»Imam des Friedens« ruft Muslime zur Wertschätzung Israels auf

Imam Hassen Chalghoumi an der Westmauer des Tempels in Jerusalem
Imam Hassen Chalghoumi an der Westmauer des Tempels in Jerusalem (Quelle: JNS)

Hassen Chalghoumi ist bestrebt, den Antisemitismus und Islamismus zu bekämpfen und für die Ausweitung der Friedensabkommen zwischen Israel und den arabischen Ländern zu kämpfen.

Der 1972 in Tunesien geborene Hassen Chalghoumi absolvierte sein Grundstudium an einer Universität in Damaskus und studierte anschließend Theologie in Pakistan. Der Vater von fünf Kindern kam 1996 nach Frankreich, wo er Imam der Drancy-Moschee in den nordöstlichen Vororten von Paris wurde. Seit fast zwanzig Jahren ist Chalghoumi Präsident der Konferenz der Imame in Frankreich, wobei er in dieser Zeit enge Beziehungen zur jüdischen Gemeinde aufgebaut hat. 

Seine Arbeit hat ihm in manchen Kreisen den Beinamen »Imam der Juden« eingebracht, in anderen wird er als »Imam des Friedens« tituliert. Seine Mission: Menschen einander näher zu bringen, um Antisemitismus und den politischen Islam, zu bekämpfen. Das Jewish News Syndicate (JNS) führte anlässlich seines jüngsten Besuchs in Israel nachstehendes Interview mit Hassen Chalghoumi.

JNS: Was hat Sie nach Israel geführt? 

Hassen Chalghoumi (HC): In den Jahren 2004 und 2005 hatte ich viele Begegnungen mit Mitgliedern der jüdischen Gemeinde und besuchte auch Holocaust-Gedenkstätten, da ich der Imam von Drancy bin, einer Stadt, die für ihre Verbindung zur Shoah bekannt ist. [Aus dem Sammel- und Durchgangslager Drancy, 20 Kilometer nordöstlich von Paris, wurden während der Shoah ca. 65.000 hauptsächlich französische Juden mit der Eisenbahn in die deutschen Vernichtungslager im heutigen Polen transportiert, Anm. Mena-Watch.] Ich habe Freunde, die mit mir über Israel sprachen, doch anfangs sagte ich zu ihnen: ›Wir sind französische Muslime, ihr seid französische Juden, es ist unnötig, über Israel zu sprechen, denn wir sind weder Palästinenser noch Israelis.‹

Ich hatte die Tendenz, nicht über Politik oder internationale Angelegenheiten zu sprechen und mich stattdessen auf Frankreich zu konzentrieren. Aber immer, wenn ich an Veranstaltungen teilnahm, die mit der Shoah und der jüdischen Gemeinschaft zu tun hatten und in Verbindung mit dem Conseil Représentatif des Institutions Juives de France [Dachverband der Juden in Frankreich] standen, kam ich doch wieder auf Israel, die Palästinenser und Gaza zu sprechen. Im Jahr 2009 beschloss ich, nach Israel zu reisen, um die israelische Bevölkerung und die geopolitische Lage aus erster Hand kennenzulernen. 

JNS: Glauben Sie, dass weitere arabische und islamische Länder mit Israel Frieden schließen werden?

HC: Vor Jahren hat niemand geglaubt, dass die arabischen Länder das tun würden. Der erste war Scheich Mohamed bin Zayed, der Präsident der Vereinigten Arabischen Emirate, ein mutiger Mann, der Respekt verdient. Er hat dazu beigetragen, die VAE in die moderne Welt zu führen, und er hat Geschichte geschrieben. Der zweite war der König von Bahrain, Hamad bin Isa Al Khalifa, den ich sehr gut kenne und zu dem ich gute Beziehungen pflege. Auch der König von Marokko, seine Majestät Mohammed VI. und schließlich der Vizepräsident des Sudan, Mohamed Hamdan Dagalo hatten den Mut, Frieden mit Israel zu schließen.

Wissen Sie, die Bevölkerung verändert sich, wir haben Hoffnung in der arabischen und muslimischen Welt in Bezug auf Israel. Früher war das unmöglich, wegen all der Lügen der Islamisten, Extremisten und Antisemiten, wegen dieser Diffamierung und dieses Rassismus gegenüber Israel und der israelischen Bevölkerung. Auch die Ignoranz, die arabischen Medien und der arabische Nationalismus haben sechzig Jahre lang das Bewusstsein und die Köpfe in der arabischen Welt manipuliert. Heute sind sie frei und sehen die Wahrheit selbst. Heute gibt es Synagogen in Dubai, Abu Dhabi, Bahrain, Marokko und bald auch in anderen Orten. 

Ich habe ich bei meinem Besuch in der Knesset mit Ministern, die Premierminister Benjamin Netanjahu nahestehen, darüber gesprochen, wie wichtig es ist, diesen Traum fortzusetzen, damit das Abraham-Abkommen überall auf der Welt gilt. Ich hoffe, dass es in diesem Jahr Frieden mit Saudi-Arabien und dem Oman und bessere Beziehungen zum Sudan, zu Tunesien, Marokko, Libyen und weiteren Ländern geben wird, die sich dem Weg des Friedens anschließen werden. Mit dem Libanon gibt es Abkommen über wirtschaftlichen Frieden, das ist ein erster Schritt zum politischen, sozialen und kulturellen Frieden. 

JNS: Wie ist Ihre Meinung zum radikalen Islam?

HC: Er ist ein Gift, er ist das Krebsgeschwür des Islam und eine Krankheit, die es zu bekämpfen gilt. Einige können geheilt werden, aber andere müssen wir leider mit dem Gesetz und auch mit harter Hand bekämpfen. Meine Botschaft ist, dass Israelis und Nicht-Muslime den Islamismus nicht mit der schweigenden Mehrheit der Muslime verwechseln sollten. Wir haben das in Frankreich gesehen, wo die Unterstützung für die rechtsextreme Partei zunimmt, der Rassismus neue Höhen erreicht; aber auch die linksextreme Partei, die mit den Islamisten verbündet ist, glaubt, dass die Islamisten für die Muslime sprechen, und für die rechtsextreme Partei ist jeder Muslim ein Islamist.

Meine Botschaft ist klar: Es müssen alle notwendigen Wege gefunden werden, um sich von extremen Lehren zu befreien, die nichts mit den allgemeinen Lehren des Islam – Toleranz, Offenheit und Respekt – zu tun haben. Aus Liebe zu den Völkern des Buches, den Kindern Isaaks, den Kindern Ismaels, den Kindern Davids und Suleimans, müssen diese Liebe und Nähe schaffen, indem wir einen Dialog etablieren und die Stereotypen überwinden. Unsere Glaubenspraxen mögen unterschiedlich sein, aber in Wirklichkeit haben wir dieselben Propheten und denselben Gott.

JNS: Wie ist Ihr Verhältnis zur jüdischen Gemeinde in Frankreich und darüber hinaus?

HC: Ich bin der Imam von Drancy, der Imam der Stadt der Shoah, ein Mann des Glaubens und der Religion und ein Humanist – und ich bin ein Zeuge: auf dem Weg von meinem Haus zur Moschee von Drancy, gehe ich jeden Tag an der Shoah-Gedenkstätte vorbei. Ich bin Zeuge jenes Hasses, als die Menschheit ihre Seele verloren hat. Aus Drancy deportierten [die französische Polizei und die Nazis] fast neunzig Prozent der Männer, Frauen und Kinder. Warum wurden sie deportiert, warum wurden sie umgebracht? Weil sie Juden waren. Sie gehörten einer Gemeinschaft und einer Religion an, die in gewisser Weise auch die meine ist, einer monotheistischen Religion.

Diese Pflicht des Erinnerns macht meine Beziehung zur jüdischen Gemeinschaft zu etwas ganz Besonderem. Es ist eine Pflicht, Zeugnis abzulegen, und es ist eine Pflicht, gegen das Vergessen zu kämpfen, denn wenn wir die Shoah vergessen, bedeutet das, dass sich die Geschichte wiederholt. Völkermorde haben stattgefunden und finden immer noch statt, also müssen wir vorsichtig sein.

Die Pflicht des Gedenkens ist es, die meine Beziehung zur jüdischen Gemeinschaft in Frankreich und in der ganzen Welt so stark macht. Auch wenn wir uns den Islam und seine Praktiken ansehen, sind die meisten Praktiken dem Judentum sehr ähnlich. Meine Beziehungen zu den Juden in Frankreich, in Europa und in den Vereinigten Staaten, auch zu jenen in Tunesien, sind brüderlich, und meine Beziehungen zu Israel und der israelischen Gesellschaft werden es mir ermöglichen, mit anderen zu sprechen und sie zu beeinflussen.

JNS: Was würden Sie Muslimen sagen, die vielleicht vorgefasste Meinungen über Juden und Israel haben?

HC: Der Koran ist die Botschaft, er spricht davon, auf andere zuzugehen; mit Toleranz, Offenheit und Respekt zu der der Familie der Völker des Buches zu sprechen, und insbesondere zu den Kindern Isaaks, den Kindern der Nachkommen Israels und Moses‘. Ich kann nicht gläubiger Muslim und gleichzeitig Antisemit sein, der die jüdische Gemeinschaft hasst, denn das würde bedeuten, dass ich einen großen Teil meines Glaubens verraten würde.

Es ist wichtig, auf andere zuzugehen und einen Dialog zu führen. Wir können unterschiedliche Standpunkte zur israelischen Politik haben, diese Freiheit gibt es sogar innerhalb Israels. Als ich in der Knesset war, gab es arabische Abgeordnete, die die Politik von Premierminister Benjamin Netanjahu kritisierten; manche waren dafür, manche dagegen. Das ist Freiheit, aber wir haben nicht das Recht, Antisemiten zu sein, wir haben nicht das Recht, eine ganze Bevölkerung zu hassen, wir haben nicht das Recht, einen ganzen Staat, fast sieben oder acht Millionen Juden zerstören zu wollen. Das ist im Islam verboten und ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Der Schlüssel dazu ist der Dialog. Überzeugen Sie sich selbst und besuchen Sie Israel. Jedes Mal, wenn ich junge Leute und Imame mitbringe, zeige ich ihnen, dass es sogar in der Knesset einen Gebetsraum gibt, eine kleine Moschee, in der ich gebetet habe. Dies soll ein Land der Apartheid und des Rassismus sein? Es tut mir leid, das ist es nicht.

Ich war in Akko, ich war in der Al-Aqsa-Moschee, all das zeigt Ihnen, wie viel Freiheit es in Israel gibt. Sicher, es gibt Schwierigkeiten für Palästinenser, es gibt Schwierigkeiten mit den Nachbarländern, aber das wird durch Dialog gelöst und nicht durch Hass, nicht durch Terrorismus und nicht durch Menschen, die nicht an die Achtung des menschlichen Lebens glauben.

Der Artikel erschien auf Englisch beim Jewish News Syndicate(Übersetzung von Alexander Gruber.)

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