Was die Hochzeitsbilder der Tochter eines Regimefunktionärs über die Unreformierbarkeit der Islamischen Republik Iran sagen.
Wenn wir von der Unreformierbarkeit eines Systems sprechen, bezieht man sich dabei nicht nur auf einige falsche Entscheidungen oder fehlgeleitete politische Maßnahmen, sondern auf eine fehlerhafte und mangelhafte Struktur, die bei sozialen oder politischen Problemen, anstatt sich selbst zu korrigieren und nach Lösungen zu suchen, auf Instrumente der Unterdrückung und der sozialen Kontrolle zurückgreift.
In den Monaten seit dem Waffenstillstand zwischen dem Iran und Israel hat das iranische Regime erneut Maßnahmen zur Kontrolle der Hidschab-Pflicht aktiviert. Die Einrichtung des »Kontrollzentrums für Keuschheit und Hidschab« und die Rekrutierung und Schulung von rund 80.000 Mitarbeitern zur Durchsetzung der Bedeckungspflicht deuten darauf hin, dass das Hauptaugenmerk der Regierung nicht auf der Lösung der tatsächlichen Krisen liegt, sondern auf der Demonstration von Macht in einem Bereich, der direkt die individuellen Freiheiten einschränkt und die soziale Unzufriedenheit vertieft.
Priorität Systemerhalt
Die Entscheidungen werden genau zu einem Zeitpunkt getroffen, an dem das Land mit Inflation, Währungsabwertung, Wassermangel und Energieknappheit zu kämpfen hat. Unter solchen Bedingungen kommt die Zuweisung massiver Budgets für die Ausbildung von Kräften zur sozialen Kontrolle der Erklärung des Regimes gleich, dass ihm der Lebensunterhalt, das Wohlergehen und die Freiheit der Bürger keine Priorität haben. Vielmehr geht es allein um das politische Überleben des Systems mittels Durchsetzung einer ideologischen Ordnung, die auf Werten basiert, die, wie die »Frau, Leben, Freiheit«-Protestbewegung gezeigt hat, von der Mehrheit der Gesellschaft abgelehnt werden.
Ein solcher Ansatz ist intern nicht zu reformieren, da jede echte Reform einen Rückzug aus diesen Kontrollmechanismen erfordern würde. Ein System jedoch, dessen Überleben auf gerade jener sozialen Kontrolle beruht, verfügt weder über die Fähigkeit noch über den Willen, dies zu tun. Sobald es günstige Bedingungen wahrnimmt, verstärkt es seine Haltung noch.
Diese Politik vertieft die sozialen Spaltungen weiter, da die Regierung einen kleinen Teil der Gesellschaft gegen einen anderen Teil ebendieser Gesellschaft mobilisiert und Konflikte von der Ebene zwischen Regierung und Bevölkerung auf die Ebene zwischen den Menschen verlagert, wodurch ein Klima ständiger Spannungen entsteht.
Die Bürger sind einerseits dem wirtschaftlichen Druck ausgesetzt und andererseits dem Druck von Patrouillen, sozialen Drohungen und täglicher Angst. Diese Situation verschlechtert und stört nicht nur das Leben der Menschen, die bereits durch wirtschaftlichen Druck destabilisiert sind, sondern verstärkt auch das Misstrauen und den Unmut gegenüber dem Regime und seinen Führern.
Hinzu kommt der starke Kontrast zwischen den Herrschenden und der Bevölkerung, der vor allem die Legitimität des Regimes untergräbt. Wenn absurde Gesetze nur für normale Bürger gelten, die Mächtigen und ihre Kinder jedoch davon ausgenommen sind, ist das Gesetz kein Symbol der Gerechtigkeit, sondern bloß ein Instrument der Unterdrückung.
Bilder einer Hochzeit
So wurden beispielsweise zur selben Zeit, in der die Hidschab-Pflicht erneut verschärft durchgesetzt werden soll, Bilder einer Hochzeit veröffentlicht, auf der die Tochter des Khamenei-Beraters Ali Shamkhani mit freizügiger Kleidung, ärmellos und tief ausgeschnitten, und offenem Haar auftritt, während in derselben Nacht ein Mädchen auf der Straße gerügt wird, sein Kopftuch züchtig zurechtzuziehen. Wenn das Nichttragen eines Hidschabs für die Elite Freiheit darstellt, für gewöhnliche Menschen aber ein Verbrechen sein soll, dann wird nicht Keuschheit gefördert, sondern Heuchelei. Hier geht es nicht nur um eine Hochzeit – diese Hochzeit symbolisiert vielmehr die Kluft zwischen denen, die das Gesetz machen, und jenen, die darunter leiden.
Solche Widersprüche waren in den letzten vier Jahrzehnten keine Ausnahme, sondern die Regel. Das Ergebnis dieser Politik zeigt sich in dem tiefen Misstrauen der Bevölkerung, einem Misstrauen, das sich in den sozialen Medien in Humor, Wut, Ironie und sogar Spott über offizielle und religiöse Werte widerspiegelt. Wohl nirgendwo sonst auf der Welt gibt es so viel Hohn und Satire gegenüber religiösen und staatlichen Konzepten wie im Iran. Diese Welle entsteht nicht aus der Religionslosigkeit der Menschen, sondern aus dem Bestreben der Regierung, die Menschen gewaltsam »in den Himmel« zu führen.
Die aktuelle Politik zeigt, dass das Regime nicht nur nicht reformierbar ist, sondern auch, dass es die relative Ruhe als Gelegenheit nutzt, um seine Kontrolle mittels Repression wiederherzustellen. Sobald die Gefahr externer Bedrohungen nachlässt, wird der Druck auf die Zivilgesellschaft und die sozialen Freiheiten wieder verstärkt. Seit Jahren nutzt das Regime externe Bedrohungen als Schutzschild für die Unterdrückung im Inland und jetzt, da die Gefahr eines Kriegs schwindet, verfolgt es die Hidschab-Pflicht mit noch größerer Intensität, um die öffentliche Aufmerksamkeit von den wirklichen Krisen abzulenken, deren Auswirkungen mit der Umsetzung des Snapback-Mechanismus bald im Leben der Menschen noch dramatischere Folgen haben werden.
Letztendlich kann weder die Islamische Republik noch irgendein anderes Regime auf der Grundlage von Heuchelei, Diskriminierung und Zwang für immer bestehen bleiben. Wenn das Gesetz für die einen streng und für die anderen flexibel ausgelegt wird, wenn es Budgets für repressive Institutionen gibt, aber nur minimale Mittel für Gesundheit und Bildung bereitgestellt werden, wenn Freiheit für die Kinder von Beamten ein Geschenk ist, für normale Menschen jedoch ein Verbrechen, dann ist das unvermeidliche Ergebnis Misstrauen, Widerstand – und der allmähliche Zusammenbruch der Grundlagen der Legitimität.






