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IGH-Richter: Gutachten ist »parteiisch, einseitig, selektiv«

Selbst IGH-eigene Richter halten das jüngste Gutachten über Israel in allen Kernpunkten für falsch. (© imago images/Sipa USA)
Selbst IGH-eigene Richter halten das jüngste Gutachten über Israel in allen Kernpunkten für falsch. (© imago images/Sipa USA)

IGH-Richter zerlegen das IGH-Gutachten über Israel. Es sei sei »nicht korrekt« und hätte keine rechtlichen Grundlagen.

Am 19. Juli hat der Internationale Gerichtshof (IGH) eine sogenannte »Advisory Opinion« abgegeben, in der er erklärt, dass »die fortgesetzte Präsenz des Staates Israel in den besetzten palästinensischen Gebieten rechtswidrig« sei. Die »Anwesenheit« Israels im »Occupied Palestinian Territory« (OPT) müsse »so schnell wie möglich« beendet werden. Israel habe »unverzüglich alle neuen Siedlungsaktivitäten einzustellen und alle Siedler aus den besetzten palästinensischen Gebieten zu evakuieren«, darüber hinaus müsse es Entschädigungen an die Palästinenser zahlen.

Die veröffentlichte Stellungnahme ist genau das, was der Name besagt: kein Urteil in einem regulären Verfahren, sondern eine rechtliche Meinungsäußerung. Der IGH beantwortete damit Fragen, die von der UNO-Generalversammlung am 30. Dezember 2022 in Resolution 77/247 an ihn gestellt hatte. Verabschiedet wurde die Resolution damals mit einer Mehrheit von 98 Ja- zu 17 Nein-Stimmen.

Die neun Seiten der englischen Fassung der Resolution bestanden aus achteinhalb Seiten, auf denen auf frühere anti-israelische Beschlüsse der Generalversammlung und anderer Gremien verwiesen und angebliche israelische Untaten angeprangert wurden, und einer halben Seite, auf der dem IGH zwei Fragen gestellt wurden, die so tendenziös und vorverurteilend waren, dass u.a. die USA, Deutschland und Österreich gut daran taten, gegen die Resolution zu stimmen.

Der Wert einer Stellungnahme

Anders als IGH-Urteile sind Stellungnahmen wie jene vom 21. Juli rechtlich nicht bindend. Sie haben, wie Ori Pomson auf der Webseite des Lieber Institute in West Point bemerkt, »angesichts der Stellung und des Ansehens des Gerichtshofs dennoch ein überzeugendes Gewicht« und gelten als »maßgebliche Erläuterung des internationalen Rechts«.

Um ein solches Gewicht zu haben, müssen IGH-Äußerungen aber auch wirklich überzeugend sein. Dafür müssen sie zumindest zwei Kriterien erfüllen. Ersten sollten die Richter in der Sache nicht allzu uneins sein. In Pomsons Worten:

»Meinungsverschiedenheiten, Vorbehalte und andere von Richtern formulierte Einschränkungen können – und sollten – das Gewicht einer Stellungnahme abschwächen. Je größer die Meinungsverschiedenheiten innerhalb des Gerichtshofs sind, desto weniger trägt das Ansehen des Gerichtshofs als solches wirklich zum formalen Gewicht einer Stellungnahme bei.«

Zweitens kann eine Stellungnahme des IGH nur dann maßgeblich sein, wenn deren Substanz ein solches Gewicht hergibt. »Wenn ein Gutachten inhaltlich nicht überzeugend ist, dann ist das eben so.« In der Vergangenheit ist es schon mehrfach vorgekommen, dass der Gerichtshof Positionen vertreten hat, die von einem nicht unbedeutenden Teil der Experten und von vielen Staaten schlicht für falsch gehalten wurden bzw. heute als überholt gelten.

Das war auch in Bezug auf Israel schon der Fall, etwa, als der IGH in einer Stellungnahme von 2004 behauptete, das Selbstverteidigungsrecht eines Staates gemäß Artikel 51 der UNO-Charta sei auf bewaffnete Angriffe anderer Staaten beschränkt und gelte nicht im Falle von Angriffen durch nichtstaatliche Akteure. Das wird nicht nur heute von einer Mehrheit der Völkerrechtler und Staaten deutlich anders gesehen, sondern war auch damals schon eine mehr als fragwürdige Interpretation: Nur wenige Jahre zuvor hatte der UNO-Sicherheitsrat in Sicherheitsratsresolution 1368, verabschiedet nur einen Tag nach den Terroranschlägen des 11. September 2001 in New York und Washington, das Selbstverteidigungsrecht der Staaten auch nach Angriffen nichtstaatlicher Akteure anerkannt.

Die jüngste Stellungnahme des IGH über Israel erfüllt jedenfalls keines der beiden angeführten Kriterien, die Voraussetzungen dafür sind, dass Äußerungen des Gerichtshofs überzeugendes Gewicht zukommt: Einige der Richter haben fundamentale Einwände gegen die Kernaussagen der »Advisory Opinion«, und manche der Ausführungen des IGH sind von geradezu erbärmlicher Qualität.

Abweichende Erklärungen

Wie eingangs erwähnt, vertritt der IGH in seiner Stellungnahme die Ansicht, »dass die fortgesetzte Präsenz des Staates Israel in den besetzten palästinensischen Gebieten rechtswidrig ist«. Allerdings herrschte in dieser Frage unter den Richtern alles andere als Einigkeit. Vier von elf Richtern stimmten dieser zentralen Aussage des Gutachtens nicht zu. Dieselben vier Richter teilen auch nicht die Position, dass Israel seine »unrechtmäßige Präsenz in den besetzten palästinensischen Gebieten so schnell wie möglich beenden« müsse. Und eine Stimme, die der Vizepräsidentin des IGH, widersprach praktisch in allen Punkten den Ausführungen des Gutachtens.

Die Einwände der von der Mehrheitsmeinung des Gerichts abweichenden Äußerungen sind von so grundlegender Natur, dass sie von der rechtlichen Substanz der Stellungnahme praktisch kaum etwas übriglassen. Die ausführlichste abweichende Meinung hat Julie Sebutinde vorgelegt, die Vizepräsidentin des IGH, die der »Advisory Opinion« in fast allen Punkten fundamental widerspricht. Sebutindes Ausführungen sind gleichermaßen ausführlich wie lesenswert, aber da sie sich in Sachen Israel konsequent gegen die Verlautbarungen ihrer Kollegen stellt, kamen sie nicht unerwartet.

Wir wollen uns im Folgenden auf die Äußerungen der anderen drei Richter konzentrieren, die gegen die zentralen Behauptungen des IGH-Gutachtens stimmten. Ihre Ausführungen sind umso wichtiger, als sie mit Israels Handlungen durchaus nicht einverstanden sind und in einigen von ihnen Verstöße gegen internationales Recht sehen. Nichtsdestotrotz lassen sie an der Mehrheitsmeinung der IGH-Richter kaum ein gutes Haar.

»Parteiisch, einseitig, selektiv«

Die Richter Peter Tomka (Slowakei), Ronny Abraham (Frankreich) und Bodgan-Lucian Aurescu (Rumänien) erklären in einer gemeinsamen Stellungnahme, warum sie »auf der Grundlage einer strengen rechtlichen Analyse« nicht in der Lage sind, die »gleichen Schlussfolgerungen ziehen, wie sie in den Antworten des Gerichtshofs dargelegt sind.«

Insbesondere kritisieren sie, dass der IGH zum ersten Mal nicht nur gewisse Praktiken Israels für rechtswidrig erkläre, sondern, »dass die Anwesenheit Israels in den Gebieten selbst rechtswidrig ist und dass es sich daher ohne jede vorherige Garantie, insbesondere in Bezug auf seine Sicherheit, aus diesen Gebieten zurückziehen muss«. Dem halten die drei Richter entgegen, dass »die Achtung des Rechts Israels auf Sicherheit eines der wesentlichen Elemente ist, die für einen dauerhaften Frieden zu berücksichtigen sind«. Daraus folgern sie:

»Wir sind der Ansicht, dass das Gericht (…) einen rechtlich falschen Weg eingeschlagen hat und zu Schlussfolgerungen gelangt ist, die rechtlich nicht korrekt sind.«

In den folgenden Ausführungen gehen sie mit ihren Richterkollegen scharf ins Gericht:

»Der Gerichtshof hat sich dafür entschieden, den israelisch-palästinensischen Konflikt in einer parteiischen und einseitigen Weise darzustellen, die seine rechtliche und historische Komplexität außer Acht lässt.«

So schenke der IGH den Bemühungen, angefangen mit Sicherheitsratsresolution 242 von 1967, den Konflikt »auf der Grundlage der Koexistenz zweier Staaten und des Rechts beider Völker auf ein Leben in Frieden und Sicherheit« zu lösen, kaum Beachtung. Damit mache er sich einer »selektiven« Lektüre schuldig. Dem halten die drei Richter entgegen, dass der Konflikt in »ausgewogener, nuancierter und umfassender Weise angegangen werden muss, was in der vorliegenden Stellungnahme völlig fehlt.«

Die Verwirklichung palästinensischer Selbstbestimmung könne nicht auf Kosten der Sicherheit, ja der Existenz Israels verwirklicht werden. Nur weil bestimmte aktuelle israelische Vorgehensweisen auf dem Weg zu einem Frieden nicht hilfreich sein mögen, sei dies

»kein Grund, die legitimen Sicherheitsbedenken dieses Staates zu ignorieren und den vom Sicherheitsrat abgesteckten Rahmen völlig zu verlassen, wie es in der vorliegenden Stellungnahme geschieht.«

Unrechtmäßige Besatzung?

Für die Behauptung der Mehrheit der Richter, dass Israels »Besatzung« illegal sei, haben die drei Richter keinerlei Verständnis, sondern diese werde aufgestellt, »ohne sich auf eine überzeugende Rechtsgrundlage zu stützen«:

»Dem Gutachten zufolge ist nicht nur das Verhalten Israels in den besetzten palästinensischen Gebieten rechtswidrig, sondern auch seine bloße Anwesenheit und damit die Besatzung selbst. Wir können uns einer solchen Schlussfolgerung nicht anschließen, da sie auf keiner seriösen oder soliden rechtlichen Grundlage beruht.«

An dieser Stelle erteilen die drei Richter ihren Kollegen, die zwei verschiedene Dinge vermischen würden, eine Art Nachhilfestunde. Die Frage der Legalität einer Besatzung sei eine andere Frage als die nach der konkreten Ausgestaltung dieser Besatzung. Was auch immer eine Besatzungsmacht in letzterer Hinsicht falsch mache, habe keine Auswirkungen auf die Frage der Rechtmäßigkeit der Besatzung.

Vom einen zum anderen zu springen sei durch nichts rechtlich begründbar. Das Gericht hätte sich einer Aussage über die Legalität der Besatzung an sich, nach der in der UNO-Generalversammlungsresolution gar nicht gefragt worden war, enthalten müssen. Das wäre die »einzig rechtlich korrekte« Vorgehensweise gewesen. Es gebe »keine rechtliche Grundlage« dafür, die Besatzung an sich für unrechtmäßig zu erklären.

Ob die Besatzung an sich rechtmäßig ist, hänge einzig und allein an der Frage, »ob die militärische Aktion, die zur Besatzung geführt hat, als rechtmäßig oder unrechtmäßig im Sinne des jus ad bellum« bewertet werde. Das Gericht habe die für eine solche Entscheidung nötigen Informationen, bei der es um eine Bewertung des Krieges von 1967 gegangen wäre, überhaupt nicht vorliegen gehabt. (Hinzugefügt sei: Der Sicherheitsrat hat den israelischen Präventivkrieg im Juni 1967 und die darauffolgende Besatzung in seiner Resolution 242 nicht für unrechtmäßig erklärt.)

»Unvollständig, einseitig«

Die drei Richter teilen auch nicht die Position, dass Israel seine »unrechtmäßige Präsenz in den besetzten palästinensischen Gebieten so schnell wie möglich beenden« müsse, da hier legitime israelische Sicherheitsinteressen eine Rolle spielen müssten. Die »Advisory Opinion« »beruht auf der impliziten Vorstellung, dass Israel keine ernsthaften Sicherheitsbedenken hat, oder dass solche Bedenken, wenn es sie denn gibt, irrelevant sind.« Dem können sich die drei Richter nicht anschließen:

»Wir glauben, es ist nur fair, auch anzuerkennen, dass dieser Staat ernsthaften Sicherheitsbedrohungen ausgesetzt ist und dass das Fortbestehen dieser Bedrohungen es rechtfertigen könnte, ein gewisses Maß an Kontrolle über das besetzte Gebiet aufrechtzuerhalten, bis ausreichende Sicherheitsgarantien, die derzeit fehlen, gegeben sind.«

Auch in diesem Punkt habe die IGH-Stellungnahme die Fakten »unvollständig und einseitig« dargestellt und beispielsweise die Oslo-Abkommen praktisch unberücksichtigt gelassen. Eine friedliche Lösung müsse einen Ausgleich zwischen dem palästinensischen Recht auf Selbstbestimmung und israelischen Sicherheitsinteressen finden. Der IGH habe diesen Punkt weitgehend ignoriert und sei daher »zu Schlussfolgerungen gelangt, für die es im internationalen Recht keine angemessene Rechtsgrundlage gibt.«

Parteiisch, einseitig, selektiv, unvollständig, falscher Weg, rechtlich nicht korrekt, keine seriöse oder solide rechtliche Grundlage, das sind nur einige der Worte, die Tomka, Abraham und Aurescu für das IGH-Gutachten finden. Und sie kommen nicht etwa von Vertretern Israels, sondern von IGH-Richtern, die selbst einiges an Israels Verhalten auszusetzen haben. Aber anders als elf ihrer Kollegen waren sie bei aller Kritik nicht bereit, den Boden solider rechtlicher Analyse und Beurteilung zu verlassen und sich in Agitation zu ergehen, die sich bloß zum Schein an Völkerrecht orientiert, in Wahrheit aber nur vorgefasste Urteile bestätigt und anti-israelische Propaganda wiedergibt.

»Apartheid«?

Als »vernichtend« für Israel bezeichnete der österreichische Völkerrechtler Ralph Janik die »Advisory Opinion« des IGH (Kurier, 24. Juli 2024). »Vernichtend« ist sie in der Tat, allerdings nicht für Israel, sondern für den IGH, dessen eigene Richter seiner Stellungnahme im Grunde attestieren, ein inkompetentes, einseitiges und rechtlicher Grundlagen entbehrendes Machwerk zu sein.

Wie skandalös die Mehrheit der Richter dabei vorging, lässt sich am Beispiel der angeblichen israelischen »Apartheid« im Westjordanland demonstrieren. Die Resolution, mit der das IGH-Urteil in Auftrag gegeben wurde, enthielt u.a. die Frage, welche rechtlichen Konsequenzen aus »diskriminierenden Rechtsvorschriften und Maßnahmen« erwachsen würden, derer Israel sich schuldig mache. Dass der jüdische Staat in diesem Punkt schuldig sei, setzte die UNO-Generalversammlung einfach voraus.

Um zu verdeutlichen, was der IGH unter Diskriminierung versteht, verweist sein Gutachten u.a. auf das »Internationale Übereinkommen über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung« (»International Convention on the Elimination of All Forms of Racial Discrimination«/ICERD) von 1966. Der IGH zitiert daraus Artikel 1(1):

»In diesem Übereinkommen bezeichnet der Ausdruck ›Rassendiskriminierung‹ jede auf der Rasse, der Hautfarbe, der Abstammung, dem nationalen Ursprung oder dem Volkstum beruhende Unterscheidung, Ausschließung, Beschränkung oder Bevorzugung, die zum Ziel oder zur Folge hat, dass dadurch ein gleichberechtigtes Anerkennen, Genießen oder Ausüben von Menschenrechten und Grundfreiheiten im politischen, wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen oder jedem sonstigen Bereich des öffentlichen Lebens vereitelt oder beeinträchtigt wird.«

In Abschnitt D(6) seiner Stellungnahme zieht der IGH dann Bilanz über all die Maßnahmen, im Zuge derer Israel die Palästinenser in den »besetzten Gebieten« – der Gerichtshof zählt konsequent auch den Gazastreifen als solch »besetztes« Gebiet, obwohl Israel sich 2005 vollständig daraus zurückgezogen hat – anders und damit diskriminierend behandeln würde. Dass es beispielsweise bestimmte Einschränkungen der Bewegungsfreiheit im Westjordanland gibt (Checkpoints usw.), könne laut dem IGH »weder durch vernünftige und objektive Kriterien noch durch ein legitimes öffentliches Ziel gerechtfertigt werden«.

Dass etwa Israelis in Jerusalem gerne auf einen Markt oder in Tel Aviv in ein Café gehen können wollen, ohne von Selbstmordattentätern aus Nablus oder Dschenin in die Luft gejagt zu werden, ist für den IGH weder ein »vernünftiges Kriterium«, noch ein »legitimes öffentliches Ziel«. Denn wie überall sonst in dem Gutachten, wischt der IGH auch hier israelische Sicherheitsinteressen einfach beiseite oder ignoriert sie komplett.

Und was das Leib und Leben von sogenannten Siedlern betrifft, redet die Mehrheit der IGH-Richter nicht lange herum: Sie hätten im Westjordanland nichts verloren, also dürfe Israel prinzipiell keinerlei Maßnahmen zu deren Schutz setzen, die irgendwie die Bewegungsfreiheit der Palästinenser einschränken würden – und seien es auch nur Kontrollpunkte auf Zufahrtsstraßen.

Da das israelische Vorgehen im Westjordanland laut dem IGH jedenfalls keinerlei legitimen Gründe haben könne, müsse es einen finsteren Zweck verfolgen: Israel müsse absichtlich das Ziel verfolgen, die Palästinenser zu »diskriminieren«. Deshalb verstoße es gegen Artikel 2 der ICERD, der alle Staaten verpflichtet, »mit allen geeigneten Mittlen unverzüglich eine Politik der Beseitigung der Rassendiskriminierung in jeder Form (…) zu verfolgen.

Und zu guter Letzt erklärt der IGH auch noch, Israel würde gegen Artikel 3 der ICERD verstoßen, der insbesondere »Segregation und die Apartheid« verurteile. In der Stellungnahme wird das nicht so eindeutig formuliert, aber ihr Schluss lautet: Israel unterhalte in den »besetzten Gebieten« ein System der Apartheid.

Staatsbürger und andere

Um das behaupten zu können, bedient sich der IGH all der Mittel, die ihm von den vier opponierenden Richtern angekreidet werden. Er ignoriert den Kontext der Situation im Westjordanland, wischt legitime israelische Interessen beiseite, schildert die Gegebenheiten einseitig und verzerrend und bedient sich einer so selektiven Lesart der rechtlichen Grundlagen, dass am Ende des ganzen Unterfangens eine haarsträubend falsche Schlussfolgerung steht.

Im Kern geht es darum, dass der IGH Israel vorwirft, Israelis und Palästinenser im Westjordanland rechtlich unterschiedlich zu behandeln, und das in diskriminierender Absicht. Er verweist dabei zwar auf einige Artikel aus der ICERD, unternimmt dabei aber eine bemerkenswerte Auslassung: Auf den im Gutachten zitierten Artikel 1(1), der jede » auf der Rasse, der Hautfarbe, der Abstammung, dem nationalen Ursprung oder dem Volkstum beruhende Unterscheidung« als »Rassendiskriminierung« definiert, folgt in der ICERD Artikel 1(2), der vom IGH schlicht unterschlagen wird. Der lautet:

»Dieses Übereinkommen findet keine Anwendung auf Unterscheidungen, Ausschließungen, Beschränkungen oder Bevorzugungen, die ein Vertragsstaat zwischen eigenen und fremden Staatsangehörigen vornimmt.«

Die Bezeichnungen »fremde Staatsangehörige« (»non-citizens«) kommt in der gesamten IGH-Stellungnahme kein einziges Mal vor, dabei ist dies der Unterschied ums Ganze: Israelische Staatsbürger sind israelischem Recht unterworfen, Palästinenser im Westjordanland nicht, weil sie nun einmal keine israelischen Staatsbürger sind. Das hat nichts mit »Rassendiskriminierung« zu tun, sondern ist eine Unterscheidung, die jeder Staat der Welt trifft – und die Israel als Besatzungsmacht, die es laut IGH im Westjordanland ist, auch treffen muss, um sich nicht den Vorwurf der »illegalen Annexion besetzter Gebiete« einzufangen.

Indem der IGH diesen Passus aus der Antirassismus-Konvention einfach unterschlägt und dem israelischen Verhalten rassistische Intentionen unterstellt, macht er aus Israel einen Apartheidstaat. Dieses Vorgehen ist nicht neu, Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch oder Amnesty International, die Israel der Apartheid beschuldigen, bedienen sich genau derselben interessierten Auslassung wie der IGH, doch macht das diese gleichermaßen ab- wie offensichtliche Verzerrung eines internationalen Übereinkommens um keinen Deut besser.

Araber hüben wie drüben

Selbst mit seiner selektiven Lesart der ICERD hätte dem IGH auffallen müssen, dass der Vorwurf der »Rassendiskriminierung« gegen Israel absurd ist. Doch er wandte einen weiteren Trick an, um zu der Schlussfolgerung zu kommen, die er krampfhaft ziehen wollte: Stillschweigend setzt er »Israelis« mit »jüdische Israelis« gleich und macht damit das Faktum unsichtbar, dass rund 20 Prozent der Israelis Araber sind – arabische Staatsbürger des jüdischen Staates eben, die mit jüdischen Israelis rechtlich gleichberechtigt sind. Das trifft selbstverständlich auch auf das Westjordanland zu: Alle Regeln, die sich dort auf Israelis, nicht aber auf Palästinenser beziehen, betreffen arabische Israelis ganz genauso wie jüdische.

So gibt es, auch wenn der IGH einen anderen Eindruck erwecken will, beispielsweise in der Westbank keine Straßen, die nur von Juden benutzt werden dürfen, sondern solche, deren Verwendung (aus Sicherheitsgründen) Israelis vorbehalten sind. Aber damit sind arabische Israelis selbstverständlich eingeschlossen – von »Rassendiskriminierung« keine Spur.

In der Realität, die sich in entscheidenden Punkten von der Karikatur unterscheidet, die der IGH von ihr zeichnen will, befinden sich auf beiden Seiten der Konfliktlinie Araber. Das anzuerkennen, hätte freilich die ganze Argumentation des IGH ad absurdum geführt, dass hier ein Fall von intentionaler Diskriminierung aufgrund von »Rasse«, Hautfarbe, Abstammung oder Volkstum vorliegen soll.

Es gibt nur einen Unterschied, der gemacht wird, und der steht mit dem Antirassismus-Übereinkommen in Einklang: die israelische Staatsangehörigkeit, die die einen Araber eben zu israelischen Bürgern macht, die anderen aber nicht.

Auftragsarbeit

Die vom IGH am 19. Juli veröffentlichte »Advisory Opinion« ist im wahrsten Sinne eine Auftragsarbeit: Bestellt wurde sie mit einer durch und durch einseitigen und vorverurteilenden Resolution der UNO-Generalversammlung, herausgekommen ist dabei ein in bestem Lawfare-Jargon gefasstes Sammelsurium anti-israelischer Propaganda.

Dass die Stellungnahme mit solider juristischer Beurteilung wenig zu tun hat, machen nicht zuletzt die vier Richter deutlich, die an der Arbeit ihrer IGH-Kollegen kaum ein gutes Haar lassen. Wir können uns sparen, an dieser Stelle noch einmal all die vernichtenden Charakterisierungen anzuführen, mit denen sie das Gutachten zerlegen.

Am Beispiel der angeblichen israelischen Apartheid haben wir gezeigt, wie skandalös der IGH in seiner Stellungnahme vorgeht: Er hat nicht unparteiisch und umfassend Fakten zusammengetragen, um diese dann mit juristischen Maßstäben unvoreingenommen zu beurteilen, sondern hat ein diffamierendes Urteil über Israel vorausgesetzt, um sich dann Fakten und juristische Versatzstücke zusammenzuklauben, die dieses Urteil wenigstens dem Schein nach untermauern. Was dem widersprochen hätte, hat er einfach unterschlagen.

Mit internationalem Recht hat das nur dem Anschein nach zu tun. Ohne Zweifel wird die IGH-Stellungnahme in den Kanon israelfeindlicher Propaganda aufgenommen werden. Jetzt gibt es neben unzähligen (mit automatischen antiisraelischen Mehrheiten verabschiedeten) UNO-Resolutionen nach dem Gutachten von 2004 über den israelischen Sicherheitszaun eben eine weitere »Advisory Opinion« des IGH, mit der Israel verdammt werden kann.

Damit erfüllt das Gutachten genau den Zweck, für den es in Auftrag gegeben wurde. Nichts anderes war von ihm zu erwarten. Diese Bedeutung sollte man ihm beimessen, mehr aber auch nicht.

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