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Hat die Muslimbruderschaft eine Zukunft in Syrien?

Schlagworte zu Koexistenz: Die Muslimbruderschaft in Syrien meldet sich mit Papier zu Wort
Schlagworte zu Koexistenz: Die Muslimbruderschaft in Syrien meldet sich mit Papier zu Wort (Quelle: Screenshot Facebook)

Die Muslimbruderschaft in Syrien hat ein Dokument veröffentlicht, in dem sie ihre Vision für die Zukunft des Landes nach dem Sturz des Regimes von Baschar al-Assad präsentiert.

Die Muslimbruderschaft in Syrien hat ein Papier mit dem Titel »Koexistenz in Syrien« veröffentlicht, in dem sie ihre Vision für die Zukunft des Landes darlegt, offenbar in dem Versuch, Einfluss auf die Übergangsregierung zu nehmen. Die Organisation betont die Notwendigkeit der Schaffung eines zivilen Staats in der nächsten Phase, der auf Gerechtigkeit und gleichen Rechten für alle, unabhängig von ihrer religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit, basiert.

In dem Dokument heißt es, Syrien sei erschöpft von »den Jahrzehnten der Tyrannei, der Verletzung von Rechten und der Verweigerung der Menschenwürde« und stehe an der Schwelle zu einer neuen Phase, die einen breiten nationalen Konsens erfordere, der auf dem Willen zur Koexistenz und zum Dialog zwischen allen Beteiligten basiere.

Die Muslimbruderschaft warnte vor einer Fortsetzung der Rhetorik, die zur Spaltung führen könnte. Die Umsetzung der Koexistenz in Syrien erfordere eine aufrichtige Zusammenarbeit aller Kräfte und Komponenten, frei von historischen Ressentiments oder sektiererischen Verallgemeinerungen. Sie spricht sich dafür aus, die Vergangenheit hinter sich zu lassen und eine Zukunft aufzubauen, die auf Rechten und Freiheiten basiert sowie auf »zivilisiertem Verhalten, das Fanatismus und Arroganz ablehnt«.

Bloß Schlagworte

Das Dokument wurde zwei Monate nach dem an die Muslimbruderschaft gerichteten Aufruf von Ahmed Muwaffaq Zidan, einem Berater des syrischen Übergangspräsidenten Ahmed al-Sharaa, sich aufzulösen, veröffentlicht. Trotz der auffälligen Schlagworte des Dokuments ist die Organisation jedoch nicht von ihrem ausgrenzenden Ansatz abgewichen, der die Rechtsstaatlichkeit nicht achtet, wie der syrische Autor Michel Shammas in einem Artikel in der in Beirut ansässigen Zeitung Al-Modon festhielt.

Das Erste, was in dem Dokument auffalle, sei das Fehlen eines ausdrücklichen Verweises auf die Unabhängigkeit der Justiz. So werde trotz wiederholter Verweise auf die Gerechtigkeit nicht auf institutionelle Maßnahmen zum Schutz der Justiz vor politischer oder parteipolitischer Einflussnahme eingegangen. »Dieser Mangel schwächt die Fähigkeit des Dokuments, eine umfassende Vision der Rechtsstaatlichkeit zu präsentieren.«

Sahmmas erinnerte an die historischen Erfahrungen des wiederkehrenden Musters moderater Rhetorik mit der Bruderschaft sowohl in Syrien als auch im Ausland, solange die Organisation keine Herrschaft ausübt, »gefolgt von ausgrenzendem Verhalten, sobald sie an der Macht ist«, was darauf hindeute, dass man sich auf die positiven Ansätze in dem Dokument nicht verlassen könne.

Ganz ähnlich argumentierte Hossam Abu Hamed in einem Artikel in der katarischen Zeitung Al-Araby Al-Jadeed: »Das Dokument ähnelt eher einem allgemeinen moralischen Text als einem politischen Programm.« Es enthalte keinen Hinweis auf eine Übergangsjustiz, auf Mechanismen politischen Handelns, auf die zukünftige Organisationsform der Muslimbruderschaft oder gar auf eine ernsthafte Überprüfung ihrer Grundsätze. Dies alles verstärke »den Eindruck, dass wir Zeugen einer sprachlichen Anpassung sind, nicht einer strukturellen Transformation«.

Politisches Manöver

Abu Hamed wies auch auf die geringe Bedeutung des syrischen Flügels der Bruderschaft hin, da die Gruppe »seit Jahrzehnten keine neuen Eliten hervorgebracht« habe. Gelähmt durch Unterdrückung, Exil und ihre Isolation vom syrischen Landesinneren, sei »ihre Organisationsstruktur der Logik einer geschlossenen Gruppe verhaftet geblieben«. Die syrische Muslimbruderschaft wurde 1945 unter der Führung von Mustafa al-Sibai in Syrien gegründet, erlitt jedoch in den 1970er und 1980er Jahren schwere Rückschläge durch Repression und Verfolgung seitens Baschars Vater und Vorgänger Hafez al-Assad, wodurch ihre Fähigkeiten geschwächt wurden.

Der syrische Politologe Muhammad Huwaidi erklärte denn auch, das aktuelle Dokument sei »ein symbolischer Versuch, das Image der Organisation aufzupolieren, die seit Jahrzehnten ihre Präsenz und ihren Einfluss in Syrien verloren hat«.

Die Erklärung war nicht die erste ihrer Art; ihr gingen der Nationale Pakt von 2004 sowie die Verpflichtungserklärung und Charta von 2012 voraus, die beide ähnliche Bestimmungen zum zivilen Staat und zur politischen Freiheit enthielten. Die Gruppe habe die darin gemachten Zugeständnisse jedoch nicht in organisatorische Veränderungen umgesetzt, »da ihr intellektuelles Rahmenwerk konservativ blieb und an der traditionellen Logik der Bruderschaft festhielt«.

Das nun vorliegende Papier sei laut Huwaidi vor dem Hintergrund eines starken Rückgangs des Status des politischen Islams in der Region zu sehen, der nach dem Sturz der Muslimbruderschaft in Ägypten im Jahr 2013 und dem Scheitern islamistischer Experimente in Tunesien und im Sudan stattgefunden habe und sich auch in syrischen Diskussionen über die Übergangsregierung und deren Verfassungsentwurf zeige. Dementsprechend betrachte er das Dokument eher als »politisches Manöver«, das mittels Schlagworten darauf abziele, die Muslimbruderschaft im Rampenlicht zu halten denn als ernstzunehmendes politisches Projekt, das eine wesentliche Änderung der islamistischen Gründungsideologie der Muslimbruderschaft darstellen würde.

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