Angesichts der schwersten Wirtschaftskrise in der hundertjährigen Geschichte des Staates Libanon eskaliert im Land der Zwist um die außenpolitische Ausrichtung.
Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah will den Libanon noch enger an den Iran binden und lockt mit Versprechungen von Öl- und Benzinlieferungen. Öl und Benzin sind im Libanon wegen der Staatsschuldenkrise so knapp, dass sie rationiert werden, was in der Bevölkerung zu erheblichem Unmut geführt hat.
In einer am 7. Juli ausgestrahlten 100-minütigen Fernsehansprache plädierte Nasrallah für Öl- und Benzinlieferungen aus dem Iran:
„Ich habe vor, drei Dinge zu besprechen. Die wirtschaftliche Situation im Libanon, die libanesische Politik und regionale Entwicklungen … Einige haben behauptet, wir versuchten, den Libanon nach dem iranischen Modell zu formen. Das haben wir nie gesagt. Wir sagten nur, dass wir die Möglichkeit haben, Treibstoff und Erdölnebenprodukte von einem Freund namens Iran im Austausch gegen libanesische Lira zu kaufen.“
Der Iran, so Nasrallah, brauche harte Währungen wie Dollar und Euro, „also bringen sie ein großes Opfer, wenn sie uns Erdöl für Lira verkaufen.“
Staat bankrott, Sparer enteignet
Nasrallah unterbreitet diese Idee vor dem Hintergrund des Staatsbankrotts. Im März hatte die libanesische Regierung verkündet, den Schuldendienst einzustellen. Die Libanesen wurden seit letztem Jahr schrittweise enteignet. Es wurden nicht die Villen und Ferraris der libanesischen Millionäre und Milliardäre eingezogen; vielmehr wurde die Währung entwertet und Bürger davon abgehalten, ihre Ersparnisse in Sicherheit zu bringen.
Schon seit Herbst letzten Jahres haben die Bürger keinen vollständigen Zugriff auf ihre Guthaben bei libanesischen Banken mehr. Die Möglichkeit, Geld abzuheben, wurde immer weiter eingeschränkt, gleichzeitig wurde das Libanesische Pfund seither um über 70 Prozent abgewertet, nachdem es seit 1997 zu einem festen Kurs von 1.507 Pfund pro US-Dollar gewechselt werden konnte.
Das heißt: Über 20 Jahre lang war die Kaufkraft des Libanesischen Pfund so stabil wie die des Dollars. Wer seine Ersparnisse bei einer libanesischen Bank verwahrte, brauchte keine größeren Einbußen befürchten als ein US-Bürger, der ein Konto bei einer amerikanischen Bank hat. Der Dollar war sogar die Parallelwährung des Libanon. Die Preise auf den Speisekarten der Restaurants waren in Pfund und Dollar ausgezeichnet, viele Kredite und Verträge lauten nur auf Dollar.
Im Herbst letzten Jahres begannen die libanesischen Banken, Höchstgrenzen für Abhebungen einzuführen; anfangs waren es 300 bis 500 Dollar pro Woche. Diese Grenzen wurden immer weiter gesenkt.
Und heute? Vor zwei Wochen meldete die Nachrichtenagentur Reuters, die Banken hätten die Höchstgrenze für Abhebungen – in Libanesischen Pfund – „erhöht“: auf 3.850 Pfund pro Tag. Nach dem alten Umtauschkurs wären das also 2,55 US-Dollar, die derzeit abgehoben werden können. Da der Umtauschkurs aber Berichten zufolge inzwischen bei 8.000 Pfund je Dollar liegt, kommt man, wenn man den Taschenrechner zur Hand nimmt, auf einen Betrag von 0,48 US-Dollar, umgerechnet etwa 0,42 Euro.
Die Libanesen dürfen also 42 Euro-Cent pro Tag, rund 12 Euro pro Monat, von ihren Konten abheben. Von Konten, auf denen Geld ist, das ihnen gehört. Ein Hohn. Und es ist abzusehen, dass auch dieser Betrag im Laufe der Zeit durch den fortlaufenden Währungsverfall weiter erodieren wird: Nächsten Monat werden es vielleicht noch neun Euro sein, dann fünf usw.
Auch wenn das Abhebungslimit in Libanesischen Pfund immer weiter erhöht werden wird, wird es sich in Dollar oder Euro ausgedrückt durch die Geldentwertung noch weiter reduzieren und wahrscheinlich der Nulllinie nähern. Das bedeutet: Egal, wie lange jemand gearbeitet und gespart hat, mehr als vielleicht umgerechnet etwa hundert Euro wird er wohl von seinem Geld nicht mehr sehen. Das ist der Grund, warum im Libanon Molotowcocktails auf die Fensterscheiben von Geldinstituten geworfen werden.
Hisbollah bleibt sich treu
Einer der Hauptschuldigen an dieser Situation ist die Hisbollah, die dafür gesorgt hat, dass Saudi-Arabien und Kuwait, die früheren Mäzene und Garanten des Libanesischen Pfunds, sich abgewandt und das Land und seine Wirtschaft sich selbst überlassen haben. Doch wie zu erwarten, bleibt die Hisbollah ihrer Linie treu. Seit ihrer Gründung vor fast 40 Jahren lautet diese: Die USA sind „die Hauptwurzel aller Übel“, der Iran und der Khomeinismus sind die Lösung.
Jetzt also soll die Regierung in Teheran Öl, Benzin und Diesel in den Libanon liefern. Der Iran hat wegen der Covid-19-Pandemie, dem damit einhergehenden Rückgang des Autoverkehrs und nicht zuletzt wegen amerikanischer Sanktionen einen unverkäuflichen Überschuss an Öl und Benzin und weiß nicht, wohin damit. Darum verkauft er Benzin an seinen Verbündeten Venezuela. Ob das sozialistische Karibikland einen Preisnachlass bekommt, ist nicht bekannt. Auf einen solchen spekuliert Nasrallah offenbar, ansonsten hätte die Transaktion ja keinen Sinn.
Also: Der Libanon würde die Lieferungen nicht nur in Libanesischen Pfund bezahlen, sondern obendrein zu einem fiktiven Umtauschkurs, der für den Libanon günstig ist. Ob aber der Iran in der Lage ist, solche Geschenke machen zu können? Wohl kaum.
Hisbollah verdient an der Misere
Was Nasrallahs Vorschlag besonders frivol macht, ist, dass seine Hisbollah seit 2009 an der Regierung beteiligt ist. Sie ist somit mitverantwortlich dafür, dass der Libanon eines der wenigen Länder der Welt ist, die einen Großteil ihrer Elektrizität auf kostspielige Weise mit Dieselgeneratoren produzieren.
Jedes Jahr entsteht der staatlichen libanesischen Elektrizitätsgesellschaft dadurch ein Verlust von schätzungsweise 1,5 bis 2 Milliarden US-Dollar, während die Verleiher von Dieselgeneratoren ungefähr denselben Betrag einstreichen. Ein merkwürdiger Handel, der mutmaßlich viel Geld in die Koffer der Hisbollah spült.
Weitere Verluste entstehen dem Libanon dadurch, dass staatlich subventionierter Dieseltreibstoff in großem Stil nach Syrien geschmuggelt wird – vor allem über den Distrikt Hermel in der nördlichen Bekaa-Ebene. Dieser ist eine Hochburg der Hisbollah, die auch die syrische Seite der Grenze kontrolliert. Es steht also zu vermuten, dass der Schmuggel mit Billigung der Hisbollah geschieht, die auch davon sicherlich profitiert.
Nasrallah präsentiert sich somit als jemand, der Probleme zu lösen verspricht, die er selbst schafft.
Hilfe ausgerechnet vom Iran zu erhoffen, ist auch deshalb unrealistisch, weil der Libanon auf die Finanzhilfen der USA angewiesen ist. Zudem müsste das Land, um seine Zahlungsfähigkeit wiederherzustellen, eine Vereinbarung mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) treffen.
Die Verhandlungen mit dem IWF waren zuletzt in eine Sackgasse geraten; für eine Einigung wäre das Wohlwollen der Vereinigten Staaten nötig. Was sagen die zu Nasrallahs Idee? US-Außenminister Mike Pompeo warnte letzte Woche Mittwoch:
„Wir werden alles uns Mögliche tun, um sicherzustellen, dass der Iran kein Erdöl mehr verkaufen kann, auch nicht an die Hisbollah.“
Einen Tag später sagte Libanons Energieminister Raymond Ghajjar, es gebe derzeit „keine Verhandlungen“ mit dem Iran über Lieferungen von Öl und Benzin.
Kurz darauf meldete sich auch der einflussreichste christliche Geistliche des Libanon, der maronitische Patriarch Bechara Boutros Al-Rai, zu Wort. Er warnte, dass es den Libanon „von Überfluss zu Not, von Wohlstand zu Niedergang“ führen werde, sollte das Land seine Verfassung und sein „Modell der Zivilisation“ aufgeben und sich „von seinen Freunden und Brüdern isolieren“. Mit den „Freunden und Brüdern“ war nicht der Iran gemeint.