sind, weil sie bewaffnet sind. Auch nach der Islamischen Republik muss eine neue Regierung darauf achten, dass solche bewaffneten Gruppen keine Unruhe stiften. Kronprinz Reza Pahlavi könnte, denke ich, diese Fähigkeit haben, den Iran zusammenzuhalten.

KF: 44 Jahre nach der Islamischen Revolution sprechen viele Iraner von einem »besetzten Land». Auch wenn das Ausland am Ende der Monarchie und an der Machtergreifung Khomeinis mitverantwortlich gewesen ist, so gab es 1979 doch eine große Mehrheit in der Bevölkerung für Khomeini. Ist diese Zustimmung der älteren Generation heute ein Thema, über das in iranischen Familien offen gesprochen wird? Wie ehrlich gehen Iraner mit ihrer eigenen Geschichte um?

EB: Ja, das ist ein ernstes Thema in iranischen Familien. Die erste Parole in diesem Kontext, dass man mit der Islamischen Revolution einen Fehler gemacht hat, gab es im Herbst 2017 in Isfahan. Dort protestierten Rentner wegen ihrer wirtschaftlichen Situation, und sie haben damals die Parole gerufen, dass sie einen Fehler gemacht haben. Das hat sich seitdem wiederholt. Und wenn heute einfache Leute »Pahlavi, komm zurück« rufen, bedeutet das, dass sie die Islamische Revolution als Fehler bezeichnen. Darüber wird auch gesprochen. Die jungen Leute machen heute ihren Eltern den Vorwurf: Warum habt ihr damals so etwas gemacht, was hat euch gefehlt?

KF: Wo sind für Sie in den westlichen Medien beim Thema Iran die größten weißen Flecken?

EB: Dass sie nicht genug über den Nahen Osten im Allgemeinen und den Iran im Besonderen wissen. In meiner Schulzeit habe ich viel über europäische Länder gelernt, aber bei meinen Kindern gesehen, dass sie in deutschen Schulen nichts über den Iran lernen. Warum habe ich damals zum Beispiel gelernt, dass Düsseldorf eine Stadt in Deutschland ist, aber kein deutscher Schüler wusste, dass es im Iran zum Beispiel Teheran, Isfahan oder Maschhad gibt? Und mit diesem Unwissen und dieser Ignoranz wagen sie es dann, über uns zu reden und Ratschläge zu geben, wie wir zu leben hätten.

Das sehe ich nicht nur in Deutschland, sondern in westlichen Ländern insgesamt; man muss sich mit der Geschichte befassen. Und dieses Wissen bekommt man nicht, wenn man nur dort Urlaub macht.

KF: Werden Sie als iranische Journalistin im Westen vom iranischen Regime bedroht?

EB: Nicht direkt, aber über Mails oder in den sozialen Medien. Als meine Mutter im Iran noch lebte, sagte ihr das Regime, ich solle nichts gegen Khamenei schreiben und fragte sie, warum ich nicht wieder in den Iran zurückkomme, ich könne auch dort schreiben. Natürlich weiß ich, was passiert und wie schnell man als Geisel genommen wird, um dann die Freilassung mit möglichst hohen Lösegeldforderungen zu verbinden.

KF: Können Sie Ihre Sicht auf den Iran in westliche Medien einbringen und zeigen diese Interesse? Haben Sie angesichts der Bilder- und Textflut in den sozialen Medien noch das Gefühl, dass Ihre Worte als Journalistin Gehör finden?

EB: Da ich auf persisch schreibe, kann ich nicht so gut beurteilen, wie groß das Interesse meiner Artikel in deutschen Medien ist. Ich habe wie gesagt einige Male an die ZEIT, den Spiegel und die Frankfurter Allgemeine Zeitung geschrieben, aber es wurde nur zweimal etwas von mir als Leserbrief veröffentlicht. Einmal hat zum Beispiel ein deutscher Journalist wirklichen Unsinn über den Iran geschrieben und ich habe an die ZEIT geschrieben, dass die Menschen im Iran einen Regimewechsel wollen, und das wurde auch kurz erwähnt. Persönlich habe ich das Interesse von deutschen Medien an meiner Arbeit nicht gesehen. Ich habe es auch nicht mehr versucht.

KF: Was vermissen Sie aus ihrer iranischen Vergangenheit besonders im Westen?

EB: Meine Sprache. Ich möchte gerne auf die Straße gehen und mich in Persisch unterhalten und nicht auf Deutsch. Ich möchte in diesem Zusammenhang noch etwas zum Namen Iran sagen: In unserer Sprache gibt es keine Artikel. »Iran« ist eigentlich ein Frauenname, und ich habe mich immer gewundert, warum man auf deutsch »der Iran« sagt. Auch das neue Motto »Frau, Leben, Freiheit« ist interessant, komisch und widersprüchlich, weil »Iran« eine Frau ist, »Iran« ist an sich feminin.

KF: Was bereitet Ihnen als Iranerin Freude im Exil?

EB: Freiheit.

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