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Internationaler Gerichtshof schadet der Sache des Friedens 

Bärendienst für den Frieden: Internationaler Gerichtshof präsentiert unverbindliches Gutachten zu Israel
Bärendienst für den Frieden: Internationaler Gerichtshof präsentiert unverbindliches Gutachten zu Israel (© Imago Images / ANP)

Das IGH-Gutachten zu Israel und den Palästinensergebieten ist eine einseitige Stellungnahme gegen den jüdischen Staat, die Verhandlungen um einen Friedensschluss schwieriger machen wird.

Shlomo Levin 

Am 19. Juli veröffentlichte der Internationale Gerichtshof (IGH) sein lange erwartetes Gutachten zu dem, das die Generalversammlung der Vereinten Nationen als »andauernde Verletzung des Selbstbestimmungsrechts der Palästinenser durch Israel und die anhaltende Besetzung« bezeichnet. Die Entscheidung ist eine achtzigseitige Verurteilung Israels, begleitet von einem verwirrenden Geflecht aus vierzehn separaten Stellungnahmen, Erklärungen und abweichenden Meinungen der fünfzehn Richter. 

Der Hauptbeschluss listet viele Beispiele für die angebliche Verletzung der Rechte der Palästinenser seitens Israel auf, darunter Diskriminierung bei der Wohnungssuche, illegale Landnahme oder unnötige Einschränkungen der Bewegungsfreiheit. Hätte die Stellungnahme des IGH an dieser Stelle geendet, hätte sie klar und überzeugend dargelegt, dass Israel Unrecht begangen hat, das korrigiert und geändert werden muss.

Stattdessen macht das Gutachten aber einen gewaltigen Logiksprung und kommt zu dem Schluss, dass aufgrund dieser Verstöße Israels Präsenz auf jedem Quadratzentimeter des Westjordanlands, von Ostjerusalem und dem Gazastreifen irgendwie illegal geworden sei. Der Bericht liefert allerdings keine Erklärung dafür, was dies bedeutet – wahrscheinlich, weil sich die Richter nicht auf eine Erklärung einigen konnten.

In der Tat war dies einer der Hauptpunkte der Meinungsverschiedenheiten. Drei Richter (Peter Tomka, Ronny Abraham und Bogdan Aurescu) schrieben unabhängig voneinander, sie seien ebenfalls der Meinung, dass Israel viele palästinensische Rechte in den umstrittenen Gebieten verletze, aber die richtige Schlussfolgerung daraus sei, dass Israel diese Verstöße einstellen sollte. 

Die Frage der Recht- oder Unrechtmäßigkeit der israelischen Präsenz in den Gebieten kann nur beurteilt werden, wenn man zu den Anfängen im Sechstagekrieg von 1967 zurückgeht, was der IGH allerdings nicht getan hat.

Einseitiges Gutachten

In ihren einzelnen Erklärungen führen die Richter mehrheitlich unterschiedliche Begründungen für ihre Argumentation an. Der Hauptpunkt war, dass nach dem Völkerrecht die Besetzung von feindlichem Gebiet in Kriegszeiten zwar möglich sei und nicht verboten werden kann, die Besetzung jedoch nur von kurzer Dauer sein dürfe und bald nach Beendigung des Kriegs eingestellt werden sollte. Da die derzeitige Situation seit 1967 besteht, können sie nicht mehr als unmittelbare Folge des Sechstagekriegs angesehen werden, sondern habe sich zu einer illegalen Aneignung von Territorium gewandelt, so die vorgebrachte Begründung.

Es gibt jedoch viele gute Gründe, diese Behauptungen zu bestreiten. Am wichtigsten ist, dass Israel im Laufe der Jahre an zahlreichen Verhandlungen und Friedensprozessen teilgenommen hat, um den endgültigen Status der Gebiete zu klären, und Israel nicht allein für deren Scheitern verantwortlich gemacht werden kann. 

Israel mag zwar völkerrechtlich verpflichtet sein, nach Treu und Glauben über den Abzug seiner Truppen aus den umstrittenen Gebieten zu verhandeln und den Palästinensern die Ausübung ihres Selbstbestimmungsrechts zu ermöglichen, aber die andere Seite, also die Palästinenser, muss sich ebenfalls nach Treu und Glauben bemühen, einen Weg auszuhandeln, der die Sicherheit Israels gewährleistet und die zahlreichen praktischen Schwierigkeiten löst. In der Entscheidung des IGH wird der Eindruck erweckt, die Schuld an der langwierigen politischen Pattsituation liege einzig bei Israel.

Auch die Sicherheitsbedenken Israels werden in der Stellungnahme kaum bis gar nicht erwähnt. Einige der Richter schreiben in ihren abweichenden Erklärungen sogar explizit, der Sicherheit Israels hätte in dem Gutachten mehr Gewicht beigemessen werden sollen. 

Auf der anderen Seite rechtfertigt der südafrikanische Richter Dire Tladi in seiner besonders scharfen antiisraelischen Stellungnahme die Missachtung der Sicherheit Israels damit, dass alle Nationen auf die eine oder andere Weise Sicherheitsbedenken hätten, diese aber nicht zur Rechtfertigung von Verstößen gegen das Völkerrecht herangezogen werden können. In einer kaum verhüllten Anspielung fragt er rhetorisch, ob die Sicherheitsbedenken Russlands im Hinblick auf einen möglichen NATO-Beitritt der Ukraine möglicherweise eine Invasion rechtfertigen könnten.

Doch dieser Vergleich hinkt gewaltig. Vor allem nach dem 7. Oktober 2023 kann niemand das Risiko leugnen, dass jedes Gebiet, aus dem sich Israel zurückzieht, sofort von palästinensischen Terroristen eingenommen wird, die sich der Zerstörung des jüdischen Staates verschrieben haben. Israels Sicherheitsbedenken beruhen nicht auf abstrakten, geopolitischen Berechnungen wie die von Russland oder der meisten anderen Nationen. Stattdessen ist Israel mit ständiger, andauernder Gewalt sowie mit ausdrücklichen Drohungen von noch mehr Gewalt konfrontiert.

Falsches Zeichen

Die Mehrheitsmeinung des IGH misst auch den historischen und rechtlichen Ansprüchen Israels auf Teile des Gebiets, die das Gericht als besetzt betrachtet – wie zum Beispiel Gush Etzion, aus dem die Juden 1948 vertrieben wurden oder die Altstadt von Jerusalem, in der das ebenso passierte – keinerlei Gewicht bei. In der Stellungnahme wird dies in wenigen Sätzen abgetan, indem lediglich erklärt wird, das Gericht werde nicht über historische Fragen urteilen, und historische Ansprüche könnten nicht den Erwerb von Gebieten mit Gewalt rechtfertigen.

Wenn dem aber so ist: Warum soll dann die arabische Eroberung dieser Orte während des israelischen Unabhängigkeitskriegs von 1948 plötzlich von Bedeutung sein, wie es das Gericht implizit festlegt, wenn es diese Orte den Palästinensern zuspricht? Mit Beschluss entscheiden die Richter tatsächlich über historische Ansprüche zugunsten der Palästinenser und legitimieren die Gebietseroberung durch arabische Armeen. Die Mehrheit wendet sich also nur dann gegen die gewaltsame Aneignung von Gebieten, wenn es Israel im Rahmen der Selbstverteidigung gelungen ist, diese Gebiete zurückzuerobern.

In ihrem scharfen Widerspruch gegen das IGH-Gutachten erklärte die ugandische Richterin Julia Sebutinde, die entscheidende Mehrheit der Richter habe den historischen Hintergrund, der für das Verständnis des Konflikts von entscheidender Bedeutung ist, außer Acht gelassen. Nicht zuletzt deswegen sei der IGH-Beschluss als einseitige Stellungnahme gegen Israel zu charakterisieren, die keine umfassende, ausgewogene oder unparteiische Prüfung der betreffenden Fragen widerspiegele.

Sebutindes Ansicht nach hätte der IGH es ablehnen müssen, überhaupt eine Stellungnahme abzugeben. Stattdessen hätte er Israel und die Palästinenser ermutigen sollen, die Verhandlungen wieder aufzunehmen, um eine dauerhafte Lösung für ihren Konflikt zu finden. Weitere Richter schlossen sich Sebutinde an und äußerten die Befürchtung, das IGH-Gutachten könnte solche Verhandlungen sowohl schwieriger als auch unwahrscheinlicher machen. Leider haben sie wahrscheinlich Recht.

Shlomo Levin ist Autor von The Human Rights Haggadah(Der Text erschien auf Englisch zuerst beim Jewish News Syndicate. Übersetzung von Alexander Gruber.)

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