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Heute vor 80 Jahren (1): Erklärung der Juden Palästinas

Mena Watch nimmt den 80. Jahrestag des Beginns des Zweiten Weltkriegs zum Anlass, um zurück in die Vergangenheit zu blicken: In den kommenden Wochen werden wir jeden Mittwoch anhand von ausgewählten historischen Zeitungsberichten nachzeichnen, wie sich der Krieg auf den Nahen Osten auswirkte. Den Anfang machen wir mit einer Erklärung vom 3. September 1939 – dem Tag, an dem Großbritannien offiziell in den Krieg gegen Nazi-Deutschland eintrat.


Die Erklärung der Jewish Agency, 3. September 1939

„Die Regierung seiner Majestät hat heute dem Deutschland Hitlers den Krieg erklärt.

In diesem schicksalhaften Moment hat die jüdische Gemeinschaft drei Anliegen: die Verteidigung des jüdischen Heimatlandes, das Wohlergehen des jüdischen Volkes und den Sieg des britischen Empires.

Das Weißpapier vom März 1939 war für uns ein schwerer Schlag. Wie bisher werden wir mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln das Recht des jüdischen Volkes in seiner nationalen Heimstätte verteidigen. Unsere Opposition zum Weißpapier war aber nie gegen Großbritannien oder das britische Empire gerichtet.

Der Krieg, der Großbritannien nun von Nazi-Deutschland aufgezwungen wurde, ist unser Krieg. Mit ganzem Herzen werden wir der britischen Armee und dem britischen Volk jegliche Unterstützung zukommen lassen, die leisten können und die uns erlaubt wird.

Wir wissen nicht, was die Zukunft für unser Land in diesem Krieg bereithält. Unsere oberste Pflicht ist es, das Überleben und das Wohlergehen der jüdischen Gemeinschaft zu sichern, sie materiell und moralisch zu stärken und sie auf die großen und schweren Aufgaben vorzubereiten, vor die uns die jüdische Geschichte gestellt hat. (…)“[1]

Parteinahme mit bitterem Beigeschmack

Dass die Jewish Agency, die Führung der Juden im britischen Mandatsgebiet Palästina, im Zweiten Weltkrieg Partei gegen Nazi-Deutschland ergriff, scheint keiner Erläuterung zu bedürfen. Selbstverständlich schlug sie sich auf die Seite des britischen Empires, der einzigen Macht, der zugetraut werden konnte, den Deutschen etwas entgegenzusetzen. Denn die anderen beiden Länder, die letztlich maßgeblich zur Niederlage des Nationalsozialismus beitragen sollten, waren zum damaligen Zeitpunkt aus dem Spiel: Die Sowjetunion hatte gerade erst einen Nichtangriffspakt mit Hitlerdeutschland verkündet (und sich in einem geheimen Zusatzabkommen mit den Nazis auf die Beseitigung Polens und die Aufteilung großer Teile Europas geeinigt)[2], und ein Kriegseintritt der USA stand noch nicht in Aussicht. Die Sorge um das „Wohlergehen des jüdischen Volkes“ – auch, aber nicht nur in Palästina – und die Hoffnung auf einen „Sieg des britischen Empires“ mussten zwangsläufig Hand in Hand gehen.

Doch wie die Jewish Agency gleich im zweiten Absatz ihrer Erklärung vom 3. September 1939 klarmachte, hatte die Solidaritätserklärung mit dem Vereinigten Königreich einen bitteren Beigeschmack. Denn die britische Palästina-Politik der jüngsten Zeit, die im sogenannten Weißbuch vom Mai 1939 festgeschrieben worden war, war in der Tat ein „schwerer Schlag“ für die jüdische Gemeinde im Mandatsgebiet, viel mehr aber noch für die Juden Europas, denen auf der Flucht vor den Nazis die Türen Palästinas verschlossen blieben.

Appeasement in Palästina

Für den bevorstehenden Kampf gegen Hitlerdeutschland setzten die Briten gegenüber den Arabern ganz auf Appeasement. „Den Juden“, so fasste Tom Segev die britischen Überlegungen zusammen, „blieb ohnehin nichts anderes übrig, als Großbritannien zu unterstützen, die Araber jedoch –so die Befürchtung – könnten sich dazu entschließen, den Deutschen zu helfen.“[3] Premierminister Neville Chamberlain brachte die dahinterstehende Logik in einer Kabinettsitzung im April 1939 auf den Punkt: „Wenn wir eine Seite verärgern müssen, dann lieber die Juden als die Araber.“[4]

Mit dem Weißbuch von Mai 1939 widerriefen die Briten praktisch die Balfour-Deklaration von 1917 und brachen die ihnen vom Völkerbundmandat auferlegte Verpflichtung zur Förderung einer „nationalen Heimstätte“ für die Juden in Palästina. Kernbestandteil der neuen Politik für Palästina war die Begrenzung der jüdischen Zuwanderung auf 15.000 Personen jährlich in den nächsten fünf Jahren, jede weitere jüdische Immigration danach sollte von arabischer Zustimmung abhängig gemacht werden. Jüdischer Landerwerb wurde auf bestimmte Gebiete beschränkt und Palästina sollte in zehn Jahren ein unabhängiger – d.h. unter den gegebenen Bedingungen: arabischer – Staat werden.

Beistand trotz alledem

Obwohl die britische Politik in Palästina also den Interessen der Jewish Agency direkt entgegenlief, stellte sich die jüdische Gemeinde hinter das britische Empire: Solange der Krieg andauerte, sollte der gemeinsame Kampf gegen den Nationalsozialismus Vorrang vor allen anderen Fragen haben. Eine Entscheidung, der sich bis auf eine kleine Gruppe am äußersten rechten Rand, die weiterhin Angriffe auf britische Einrichtungen in Palästina unternahm, die gesamte jüdische Gemeinde im Land anschloss –sogar als die Entwicklung in Europa die schlimmsten Alpträume über die Zukunft der europäischen Juden bei Weitem übertraf, die man zu Kriegsausbruch haben konnte.

Von allen Bestimmungen des Weißbuchs sollte die strikte Beschränkung der jüdischen Einwanderung die gravierendsten Folgen zeitigen – und das Verhältnis der zionistischen Bewegung zur Mandatsmacht Großbritannien nachhaltig verändern. Während die Verfolgung der Juden durch die Nazis immer erschreckendere Ausmaße annahm, verhinderten die Briten immer stärker die Einreise jüdischer Flüchtlinge nach Palästina. Zwischen 1934 und dem Kriegsbeginn im September 1939 war noch rund 50.000 Juden die schon damals illegale Einreise gelungen. In den folgenden sechs Kriegsjahren sollte das nur mehr insgesamt rund 16.000 gelingen.[5]

Just als der systematische Massenmord an den europäischen Juden begann, wurden die Grenzen Palästinas für jüdische Flüchtlinge praktisch geschlossen. Illegal Eingereiste wurden inhaftiert, nach Mauritius im Indischen Ozean gebracht oder gar nach Europa zurückgeschickt. „Wenn es etwas gab“, so die Historikerin Anita Shapira, „das die Juden Palästinas dazu brachte, die Briten zu hassen und der Mandatsregierung feindselig zu begegnen, war es diese Haltung zu jüdischen Flüchtlingen während des Zweiten Weltkrieges. Die Juden Palästinas machten die Regierung voll und ganz für die Schließung des Landes für Flüchtlinge verantwortlich. Als die Nachrichten vom Holocaust eintrafen, betrachteten die Juden die Briten als passive Komplizen des Mordens.“[6]

Trotzdem blieb die in der Erklärung vom 3. September 1939 von der Jewish Agency verkündete Solidarität mit dem britischen Empire fast den gesamten Krieg über aufrecht und kämpften rund 30.000 Juden aus dem Mandatsgebiet in den Reihen der britischen Armee. Erst als 1944 absehbar war, dass die Niederlage der Nazis nur mehr eine Frage der Zeit sein konnte, begannen einzelne Gruppen damit, ihre Aufmerksamkeit wieder dem Widerstand gegen die britische Palästina-Politik zu widmen.

[1] Zit. nach Palestine Post, 4. September 1939.

[2] Vgl. Weber, Claudia: Der Pakt. Stalin, Hitler und die Geschichte einer mörderischen Allianz 1939‑1941, München 2019.

[3] Segev, Tom: Es war einmal in Palästina. Juden und Araber vor der Staatsgründung Israels, München 2005, S. 478.

[4] Zit. nach Cohen, Michael J.: Appeasement in the Middle East: The British White Paper on Palestine, May 1939, in Ders.: Palestine to Israel. From Mandate to Independence, Abingdon 1988, S. 101-128, hier S. 121.

[5] Vgl. Morris, Benny: Righteous Victims. A History of the Zionist-Arab Conflict, 1881-2001, New York 2001, S.163.

[6] Shapira, Anita: Israel. A History, London 2012, S. 87f.

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