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Entwaffnung der Hisbollah bloß eine Wunschvorstellung?

Kann der libanesische Präsident Aoun die Hisbollah-Entwaffnung erreichen?
Kann der libanesische Präsident Aoun die Hisbollah-Entwaffnung erreichen? (© Imago Images / APAimages)

Angesichts der unnachgiebigen Haltung der Hisbollah und des Beharrens des libanesischen Präsidenten auf einem nationalen Konsens scheinen die Aussichten auf eine baldige Entwaffnung der Terrororganisation düster.

Jacques Neriah 

Trotz des internationalen Drucks für eine schnellere Entwaffnung betont die libanesische Regierung, dass sie die öffentliche Ordnung aufrechterhalten und das Problem im Dialog lösen will. Doch die Hisbollah wird ihre Waffen nicht freiwillig niederlegen, da sie ein verlängerter Arm der langfristigen Pläne des Irans für die Region ist und sich eher Teheran verpflichtet fühlt als den Interessen des libanesischen Volks.

Die jüngsten Erklärungen des iranischen Botschafters im Libanon, Mojtaba Amani, der bei der israelischen Pager-Operation gegen die Führung der Hisbollah schwer verletzt wurde, bestätigen, dass der Iran seitdem alle Positionen der Terrorgruppe bezüglich ihrer Entwaffnung orchestriert. So schrieb Amani in einem X-Post

»Das Entwaffnungsprojekt ist eine klare Verschwörung gegen die Nationen. Während die Vereinigten Staaten die zionistische Entität weiterhin mit den neuesten Waffen und Raketen versorgen, hindern sie Nationen daran, ihre Armeen zu bewaffnen und zu stärken und üben unter verschiedenen Vorwänden Druck auf andere Länder aus, ihre Arsenale zu reduzieren oder zu zerstören. Wenn diese Länder sich den Forderungen nach Entwaffnung beugen, werden sie anfällig für Angriffe und Besatzung, wie es im Irak, in Libyen und in Syrien geschehen ist.«

Amani wies darauf hin, dass »die Islamische Republik Iran sich der Gefahr dieser Verschwörung und ihrer Bedrohung für die Sicherheit der Völker der Region bewusst ist« und betonte, Teheran warne »andere davor, in die Falle der Feinde zu tappen. Die Aufrechterhaltung der Abschreckung ist die erste Verteidigungslinie für Souveränität und Unabhängigkeit und darf nicht gefährdet werden.«

Nicht nur angesichts dieser offiziellen Position des Irans zur Entwaffnung der Hisbollah lässt sich ableiten, dass die Aussichten auf eine Hisbollah-Entwaffnung in naher Zukunft minimal sind.

Unwahrscheinliches Szenario

Die Hisbollah hat stets betont, ihre Waffen erst dann niederzulegen, wenn die israelischen Streitkräfte aus dem Südlibanon abgezogen sind und den libanesischen Luftraum nicht mehr verletzen. Der neue Hisbollah-Führer Naim Qassem hat erklärt, die Waffen der Gruppe seien für die Freiheit und das Überleben des Libanons unerlässlich. Gleichzeitig haben einige Vertreter der Organisation die berühmte Aussage ihres verstorbenen ehemaligen Generalsekretärs Hassan Nasrallah wiederholt, dass »die Hisbollah alle Hände abhacken werde, die versuchen, sie zu entwaffnen«.

In einer klaren Ausflucht stellte die Hisbollah ihre Bedingungen für eine Einigung mit der libanesischen Regierung auf: Erstens die Beendigung der angeblichen israelischen Verstöße gegen die UN-Sicherheitsratsresolution 1701, zweitens den Rückzug der israelischen Streitkräfte aus allen fünf strategischen Positionen, die sie im Südlibanon noch halten, und drittens die Verpflichtung des libanesischen Präsidenten Joseph Aoun zu einer »nationalen Verteidigungsstrategie«, wobei die Hisbollah davon ausgeht, weiterhin als bewaffnete Miliz im Libanon zu bleiben.

In Anerkennung der Risiken, einen offenen militärischen Konflikt oder einen möglichen Bürgerkrieg zu provozieren, hat Aoun deutlich gemacht, dass die Entwaffnung der Hisbollah nicht mit Gewalt, sondern nur durch bilaterale Gespräche und als Teil einer umfassenderen nationalen Verteidigungsstrategie erreicht werden kann. Als Reaktion auf die Positionen des Irans und der Hisbollah hat die Regierung stets bekräftigt, dass jede Entwaffnung das Ergebnis eines innerlibanesischen Konsenses sein muss und nicht durch Druck von außen erzwungen werden darf. Weiters erklärte der Präsident, dass die libanesische Armee zur Einhaltung des Waffenstillstandsabkommens mit Israel verpflichtet sei und die laufenden Gespräche darauf abzielen, die Waffen der Hisbollah in ein einheitliches nationales Verteidigungssystem zu integrieren.

Aoun betonte, dass der Libanon nicht dem irakischen Modell folgen werde, wo die vom Iran unterstützten Milizen der Hashd al-Shaabi (Volksmobilisierungseinheiten) in die Armee integriert wurden, was zu einer problematischen Situation mit geteilten Loyalitäten geführt hat.

Kleine Erfolge

In der Zwischenzeit hat Aoun die relative politische Schwäche der Hisbollah genutzt, um eine Reihe weitgehend symbolischer Veränderungen im Land einzuführen. Eine dieser Maßnahmen war die Entfernung aller Hisbollah-Banner entlang der Autobahn zum Rafiq Hariri International Airport bei Beirut und deren Ersatz durch Slogans, die den Beginn einer neuen Ära, Verwaltungsreformen und ein erneutes Bekenntnis zur Staatsführung verkünden. 

Die Regierung ernannte außerdem einen neuen Gouverneur für die Zentralbank und besetzte Hunderte seit Langem vakanten Führungspositionen in staatlichen Unternehmen – Posten, die zuvor wegen des Widerstands der Hisbollah gegen viele der Kandidaten unbesetzt geblieben waren. Währenddessen rückte die Armee im Südlibanon allmählich vor und besetzte Stellungen, die von der Hisbollah aufgegeben waren.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass angesichts der entschlossenen Haltung der Hisbollah (und des Irans), der Betonung des Dialogs und des nationalen Konsenses durch die libanesische Regierung sowie der komplexen regionalen Dynamik die Aussichten auf eine Entwaffnung der Hisbollah in naher Zukunft nahezu gleich null sind. Präsident Aoun wird alles in seiner Macht Stehende tun, um einen Konflikt mit der Hisbollah zu vermeiden und Kompromisse akzeptieren, die heute noch inakzeptabel scheinen.

Jacques Neriah, Sonderanalyst für den Nahen Osten am Jerusalem Center for Public Affairs, war früher außenpolitischer Berater von Premierminister Yitzhak Rabin und stellvertretender Leiter der Abteilung für Bewertung des israelischen Militärgeheimdienstes. (Der Text erschien auf Englisch zuerst beim Jewish News Syndicate. Übersetzung von Alexander Gruber.)

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