Die Untersuchung zeigt, dass die israelischen Sicherheitskräfte die Bewohner von Be’eri in den ersten Stunden des Terrorangriffs nicht ausreichend vor dem Eindringen von Terroristen gewarnt haben.
Akiva Van Koningsveld
Fast dreihundertfünfzig Hamas-Terroristen, darunter hundert Mitglieder der Nukhba-Elitetruppe, konnten am 7. Oktober 2023 in den Kibbuz Be’eri im Süden Israels eindringen, weil die Israelischen Verteidigungsstreitkräfte (IDF) sowohl in ihrer Bereitschaft als auch in ihrer Reaktion katastrophal versagt haben, so der erste Teil der internen IDF-Untersuchung der Anschläge.
»Die IDF hatte bis zu den Nachmittagsstunden des 7. Oktobers Schwierigkeiten, sich einen klaren Überblick zu machen, was in dem Kibbuz vor sich geht, obwohl das Yishuv-Notfallteam ein aktuelles Bild davon hatte, was in den Morgenstunden in dem Kibbuz geschah«, heißt es in dem Bericht, den das Militär am Donnerstagabend veröffentlichte. »Die Untersuchung zeigt, dass die Sicherheitskräfte die Bewohner von Be’eri in den ersten Stunden des Terroranschlags nicht ausreichend vor dem Eindringen von Terroristen gewarnt haben«, heißt es weiter.
In den ersten Stunden des Anschlags am 7. Oktober, einem Schabbatmorgen, waren die Kämpfe im Kibbuz »durch einen Mangel an Befehl und Kontrolle und einen Mangel an Koordination und Ordnung zwischen den verschiedenen Kräften und Einheiten gekennzeichnet. Dies führte zu einer Reihe von Zwischenfällen, bei denen sich die Sicherheitskräfte am Eingang des Kibbuz versammelten und nicht sofort in den Kampf eingriffen«, heißt es in der Untersuchung, die drei Monate in Anspruch nahm und sich auf Hunderte von Stunden an Interviews und eine Unzahl von Materialien stützt.
Reformen nötig
Vor der Veröffentlichung hatten die IDF ihre Ergebnisse der Kibbuz-Gemeinschaft und den Familien der Opfer und Geiseln präsentiert. Wenige Stunden davor sagten Mitglieder des Kibbuz, die Untersuchung sei gründlich gewesen, habe aber wichtige Fragen offengelassen, wie israelische Medien berichteten, die hinzufügten, dass Familienangehörige der Opfer von Be’eri den Rücktritt der IDF-Führung forderten.
Der ehemalige Leiter des israelischen Nationalen Sicherheitsrats Giora Eiland sagte gegenüber dem Jewish News Syndicate (JNS), die interne Analyse sei zwar »ernsthaft und professionell« durchgeführt worden, aber dennoch nicht in der Lage, die dringlichste Frage zu beantworten: wie es nämlich zur Katastrophe vom 7. Oktober kommen konnte. »Um diese Frage zu beantworten, hätte die Untersuchung von oben nach unten beginnen müssen: vom Generalstab bis hinunter zu den konkreten Ereignissen vor Ort.«
Der Vizepräsident des Jerusalem Institute for Strategy and Security und ehemalige stellvertretender Direktor des israelischen Nationalen Sicherheitsrats Eran Lerman erklärte gegenüber JNS, die Fähigkeit des israelischen Militärs, die Verantwortung für das Versagen am 7. Oktober zu übernehmen, müsse nun in weitreichende Reformen der lange vernachlässigten Aspekte der Verteidigungsdoktrin umgesetzt werden: »Lokale Eingreiftruppen und Reservekräfte, die sich einem schnellen Gegenangriff widmen, hätten die nötige Antwort gegeben statt der unorganisierten Ankunft von Spezialkräften von überall her, so mutig sie auch gewesen sein mögen.«
Der Untersuchung nach tötete die Hamas 101 Zivilisten in Be’eri und entführte 32 Menschen, von denen elf noch immer als Geiseln im Gazastreifen sind, wobei den örtlichen bewaffneten Einsatzkräften im Bericht »Entschlossenheit und Mut« bescheinigt wird: »Die Tapferkeit, mit der sie den Kibbuz und seine Bewohner mit ihren Körpern verteidigten, sollte als Wunder betrachtet werden. Es war dieser Kampf, der die totale Eroberung des Kibbuz verhindert und viele Leben gerettet hat.« Das israelische Militär lobte auch das Notfallteam des Kibbuz dafür, dass es »ein aktuelles Lagebild erstellt und den Kontakt zu den Bewohnern unter Beschuss aufrechterhalten hat«.
»Viele Sicherheitskräfte haben im Kibbuz Be’eri tapfer gekämpft und heldenhafte Taten vollbracht«, heißt es in dem Bericht. »Gleichzeitig wurden schwerwiegende Fehler und Irrtümer begangen, und wir haben die Pflicht, daraus zu lernen, uns zu stärken und für die Zukunft zu korrigieren.« Israelische Soldaten »handelten mit großer Tapferkeit und Entschlossenheit«. Einunddreißig Verteidiger, darunter dreiundzwanzig IDF-Angehörige und Mitglieder der bewaffneten Eingreiftruppe sowie acht Polizeibeamte wurden im Kampf getötet, viele Soldaten und Zivilisten verletzt; von den Terroristen kamen einhundert ums Leben.
Die Untersuchung kam zu dem Schluss, dass die IDF »auf ein derart umfangreiches Infiltrationsszenario wie am 7. Oktober nicht vorbereitet waren, bei dem Tausende von Terroristen in mehrere Bereiche eindrangen und an Dutzenden von Brennpunkten gleichzeitig angriffen«.
Vollständiges Bild der Situation
Die IDF führen derzeit eine umfassende Untersuchung der Ereignisse vom 7. Oktober und ihrer Reaktion auf den Terroranschlag durch. Der am Donnerstag veröffentlichte Bericht bezieht sich nur auf die Ereignisse im Kibbuz Be’eri.
Eine »Wende« in den Geschehnissen des 7. Oktobers trat ein, als der Kommandeur der 99. Division, Brigadegeneral Barak Hiram, zum Kommandeur des Gebiets ernannt wurde, so die Untersuchung. »Aufgrund der Vielzahl der Schauplätze und der Notwendigkeit dringender Lösungen wurde für jedes zentrale Kampfzentrum ein ranghoher Kommandeur ernannt, um die in dem Sektor eingetroffenen Kräfte optimal und koordiniert zu aktivieren und nicht auf organische Kräfte zurückzugreifen, was eine langwierige Operation zur Folge gehabt hätte.«
Die Ernennung von Hiram war »von großer Bedeutung für die Erhöhung der operativen Effektivität gegen den Feind, die Reaktion auf die Bewohner und die Schaffung von Klarheit über die Situation und die richtige Führung der kämpfenden Kräfte«, so der Bericht, die festhielt, dass es Zeiten gab, in denen die IDF die evakuierten Bewohner nicht ausreichend schützte oder ihre Grundbedürfnisse nicht erfüllte.
Die Untersuchung kam zu dem Schluss, es gebe »Situationen, in der die Truppen kämpften, um einen Posten zu verteidigen und verwundete Soldaten zu evakuieren und zu behandeln, bevor sie dies für die Zivilisten taten. Diese Fälle resultierten aus der Schwierigkeit, sich ein vollständiges Bild von der Situation zu machen und deshalb handelten die angegriffenen Kräfte, um sich zu verteidigen. Das Gebot, tätig zu werden und sich um den Schutz der Bürger zu bemühen, muss als oberste Aufgabe vor allem anderen absolut gestärkt werden. Die Soldaten werden der Versorgung der Zivilbevölkerung, der Evakuierung, dem Schutz und jeder Notwendigkeit, die auf dem Schlachtfeld auftritt, immer Vorrang einräumen.«
IDF-Stabschef Generalleutnant Herzi Halevi »akzeptierte alle Ergebnisse der Untersuchung und ordnete an, sie in künftige Verteidigungs- und Kampfpläne aufzunehmen«, so die IDF in einer Erklärung zu ihrem Bericht.
(Der Text erschien auf Englisch zuerst beim Jewish News Syndicate. Übersetzung von Alexander Gruber.)