Die libanesische Terrorgruppe bräuchte keine Hilfe aus Syrien oder dem Iran, um rudimentäre chemische Sprengköpfe zu bauen.
Yaakov Lappin
Am 20. November veröffentlichte die saudische Nachrichtenwebsite Al-Hadath einen Artikel, in dem berichtet wurde, der Iran wolle Raketen mit chemischen Sprengköpfen an die Hisbollah im Libanon liefern. Angeblich werden die Raketen in der Region Masyaf im Nordwesten Syriens gelagert und sollen über das Beka’a-Tal nach Al-Qusayr im Westen des Landes und anschließend in die Region Bint Jbeil im Südlibanon gebracht werden.
Der Name Masyaf könnte denjenigen, die Israels Kampagne gegen iranische Aktivitäten in Syrien verfolgen, bekannt vorkommen. Am 25. August berichteten internationale Medien, dass eine Einrichtung in Masyaf, die zum Zentrum für wissenschaftliche Studien und Forschung (SSRC), besser bekannt unter seinem französischen Namen CERS, gehört, von einem Luftangriff getroffen wurde.
Nach Ansicht von Tel Beeri, Leiter der Forschungsabteilung des auf Syrien und den Libanon spezialisierten Alma-Zentrums in Israel, sind die Behauptungen Berichts über den Schmuggel von Chemiewaffen aus Syrien in den Libanon zwar mit Vorsicht zu genießen, aber das Szenario, dass die Hisbollah rohe chemische Sprengköpfe einsetzt, sei keine Fantasie.
»Das im [Al Hadath]-Bericht beschriebene geografische Gebiet macht Sinn, da es im Bereich des iranischen Landkorridors liegt, über den Waffen nach Syrien und in den Libanon geschmuggelt werden. Dennoch ist Al-Hadath eine saudische Medienplattform, deren Informationsquellen fragwürdig sind. Es ist auch bekannt, dass die saudischen Behörden Al-Hadath dazu benutzen, Material zu verbreiten, um Einfluss zu gewinnen.«
Unabhängig davon könne die Hisbollah aber sehr wohl Raketen herstellen, die die leicht verfügbare Chemikalie Chlor verwenden. Die Hisbollah müsste kein Chlor aus Syrien in den Libanon schmuggeln. »Wir reden hier nicht über Senfgas oder Sarin. Chlor wird üblicherweise in der zivilen Industrie verwendet«, sagte Beeri. »Man muss kein Raketenwissenschaftler sein, um es in Granaten oder Raketen einzusetzen.«
Chlorgas in Syrien
Während des syrischen Bürgerkriegs setzte der Islamische Staat in Syrien Chlorgas ein. Kommt es mit dem menschlichen Körper in Berührung, verursacht es chemische Verbrennungen und führt in einigen Fällen auch zum Ersticken.
»Was Chlor anrichtet, kann man etwa an dem Industrieunfall sehen, der sich im Juni dieses Jahres im jordanischen Hafen Akaba ereignete. Ein Chlorbehälter explodierte, und innerhalb von Sekunden verbreitete sich die Chemikalie, wobei zwölf Menschen starben und 250 verletzt wurden. Dies ist eine einfache und rudimentäre Taktik, aber sie hat das Potenzial, Schaden anzurichten«, erläuterte Beeri.
Auch das syrische Militär setzte Chlor in Granaten, Raketen und Fassbomben ein, die von Hubschraubern im Krieg gegen die Rebellen abgeworfen wurden, etwa im April 2018 in Duma und im September 2018 in Idlib.
»Die Hisbollah braucht dafür keine Unterstützung aus Syrien«, erklärte Beeri. »Wir können nicht ausschließen, dass die Hisbollah im nächsten Konflikt mit Israel taktisch chemische Waffen einsetzen wird. Der wahrscheinlichste Kandidat ist Chlor. Sollte dies der Fall sein, wird es sich wahrscheinlich um einen begrenzten Einsatz handeln, sei es durch Granaten oder Raketen, wenn die Hisbollah mit dem Rücken zur Wand steht.«
Die wahrscheinlichsten Ziele wären laut Beeri Einheiten der Israelischen Verteidigungskräfte (IDF), die im Libanon manövrieren, sowie an der Grenze stationierte Kräfte: »Die Ausrede wäre, dass es zur Verteidigung des Libanon eingesetzt wird.«
Das Ziel wäre es, dem Gegner Angst einzujagen und ein Bild des Sieges für die Hisbollah zu vermitteln, allerdings nur als eines solchen letztes Mittel, denn sie ist sich wahrscheinlich bewusst, dass ein solcher Angriff schwere und möglicherweise beispiellose israelische Vergeltungsmaßnahmen auslösen würde.
Die israelische Heimatfront würde dabei eher nicht ins Visier genommen werden, meint der Experte. »Die Hisbollah ist ideologisch radikal und letztlich auf die Zerstörung Israels ausgerichtet, aber sie ist nicht dumm. Daher wäre der Einsatz solcher Waffen auf Bewegungen der IDF beschränkt.« Die IDF ihrerseits müssten solch ein Szenario in Betracht ziehen, in dem die Hisbollah in ihrer Not chemische Substanzen gegen israelische Streitkräfte einsetzen könnte, meinte Beeri, und dieses Szenario rechtfertige dementsprechende Vorbereitungen.
Der Artikel erschien auf Englisch beim Jewish News Syndicate. (Übersetzung von Alexander Gruber.)