Helle Aufregung im Sommerloch: Unterstützt die Türkei etwa Islamisten?

erdogan rabiaVon Florian Markl

„Schrecklicher Verdacht: War Hitler Antisemit?“ – an dieses Cover des Satiremagazins Titanic fühlt man sich angesichts der Aufregung erinnert, die der deutsche Bundesnachrichtendienst (BND) mitten im Sommerloch hervorgerufen hat. Die Türkei, so hält dieser in einer Anfragebeantwortung fest, sei als „Resultat der schrittweise islamisierten Innen- und Außenpolitik Ankaras“ zur „zentralen Aktionsplattform für islamistische Gruppierungen“ geworden. Ausdrücklich hervorgehoben werden vom BND Kontakte zu den Moslembrüdern, islamistischen Gruppen in Syrien und der palästinensischen Hamas. Um zu diesen Erkenntnissen zu gelangen, bedurfte es freilich keiner besonderen geheimdienstlichen Expertise. Nur wer von den Entwicklungen der vergangenen Jahre nicht die blasseste Ahnung hat oder die Augen aus ideologischen Gründen absichtlich vor der Realität verschloss, kann über das offensichtlich enge Verhältnis der regierenden Islamisten in der Türkei und der Terrorgruppe Hamas überrascht sein – Mena Watch hat jedenfalls, ohne auf geheimdienstliche Ressourcen zurückgreifen zu können, immer wieder auf die Unterstützung der AKP für die Hamas hingewiesen.


„…dann wird es ernst“: Die Türkei und die Hamas

Der Westen, so urteilt der Historiker Michael Stürmer in der Welt, habe „von Washington bis Berlin viel Übung darin, gegenüber der Türkei Fünfe gerade sein zu lassen.“

„Aber wenn jetzt von amtlicher Seite – der BND genießt im Nahen Osten den Ruf funktionaler Kompetenz und historischer Sachkunde – festgestellt wird, dass es eine direkte Verbindung vom türkischen Präsidenten zur international als Terrororganisation klassifizierten Hamas-Truppe in Gaza gab und gibt und die bekannten Fakten dies bestätigen, dann wird es ernst. Es stellt sich die Frage, auf welcher Seite die Türkei steht.“

Angesichts der seit geraumer Zeit in aller Öffentlichkeit zelebrierten Freundschaft zwischen der türkischen Regierung und der Hamas ist die von Stürmer und etlichen anderen Beobachtern nun an den Tag gelegte Überraschung mehr als erstaunlich. Hier eine Auswahl an Berichten, die im Laufe der vergangenen Jahre allein auf Mena Watch veröffentlicht wurden:

Im Oktober 2013, schon vor rund drei Jahren also, wiesen wir auf ein mehrstündiges Gespräch hin, das der damalige türkische Premier Erdoğan, Außenminister Davutoğlu und Geheimdienstchef Fidan mit dem Chef des Politbüros der Hamas, Khaled Meshal, führten.

Im November 2014 berichteten wir über die Aushebung einer Hamas-Zelle im Westjordanland, die einen Anschlag auf das Teddy-Kollek-Fußballstadion in Jerusalem geplant hatte. Hamas-Kader Saleh al-Arouri plante diese Terrorattacke von der Türkei aus, wo sich laut israelischen Angaben neben dem Gazastreifen das zweite Hauptquartier der Hamas befand. Mena Watch analysierte damals:

„Auch wenn die Türkei den Vorwurf zurückwies, dass von ihrem Territorium aus Terroranschläge geplant würden, besteht kein Zweifel daran, dass sie sich unter Erdoğan zu einem der wichtigsten Förderer der palästinensischen Terrorgruppe Hamas entwickelt hat. Erdoğan traf sich wiederholt mit dem Khaled Meshal, dem Chef des Hamas-Politbüros, der vor zwei Jahren auf einem Parteitag der türkischen Regierungspartei AKP mit Jubel, tosendem Applaus und anti-israelischen Sprechchören wie ein Stargast empfangen wurde.“

Rund einen Monat später widersprachen wir einem Bericht der Presse, demzufolge die Türkei der Hamas ihre Unterstützung entzogen haben sollte. Im Dezember 2015 wiesen wir auf ein erneutes Gipfeltreffen der Türkei mit der Hamas-Führung in Istanbul hin.

meshal---davutogluIm Februar 2016 antworteten wir dem türkischen Botschafter in Österreich, der sich darüber beklagt hatte, dass der Terror des Islamischen Staates in Europa anders bewertet würde als Terroranschläge in der Türkei:

„Aber wie bezeichnet Herr Göğüş selbst denn die Anschläge der palästinensischen Hamas in Israel? Ist es nicht die türkische Regierungspartei AKP, die auf ihren Parteitagen hochrangigen Vertretern dieser islamistischen Terrorgruppe jubelnde Empfänge bereitet? War es nicht der türkische Premier Davutoğlu, der freudestrahlend dem Generalsekretär dieser für ihre verheerenden Selbstmordanschläge gegen israelische Zivilisten bekannten Terrororganisation die Hände schüttelte?“

Im März 2016 wiesen wir erneut auf die Doppelmoral der türkischen Regierung zum Thema Terrorismus hin, die weiter fortfuhr,

„die palästinensische Terrororganisation Hamas tatkräftig zu unterstützen. Wenn islamistische Selbstmordattentäter sich nicht in Istanbul, sondern im Herzen Jerusalems oder Tel Avivs in die Luft sprengen, werden deren Auftraggeber von Davutoğlu und der AKP mit stürmischem Beifall empfangen.“

Im Juni 2016 wiesen wir auf einen Bericht der Times of Israel hin, demzufolge die türkische Regierung trotz einer Wiederannäherung an Israel nicht gewillt sei, die freundschaftlichen Beziehungen zur Hamas aufzugeben. Im selben Monat griffen wir die Erkenntnisse Jonathan Schanzers über die finanzielle Unterstützung der Hamas durch die Türkei und das Hamas-Hauptquartier in Istanbul auf.


Warum die Überraschung über die Erkenntnisse des
BND?

Die Unterstützung der Hamas durch die türkische Regierung war schon bisher alles andere als ein Geheimnis. Die Parteinahme für die Muslimbrüder in Ägypten geschah in aller Öffentlichkeit, und auch die Unterstützung islamistischer Gruppierungen im Krieg in Syrien war jedem bekannt, der darüber Bescheid wissen wollte.

Das ist freilich der entscheidende Punkt bei der Überraschung über die Erkenntnisse des BND: Die islamistenfreundliche Politik der türkischen Regierung, die eben bis zur Unterstützung der Judenmörder von der Hamas reicht, war nicht unbekannt, sondern wollte aus unterschiedlichen Gründen nicht zur Kenntnis genommen werden – sei es aus Sorge um die Beziehungen zur Türkei, aus dem unbedingten Willen zur Leugnung des islamistischen Charakters Erdogans und seiner AKP oder in Folge der in Europa weit verbreiteten Sichtweise, dass Terror gegen Israel etwas anderes sei als Terroranschläge in Europa.

Wie dieses Ausblenden funktioniert, war heute gewissermaßen in Echtzeit im Ö1-Mittagsjournal zu verfolgen. Darin nahm der Politikwissenschaftler Cengiz Günay zu den gegen die türkische Regierung erhobenen Vorwürfen Stellung. Diese habe speziell seit Beginn des Arabischen Frühlings „intensiv Kontakte zu moderat-islamistischen Gruppen in der Region aufgebaut“, als deren Vorbild sie sich verstanden habe. „Sie mit terroristischen Organisationen jetzt so direkt in Verbindung zu bringen, finde ich ein bisschen problematisch“.

Im Bericht zum Thema unmittelbar davor waren die Kontakte der Türkei zur Hamas noch ausdrücklich angesprochen worden. Wenige Sekunden später war bei Günay davon schon mit keinem Wort mehr die Rede, und auch die ihn interviewende Moderatorin meldete keinen Widerspruch an, als er die unbestreitbare Verbindung der Türkei zu dieser Terrororganisation per Auslassung in Abrede stellte. Just in dem Augenblick, in dem sich alle überrascht zeigen über Erkenntnisse, die seit Jahren offenkundig sind, wird die Ausblendung der Realität fortgesetzt, die der vermeintlichen Überraschung zugrunde liegt.

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