Hat der Iran eine neue Armee aufgebaut?

Von Michel Wyss

Gemäß einem ehemaligen Kommandanten der iranischen Revolutionsgarden hat der Iran eine neue Armee geschaffen, die in Syrien, Irak und Jemen zum Einsatz komme. Doch wie neu ist diese wirklich?

Khamenei - Soleimani
Irans oberster geistlicher Führer Khamenei und Qassem Soleimani, Kommandeur der Quds-Brigaden

In einem Interview mit der den Revolutionsgarden (IRGC) nahestehenden Mashregh-Nachrichtenagentur erklärte der ehemalige Brigadegeneral Ali Mohammed Falaki vergangene Woche, der Iran habe eine „Schiitische Befreiungsarmee“ aufgebaut. Diese Armee kämpfe in Syrien, Irak und Jemen, ihr ultimatives Ziel sei es aber, Israel zu vernichten.

Diese Enthüllungen sorgten nicht zuletzt in den Golfstaaten für Aufregung, die mit dem Iran einen Proxy-Konflikt (Stellvertreterkrieg, Anm. d. Red.) austragen. So berichtete beispielsweise Al Arabiya-News aus Saudi-Arabien, und Al Jazeera widmete der „Befreiungsarmee“ neben mehreren Artikeln sogar eine fast halbstündige Sondersendung.

Trotz der medialen Aufmerksamkeit und den bombastischen Verlautbarungen, dass Israel dank der „Befreiungsarmee“ in 23 Jahren nicht mehr existieren werde (diese Aussagen wurden auch von den israelischen Medien aufgenommen) stellt sich aber die Frage, inwiefern es sich hier tatsächlich um neue brisante Enthüllungen handelt.

Gemäß Brigadegeneral Falaki werde die Armee von Qassem Soleimani, dem Kommandanten der Qods-Force, der Eliteeinheit der Revolutionsgarden, kommandiert. Sie werde nicht nur iranische Truppen beinhalten, sondern werde Kämpfer von jenen Regionen umfassen, in denen sie aktiv ist.

De facto gibt es eine solche Einheit bereits: Sie heißt Qods-Force. Was Falaki in dem Interview beschreibt, klingt verdächtig nahe wie die Aufgabe der von Soleimani kommandierten Einheit, nämlich die Ausbildung und Unterstützung von iranischen Proxy-Einheiten. Dazu zählen vor allem schiitische Organisationen wie die Hisbollah im Libanon oder Asain Ahl Al-Haqq im Iran, aber auch sunnitische Terrororganisationen wie der Palästinensische Islamische Jihad in Gaza.

Die Unterstützung von schiitischen Aufständischen durch die Revolutionsgarden reicht zurück bis zum „Büro für Befreiungsbewegungen“, das kurz nach der islamischen Revolution etabliert worden war. Seine Aufgabe war es, Kontakte zwischen den Revolutionsgarden und „muslimischen Organisationen“ zu knüpfen, die für die „Befreiung von der Sklaverei und den Fesseln des westlichen und östlichen Imperialismus (i.e. die USA und die UdSSR) und des globalen Zionismus kämpfen.“

Während es das Büro für Befreiungsbewegung nicht mehr länger gibt, hat die Qods-Force diese Aufgabe im Wesentlichen übernommen. Die Einheit, deren Existenz der Iran offiziell nicht anerkennt, ist seit längerem mysteriös, ihr Budget und ihre Truppenstärke sind geheim. Fest steht aber, dass die Qods-Force seit ungefähr acht Jahren von Qassem Soleimani kommandiert wird, der über direkten Zugang zum iranischen Revolutionsführer verfügen soll.

Ein interessantes Porträt in der September 2013-Ausgabe des New Yorker legt nahe, dass Soleimani eine Schlüsselfigur im Nahen Osten ist, dem selbst seinen erbittertsten Gegnern Respekt und beinahe schon Bewunderung erweisen. Soleimani hat in den vergangenen Jahren sowohl die Verteidigung des Assad-Regimes in Syrien als auch den Kampf gegen den Islamischen Staat im Irak koordiniert, oftmals an vorderster Front.

Mittlerweile gibt es Indizien, die nahelegen, dass der Iran die Huthi-Rebellen im Jemen unterstützt, unter anderem auch in Zusammenarbeit mit der Hisbollah. Allerdings ist im Falle Jemens davon auszugehen, dass der Iran verglichen mit der Situation in Syrien und Irak über ein geringeres Maß an direkter Kommandogewalt verfügt, falls überhaupt.

Angesichts dieser Umstände erscheint die „neue Befreiungsarmee“ also so neu nicht. Viel mehr schien Brigadegeneral Falaki in dem Interview die Aktivitäten der Qods-Force der vergangenen Jahre zu beschreiben. Bemerkenswert ist dabei aber, dass ein ehemaliger Kommandant der Revolutionsgarden sehr offen über diese Aktivitäten spricht. Dies trifft insbesondere auf den Jemen zu, wo der Iran bislang jegliche Involvierung abgestritten hat. Die Äußerungen Falakis lassen darauf schließen, dass sich der Iran derzeit ermutigt fühlt, eine noch aggressivere Rolle im Nahen Osten einzunehmen und seine Proxy-Interventionen auszuweiten.

Wenig verwunderlich ist aber auch, was Falaki im Interview nicht erwähnte: namentlich die Aktivitäten der IRGC in Bahrain, wo der Iran ebenfalls schiitische Aufständische unterstützt und versucht, einen Umsturz herbeizuführen. Und auch über die Rolle, welche die Qods-Force in iranischen Terroranschlägen spielte, verlor der ehemalige IRGC-Kommandant selbstverständlich kein Wort.

Festzuhalten bleibt also, dass es sich bei der vermeintlichen „Befreiungsarmee“ nicht um eine neue Organisation handelt, sondern vielmehr um eine Beschreibung jener Aktivitäten, die seit Jahren den Kernauftrag der Qods-Force ausmachen. Allerdings könnte das Interview durchaus ein Hinweis darauf sein, dass der Iran plant, der Einheit eine noch zentralere Rolle in seiner regionalen Strategie zukommen zu lassen. Damit würden nicht nur die Spannungen zwischen Teheran und den Golfstaaten befeuert. Vielmehr hätte eine Stärkung der Qods-Force zur Folge, dass der Iran westliche Interessen in der Region noch entschiedener herausfordern und mittels seiner Stellvertreter die militärische Konfrontation mit Israel suchen wird.

(Ursprünglich erschienen auf Audiatur Online.)

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