Angesichts der Nachrichten aus dem deutsch-besetzten Teil Polens nehmen die Befürchtungen über Leid der Juden immer größere Ausmaße an. Im Irak wird unterdessen ein arabischer Nazi-Kollaborateur zum Tod verurteilt.
Das Markenzeichen von Radio Berlin
„Yunis Bahri, ehemaliger Redakteur einer irakischen Tageszeitung und heute arabischer Kommentator des Berliner Radiosenders, wurde von der irakischen Regierung in Abwesenheit wegen Hochverrats zum Tode verurteilt. Es sei daran erinnert, dass Yunis Bahri Gerüchte verbreitet haben soll, dass die Briten für den Tod von König Ghazi verantwortlich seien, und dass seine Aktivitäten zur Ermordung des britischen Konsuls in Mosul geführt haben sollen.“ (Palestine Post, 17. September 1939)
Bis zur Unabhängigkeit 1932 hatte der nach dem Ersten Weltkrieg aus den vormaligen osmanischen Verwaltungsgebieten Mosul, Bagdad und Basra neu geschaffene Irak unter der Herrschaft des Britischen Mandats Mesopotamien gestanden. In einer Reihe von anglo-irakischen Verträgen hatten die Briten sichergestellt, dass der Irak auch nach der Entlassung in die Unabhängigkeit vor allem auf außenpolitischem und militärischem Gebiet eng mit dem britischen Empire verbunden blieb.
Wie etliche andere Länder des Nahen Ostens stellte sich auch der Irak unter König Faisal II. zu Beginn des Zweiten Weltkrieges hinter die ehemalige Mandatsmacht Großbritannien und die Alliierten. Der irakische Ministerrat beschloss am 6. September 1939, die diplomatischen Beziehungen zu Deutschland abzubrechen und alle Deutschen aus dem Land auszuweisen, darunter auch den umtriebigen Diplomaten, Drahtzieher der arabischen Nazi-Kollaboration und Verfasser einer arabischen Kurzfassung von „Mein Kampf“ Fritz Grobba. (New York Times, 7. September 1939)
Das Todesurteil in Abwesenheit, über das die Kurzmeldung der Palestine Post vom 17. September 1939 berichtete, stand nicht in direktem Zusammenhang mit dem Krieg, sondern bezog sich auf Vorgänge im Irak: Als König Gazi I. im April 1939 den Verletzungen erlag, die er sich zugezogen hatte, als er mit seinem Auto gegen einen Strommast geknallt war, gehörte der Journalist Yunis Bahri offenbar zu den zahlreichen irakischen Nationalisten, die sofort finstere Machenschaften der Briten für den Unfall verantwortlich machten. Ein von anti-britischen Gerüchten aufgehetzter Mob stürmte daraufhin das britische Konsulat in Bagdad und ermordete den britischen Konsul George E. Monck-Mason. (New York Times, 5. April 1939)
Die Nachricht über das Todesurteil gegen Bahri hatte dennoch einen Bezug zum Zweiten Weltkrieg, wurde in der Palestine Post doch gleich zu Beginn darauf hingewiesen, dass Bahri „heute arabischer Kommentator des Berliner Radiosenders“ sei. Damit war jener von Zeesen nahe Berlin ausgestrahlte Sender gemeint, mit dem die Nazis seit dem April 1939 die arabische Welt und den Nahen Osten mit Nazi-Propaganda eindeckten – angepasst an unterstellte islamische Bedürfnisse des Zielpublikums und in erster Linie triefend von Antisemitismus.
Zur prominentesten Stimme des Senders wurde niemand anderer als der im Irak zum Tode verurteilte Yunus Bahri. Nach Einschätzung des britischen Geheimdienstes, so zitiert der Historiker David Motadal in seiner Studie „Für Prophet und Führer. Die Islamische Welt und das Dritte Reich“ aus einem Bericht,
„hätte [Berlin] als Propagandawerkzeug im Rundfunk keinen geeigneteren Mann finden können. Sein Ruhm beruht lediglich auf seiner dreckigen Sprache, seinem Intrigantentum und darauf, dass er erstklassige Lügen erfindet.“
Matthias Küntzel beschreibt die Stellung Bahris folgendermaßen:
„Mit seiner scharfen Stimme, seiner besonderen Fähigkeit, sein Stimmvolumen anschwellen zu lassen, und seinen aggressiven Reden, die zuweilen ins Brüllen und Drohen übergingen, wurde seine Präsenz schnell zum Markenzeichen des Senders.“
Bahri bekleidete seinen Posten im deutschen Propagandaapparat bis 1945 und kehrte anschließend in den Nahen Osten zurück. In Beirut veröffentlichte er 1950 seine Erinnerungen an seine Zeit in Deutschland unter dem Titel: „Hier ist Berlin! Lang leben die Araber!“. Das Cover des Buches zierten mehrere Hakenkreuze und ein Foto Adolf Hitlers.
„Wenn man daran denkt, wie die Nazis in Friedenszeiten gehandelt haben …“
Warnte die Palestine Post schon wenige Tage nach Kriegsbeginn vor der drohenden „Auslöschung“ der Juden Mittel- und Osteuropas, so wurden die Befürchtungen angesichts der Nachrichten über das Schicksal der Juden in den von den Deutschen besetzten Teilen Polens immer dringlicher. Deutschen Berichten zufolge wurden zahlreiche Juden mit der Begründung erschossen, als Heckenschützen deutsche Soldaten angegriffen zu haben. Gleichzeitig betonten die Deutschen aber, dass die „Zerstörung des polnischen Judentums eine ‚Lösung‘ des europäischen Judenproblems ermögliche“, eine „Invasion“ polnischer Juden nach Deutschland verhindere und gute Beziehungen zwischen Deutschen und Polen herstellen könne. „Es geht also nicht um angebliche Heckenschützen gegen deutsche Soldaten, sondern um grundlegende Überlegungen einer übergeordneten Politik zur systematischen Ermordung polnischer jüdischer Zivilisten, die hinter den deutschen Linien gefangen sind.“
„Selten in der Geschichte der Kriege wurde die Vernichtung einer Zivilbevölkerung im besetzten feindlichen Gebiet mit solch zynischer Herzlosigkeit verkündet wie in diesen offiziellen Berichten der Deutschen Presseagentur. Tatsächlich war natürlich kaum Besseres zu erwarten. Wenn man sich daran erinnert, wie die NS-Regierung ihre jüdischen Untertanen in Friedenszeiten behandelt hat, kann man sich ausmalen, wie der Umgang mit den jüdischen Untertanen ihrer Feinde in Kriegszeiten sein wird. Aber selbst diejenigen, die keine Illusionen über die Vorgangsweise der Nazis mehr hatten, haben wohl kaum geglaubt, dass Hitler so weit gehen würde, den Juden offen den Krieg zu erklären und eine Politik des Mordes und der Vernichtung gegen die hilflosen Opfer seines fanatischen Hasses zu verkünden. Es ist schrecklich, sich die Lage dieser Hunderttausenden von Menschen vorzustellen, die im Netz ihrer gnadenlosen Feinde gefangen sind und dem Tod in all den grausamen Formen ins Auge sehen müssen, die sich der Nazi-Sadismus nur einfallen lassen kann.“ (Palestine Post, 17. September 1939)
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Florian Markl: Heute vor 80 Jahren (1): Erklärung der Juden Palästinas.
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