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Hand in Hand durch Istanbul

Flanieren auf der Istiklal (Fotos: Thomas v. der Osten-Sacken)

Entgegen Erdogans Wunsch tragen die Touristen von der arabischen Halbinsel nicht dazu bei, das Stadtbild Istanbuls islamischer zu machen.

Gut erinnere ich mich an die Zeiten, als Saudis, Kuwaitis oder Emiratis noch Urlaub an der syrischen oder libanesischen Küste machten. Damals in den 80er und 90er Jahren fuhr dann die ganze Familie, in vielen Fällen der Mann mit mehreren Frauen, deren Gesichter hinter Niqabs versteckt waren, und oft noch begleitet von der Nanny, die sich um die Kinder zu kümmern hatte, im dicken Jeep an der jordanischen Grenze vor. Dann verbrachte man gemeinsam irgendwo an der Küste eine Woche zusammen im Nobelressort, aber richtig begeistert wirkte niemand, das ganze schien eher eine Art Pflichtprogramm, das absolviert wurde, und bei dem sich jede und jeder eher unwohl zu fühlen schien.

Warum, verstand, wer dann erlebte, wie die Männer alleine verreisten, in kleinen Gruppen nach Beirut oder Damaskus, wo sie besonders häufig in Bars abhingen und danach angetrunken die Rotlichtviertel unsicher machten. Wo immer in der Region die Sitten etwas lockerer waren als am Golf, fanden sich Scharen von männlichen Besuchern vom Golf ein, um endlich mal so richtig einen drauf zu machen.

Heute stellt Istanbul ein bevorzugtes Reiseziel für arabische Touristen dar. Unter der Ägide von Erdogans islamisch-neoosmanischem Kurs hat die Türkei nicht nur die Einreisebestimmungen für fast alle arabischen Länder gelockert, gezielt wurde auch versucht, Bewohner der Golfstaaten mit islamischen orientierten Angeboten an den Bosporus zu locken. Nicht nur Geld spielte bei diesem Kalkül eine Rolle, sondern auch die Hoffnung, strenggläubige Saudis oder Emiratis würden einen entsprechenden Einfluss auf Stadtbild und Jugend ausüben, die in der Türkei, wie ein abendlicher Gang durch ein Ausgehviertel jeder Großstadt zur Genüge zeigt, bislang nur mäßig beeindruckt scheint von Erdogans Vorstößen, sie in gottesfürchtigen und frommen Nachwuchs verwandeln zu wollen.

In Istanbul gibt es, dank der Scharen arabischer Touristen, inzwischen ganze Stadtviertel, die de facto zweisprachig sind und im Getümmel der bekannten Istiklal-Straße hört man fast ebenso häufig arabisch wie türkisch. Der Wandel stößt nicht nur auf Begeisterung, längst etwa hat sich das genuin türkische Nachtleben in andere Viertel verlagert und viele Geschäftsinhaber klagen über die Gäste vom Golf, die wenig Geld ausgeben würden und Grund dafür seien, dass viele europäische Touristen inzwischen die Gegend um den Taksim-Platz meiden. Fakt aber ist, die Zahl der Besucher aus dem Nahen Osten steigt Jahr für Jahr:

„Die Gesamtzahl der Touristen aus den Ländern des Nahen Ostens und Westasiens stieg in den ersten sieben Monaten des Jahres 2019 um 16,3 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Hinzu kommt der Anstieg der arabischen Touristen um 30 Prozent im Jahr 2018.“

Auf der Istiklal und in angrenzenden Straßen lässt deshalb sich auch der Wandel, den die arabische Welt seit 2011 durchläuft, wie in einem Brennglas studieren. Sicher gibt es sie noch, die Männer vom Golf, die mit ihren verschleierten Ehefrauen kommen, die manierlich ein paar Schritte hinter dem Angetrauten herlaufen. Aber im Vergleich zu früher stellen sie die Minderheit dar. Viel auffälliger ist, wie oft man nun arabische Paare sieht, die abends Hand in Hand über die Straße schlendern oder gemeinsam in Cafés sitzen. Das sind Szenen, die so und vor allem so häufig vor ein paar Jahren noch undenkbar gewesen wären. Hätte man da einen Mann aus Saudi-Arabien oder Kuwait gefragt, ob er nicht mal alleine mit seiner Frau ein paar Tage verreisen wollte, er hätte einen vermutlich nur verblüfft angestarrt ob so einer für ihn völlig abwegigen Idee. Und wenn, hätte er sich vor Freunden und Familie geschämt und wäre irgendwo nach Europa gefahren, an einen Ort, an dem er sicher gewesen wäre, keinen Landsleuten zu begegnen.

Diese Angst scheint es heute nicht mehr zu geben, denn die Wahrscheinlichkeit in Istanbul irgendwelchen Bekannten zu begegnen, ist durchaus gegeben. So zeigen Auftreten und Verhalten vieler, vor allem jüngerer arabischer Touristen in der Türkei, wie schnell sich selbst in den konservativen Golfstaaten das Rollen- und Frauenbild verändert. Dieser Prozess, der überall in der Region zu beobachten ist, scheint nämlich inzwischen unaufhaltsam. Keineswegs handelt es sich dabei um eine bewusste politische Revolte: Die Paare, die in Istanbul Hand in Hand flanieren, tun dies nicht, um irgendwelche Dissidenz zu demonstrieren, sondern weil es inzwischen kein Tabu mehr darstellt, seine Zuneigung wenigstens an Orten, in denen es möglich ist, offen und auch öffentlich zu zeigen.

Sicher, wenn sie nach Hause zurückkehren, werden sie in Riad, Doha oder Abu Dhabi gemeinsam wohl kaum so auf die Straße gehen. Aber die Erinnerung an das, was möglich ist, wird bleiben – und damit auch die Hoffnung vieler, dass sich am Golf die Dinge ebenfalls weiter ändern werden.

Ganz anders, als von Erdogan erhofft, tragen so arabische Besucher weniger dazu bei, dass Istanbuls Innenstadt muslimischer geprägt wird; im Gegenteil scheint die türkische Metropole von vielen inzwischen aufgesucht zu werden, weil es dort, außer in einigen als besonders fromm geltenden Vierteln, längst keine große Rolle mehr spielt, wie man sich kleidet und mit wem man sich auf der Straße zeigt.

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