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Was die Hisbollah von einem Krieg mit Israel abhalten könnte

Unlängst erklärte Hisbollah-Chef Nasrallah, nur bis zu einem Waffenstillstand in Gaza kämpfen zu wollen
Unlängst erklärte Hisbollah-Chef Nasrallah, nur bis zu einem Waffenstillstand in Gaza kämpfen zu wollen (© Imago Images / ZUMA Press Wire)

Führen die schlechten Zustimmungsraten unter der nicht-schiitischen Bevölkerung und die katastrophale Wirtschaftslage im Libanon zu einer Mäßigung von Nasrallahs Konfrontationskurs gegenüber Israel?

Eine von Arab Barometer zwischen Februar und April durchgeführte landesweite Umfrage im Libanon zeigt auf, wie sehr die Wirtschaft des Landes und seine Bevölkerung unter Druck stehen: An die achtzig Prozent der Befragten haben kaum Zugang zu Nahrungsmitteln, die sie sich leisten können, sodass in vielen Haushalten ab Monatsmitte kein Essen auf dem Tisch mehr steht. Wasser-, Energie- und Gesundheitsversorgung sind ebenso mangelbehaftet wie fehlender Internetzugang und permanente Stromausfälle, von denen 92 Prozent der Befragten berichten.

Nicht-Schiiten gegen Hisbollah

Wie der Nahost-Korrespondent der Eurasia Review, Neville Teller, in einer Analyse für die Jerusalem Post schreibt, könnten vor allem zwei Ergebnisse der Umfrage die Zurückhaltung von Hisbollah-Chef Hassan Nasrallahs in Bezug auf einen neuen, umfassenden Krieg mit Israel erklären: Erstens genießt die Hisbollah als politische Partei landesweit nur zwölf Prozent Unterstützung. Zieht man die neununddreißig Prozent schiitische Unterstützung ab, ergibt sich, dass außer den Schiiten kein einziges Segment der libanesischen Gesellschaft mehr als ein Prozent Unterstützung für die Hisbollah als politische Partei zeigt.

Zweitens sind die Libanesen in Bezug auf den Gaza-Krieg zwar stark propalästinensisch eingestellt, meinen aber, die Regierung von US-Präsident Joe Biden sollte der wirtschaftlichen Entwicklung im Nahen Osten Vorrang vor der Palästina-Frage einräumen. Nach Ansicht der Meinungsforscher unterstreicht dieses Ergebnis, wie verzweifelt sich die Lage im Libanon entwickelt hat.

Obwohl die Hisbollah praktisch als selbstständiger Staat innerhalb des libanesischen Staates fungiert, der vom Iran mit Waffen ausgestattet und finanziert wird, bestehen ihre Streitkräfte aus jungen libanesischen Männern mit Müttern, Ehefrauen und Geliebten. Die achtjährige militärische Unterstützung des Präsidenten Baschar al-Assad durch die Hamas, die Hunderten von Kämpfern das Leben kostete, wird ihr immer noch übelgenommen. Zwischen den Jahren 2011 und 2019, als sich die Hisbollah schließlich aus Syrien zurückzog, wurden bis zu 1.250 libanesische Soldaten in Syrien getötet. Die meisten Libanesen sehen nur Tod und Zerstörung als Folge eines ungewollten und unerwünschten Kriegs mit Israel, der auf Geheiß des nichtarabischen Staates Iran geführt werden würde.

Dieser Mangel an politischem Vertrauen in die Hisbollah außerhalb der schiitischen Gemeinschaft äußert sich in anhaltender Kritik daran, dass die Terrorgruppe einen Krieg gegen Israel führt, ohne andere Fraktionen zu konsultieren. Selbst der in Katar ansässige TV-Sender Al Jazeera räumt in einem Bericht vom 3. Juli ein, dass »einige Menschen im Libanon, insbesondere aus der christlichen Gemeinschaft, sehr unzufrieden mit der Hisbollah sind«.

Samir Gagea und Samy Gemayel, christliche Politiker, die der Partei der libanesischen Streitkräfte bzw. der Kataeb-Partei vorstehen, werfen der Hisbollah vor, den Libanon in einen vermeidbaren »Zermürbungskrieg« zu ziehen und israelische Angriffe auf libanesischen Boden zu lenken. »Viele christliche Führer lehnen die Entscheidung der Hisbollah, eine Front gegen Israel zu eröffnen, ab«, erklärte ein Libanon-Analyst gegenüber Al Jazeera und fügte hinzu, dass eine Absicht der öffentlichen Kritik darin bestehen könnte, »zu zeigen, dass nicht der gesamte Libanon hinter der Hisbollah steht, in der Hoffnung, ihren Gebieten das Schlimmste eines Kriegs mit Israel zu ersparen«.

Überraschende Wende

Vor diesem Hintergrund gab Hassan Nasrallah am 10. Juli eine neue und überraschende politische Erklärung ab: Er werde die künftige grenzüberschreitende Gewalt zwischen der Hisbollah und Israel vom Erfolg oder Misserfolg der Verhandlungen über einen Waffenstillstand im Gazastreifen abhängig machen.

»Die Hamas verhandelt im Namen der gesamten Achse des Widerstands«, erklärte Nasrallah. »Was immer die Hamas akzeptiert, akzeptieren alle. Gibt es einen Waffenstillstand in Gaza, wird auch unsere Front ohne Diskussion das Feuer einstellen, unabhängig von anderen Vereinbarungen oder Mechanismen oder Verhandlungen.« Nasrallahs Äußerungen erfolgten einige Tage nach einem Treffen mit einer Hamas-Delegation unter der Leitung ihres Chefs für Außenbeziehungen, Khalil al-Hayya.

Nach dem israelischen Attentat auf den Hamas-Militärkommandeur Mohammed Deif am 14. Juli gingen einige Kommentatoren davon aus, die Hamas würde aus der laufenden Verhandlungsrunde aussteigen, was jedoch nicht geschah – vielleicht aus der Erkenntnis der begrenzten und immer geringer werdenden Fluchtmöglichkeiten aus dem Gazastreifen. Mit dem Signal, ihr Beharren auf einen »vollständigen« Waffenstillstand als Bedingung für die Aufnahme von Waffenstillstandsverhandlungen aufzugeben, zeigt sich die Hamas weiterhin engagiert.

Sollte es zu einer Einigung kommen, könnte Nasrallahs neue Politik in Kraft treten. »Das ist eine Verpflichtung«, sagte er kürzlich in einer Fernsehansprache, »denn wir sind eine Unterstützungsfront, das haben wir von Anfang an klar gesagt«. Nasrallah vertrete nun laut Neville Teller öffentlich die Position, dass die Zunahme der grenzüberschreitenden militärischen Aktivitäten seit dem 7. Oktober nicht der Vorbote eines umfassenden Konflikts mit Israel sei, sondern bloß eine Aktion zur Unterstützung der Hamas. Vielleicht bleibt der Region ein weiterer großer Krieg (vorerst) doch erspart.

Zugleich könnte die Analyse des Journalisten aber auch zu optimistisch sein, zeichnet sich der islamistische Vernichtungswahn doch nicht nur durch den Drang zur Selbsterhaltung, sondern ebenso durch jenen zum Losschlagen gegen den prospektiven Feind aus. Dementsprechend dementierte der Hisbollah-Chef in derselben Rede alle Gerüchte bezüglich einer diplomatischen Lösung zur Beendigung des Konflikts an der libanesischen Grenze und drohte Israel mit dem Beschuss seiner Städte, die bislang noch nicht von den Raketen- und Drohnenangriffen der Terrorgruppe betroffen waren, sollte Israel weiterhin »Zivilisten ins Visier nehmen«.

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