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Hamas in Gaza verweigert Patienten medizinische Behandlung

Hamas-Unterschlupf: Al-Adwan-Krankenhaus im nördlichen Gazastreifen, wo Baxtiyar Baram als Arzt tätig war
Hamas-Unterschlupf: Al-Adwan-Krankenhaus im nördlichen Gazastreifen, wo Baxtiyar Baram als Arzt tätig war (© Imago Images / Le Pictorium)

Der Missbrauch von Krankenhäusern gehe über die Nutzung durch die Hamas als Zufluchtsort hinaus, da die Terrorgruppe auch Einfluss auf das Medizin- und Gesundheitssystem besitzt, um ihre eigenen Interessen durchzusetzen, wie ein als Arzt tätiger kurdischer Freiwilliger berichtet.

Ein diese Woche auf der kurdischen Website Rudaw und auf YouTube veröffentlichtes Interview mit dem kurdischen Arzt Baxtiyar Baram, der kürzlich als Freiwilliger im nördlichen Gazastreifen tätig war, bot einzigartige Einblicke in die Geschehnisse der vergangenen Wochen im nördlichen Gazastreifen. Dabei enthüllte Baram, dass die Hamas Krankenhäuser nicht nur weiterhin als Unterschlupf und Kommandozentralen verwendet, sondern in einem auch eine VIP-Abteilung eingerichtet hat, in der ausschließlich Personen mit Beziehungen zur Terrorgruppe behandelt werden dürfen.

Baram war im nördlichen Gazastreifen tätig, nachdem er im April über die südliche Stadt Rafah in den Küstenstreifen eingereist war, also noch vor den aktuellen Operationen der Israelischen Verteidigungsstreitkräfte (IDF) im Gebiet Rafah und ihrem Wiedereinmarsch in Jabalya. Dem Rudaw-Bericht zufolge hatte er die Erlaubnis, als Teil eines kleinen Teams von vier Ärzten und einer Krankenschwester von Rafah in den nördlichen Gazastreifen zu reisen, wobei es sich um eines der ersten Teams ausländischer medizinischer Helfer handelte, das seit Monaten in den nördlichen Gazastreifen einreisen konnte.

Missbrauch von Krankenhäusern

»Wir haben es in den nördlichen Gazastreifen geschafft«, sagte Baram gegenüber Sangar Abdulrahman von Rudaw. »Sie brauchten einen Orthopäden und ich war der einzige Kandidat, der sich dorthin traute.« Der Arzt überquerte den Rafah-Übergang zu einer Zeit, als es noch ein »normaler« Grenzübergang von Ägypten in die von der Hamas kontrollierte Stadt Rafah war. Um in den nördlichen Gazastreifen zu gelangen, musste die Gruppe jedoch den Netzarim-Korridor durchqueren, ein von Israel kontrolliertes Gebiet südlich von Gaza-Stadt.

Als das Team in den nördlichen Gazastreifen gelangte, erzählte Baram, musste er an Szenen aus den verwüsteten kurdischen Städten während der Anfal-Kampagne, als der Irak gegen Kurden vorging, denken, und verglich den nördlichen Gazastreifen mit Halabdscha, einer Stadt, die schwer unter Saddam Hussein gelitten hat, oder mit dem Gebiet von Saidsadiq, wo 1988 Tausende von irakischen Truppen getötet wurden.

Der Mediziner beschrieb seine Arbeit in zwei Krankenhäusern, Al-Awda in Jabalya und Kamal Adwan im nördlichen Gazastreifen, wo er Luftangriffe der israelischen Luftwaffe miterlebte, von denen einer so nahe stattfand, dass der Druck sein Bettzeug wegriss. Die Hamas, so erzählte Baram über seine Erlebnisse, nutze weiterhin Krankenhäuser für ihr Ziele aus. »Sie ist eine politische und militärische Organisation, die all diese Orte zum Überleben ausbeuten muss, und das ist bedauerlich. Ich habe gesehen, dass Spitäler dazu benutzt wurden, um Hamas-Führer zu verstecken.« Einmal habe er sogar mit einem Hamas-Gründer gesprochen und Kaffee getrunken.

Klientelwirtschaft

Baram beschrieb einen Verwundeten, der einer religiösen Salafisten-Bewegung angehörte, weswegen ihn die Hamas nicht im Krankenhaus behandeln lassen wollte, weil er einer rivalisierenden Extremistengruppe angehörte: »Als wir versuchten, sein Leben zu retten, gab es keinen Sauerstoff, also brachten wir ihn auf die Intensivstation im dritten Stock, aber ein Angestellter hielt uns auf und sagte, die Abteilung sei nur für VIP-Patienten.« Daraufhin habe er sich dem Mann entgegengestellt und den Verletzten trotzdem in die Abteilung gebracht.

Die Ausnutzung von Krankenhäusern gehe über die Nutzung durch die Hamas als Zufluchtsort hinaus, so Baram, der andeutete, die Hamas besitze auch Einfluss auf das Medizin- und Gesundheitssystem, um ihre eigenen Interessen durchzusetzen.

Der kurdische Arzt meinte, seines Erachtens habe die Hamas im Gazastreifen keine starke Basis. Die Unterstützung, so schätzte er, liege möglicherweise bei nur zehn Prozent der Bevölkerung, doch die Hamas regiere das Gebiet mit »eiserner Faust«. »Sie haben überall Augen«, sagte er. »Jede Bäckerei, jeder Coffeeshop und jeder Sonnenblumenverkäufer ist mit ihnen verbunden.« Auf diese Weise gelinge es der Hamas, ihre Herrschaft trotz geringer Zustimmung durch- und fortzusetzen.

Baram sagte, in einigen Geschäften wären Mitarbeiter der Hamas mit Waffen vertreten. Dies sei auf die lange Kontrolle der Hamas über den Gazastreifen und die vielen Kriege zurückzuführen, die sie geführt habe. Dennoch schätzt der Mediziner, dass neunzig Prozent der Einwohner nicht auf Seite der Terrorgruppe stünden, sondern Angst hätten, als Gegner der Hamas verdächtigt zu werden.

Mafiöse Gruppen

Wegen des herrschenden Chaos träten im Gazastreifen immer mehr mafiaähnliche Gruppen in Erscheinung, beobachtete Baram. Während sich die Hamas weiterhin auf den Kampf gegen Israel konzentriere, seien diese Gruppierungen intern aktiv. So habe er gesehen, wie die Mafia Hilfsgüter stiehlt, um sie anschließend auf dem Schwarzmarkt zu verkaufen.

Baram sagte, die Hamas versuche, einen Vorteil aus dieser Instabilität zu ziehen, weshalb sie gegen die Verbrechergangs nicht vorgeht. In den so entstandenen Niemandsländern, die sich über mehrere Kilometer auf beiden Seiten von Netzarim und anderen Gebieten erstrecken, seien die Diebe aktiv, die laut Baram »Schwerter tragen«. Das so erzeugte Chaos veranlasse dann wieder Menschen in Gaza dazu, um die Rückkehr der Hamas in diese Regionen zu bitten, sodass ihre Politik des Rückzugs der Terrorgruppe dann hinterrücks wieder zur Verstärkung ihrer Herrschaft dient.

Die Lage in Gaza ist laut Baram katastrophal. Er beschrieb, wie erschöpft die Menschen vom Krieg sind. Er habe Menschen getroffen, die seit dem 7. Oktober 2023 zweiundvierzig ihrer Familienangehörigen haben sterben sehen. Manche stünden kurz vor dem Hungertod; die meisten hätten kein Geld, um Grundnahrungsmittel zu kaufen, und praktische alle Preise seien in die Höhe geschossen: So kostet eine Zigarette zum Beispiel bis zu vierzehn Dollar. Ein Mann, so Baram, habe den Gegenwert von zwei Monatsgehältern ausgegeben, nur um Melanzani, Zucchini und Reis zu kaufen. Üblich seien nur Artikel aus Mehl, die als Hilfsgüter in den nördlichen Gazastreifen gelangten. Die Menschen leben in den zerstörten und beschädigten Gebäuden; die Kinder sind barfuß und betteln um Wasser.

Das von Rudaw veröffentlichte Gespräch war eines der ersten Interviews aus ausländischer Sicht seit Kriegsbeginn, das Licht auf die Geschehnisse vor Ort warf und einen relativ neutralen Überblick über die Situation vermittelte.

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