Die Hamas sah eine Normalisierung der Beziehungen zwischen Jerusalem und Riad als existenzielle Bedrohung an.
Dass eines der Motive der Hamas für die Invasion Israels am 7. Oktober 2023 darin bestanden habe, die von den USA vermittelten Gespräche zur Normalisierung der Beziehungen zwischen Israel und Saudi-Arabien, ist lange gemutmaßt worden. Dokumente, die am Sonntag vom Wall Street Journal (WSJ) veröffentlicht wurden, haben die Annahme jetzt bestätigt.
Laut dem Protokoll einer Sitzung, das israelische Truppen aus einem versteckten Hamas-Kommandotunnel im Gazastreifen sicherstellen konnten, hatte der Terroristenführer Yahya Sinwar am 2. Oktober hochrangigen Kommandeuren mitgeteilt, dass nur eine »außergewöhnliche Tat« das schnell voranschreitende Abkommen noch zum Scheitern bringen könne. Wenn Riad unterzeichne, warnte er, würden sich »die meisten arabischen und muslimischen Regierungen dahinter stellen« und die Hamas ins Abseits drängen.
Dem Protokoll zufolge war der Angriff, bei dem etwa 6.000 von der Hamas angeführte Terroristen aus dem Gazastreifen die israelische Grenze stürmten, etwa 1.200 Menschen ermordeten und weitere 251 entführten, seit zwei Jahren als Teil einer umfassenderen Kampagne vorbereitet worden, um »das strategische Gleichgewicht zu verschieben« und andere Mitglieder der sogenannten »Achse des Widerstands« in den Kampf zu ziehen.
Ein Begleitmemo, das ebenfalls in dem Tunnel gefunden wurde, riet aus dem gleichen Grund zu einer Beschleunigung der Angriffe im Westjordanland und in Jerusalem und wies jede saudische Zusage, die palästinensischen Interessen zu verteidigen, als Bluff zurück. Die Hamas verbreitete sogar ein »Stellengesuch« für einen universitär ausgebildeten Mitarbeiter zur Koordinierung ihrer Anti-Normalisierungsarbeit, wie aus den Unterlagen hervorgeht.
Existenzielle Bedrohung
Die Aussicht auf saudisch-israelische Gespräche war 2023 weiter fortgeschritten als jemals zuvor: Entwürfe für Sicherheitsgarantien der USA für das Golfkönigreich, die Genehmigung der USA für zivile Nukleartechnologie und ein Fahrplan für die palästinensische Selbstverwaltung lagen laut Wall Street Journal auf dem Tisch.
Die Hamas sah diesen Moment als existenziell an. So heißt es in einem in den Akten zitierten internen Briefing vom August 2022, es sei die Pflicht der Bewegung, die »Welle der Normalisierung, welche die arabische Welt erfasst hat«, zu stoppen. Im Jahr 2020 hatten bereits die Vereinigten Arabischen Emirate, Bahrain, Marokko und der Sudan die Abraham-Abkommen zur Beziehungsnormalisierung mit Israel unterzeichnet, die US-Präsident Donald Trump während seiner ersten Amtszeit initiiert hatte.
Fakten auf dem Tisch
Die Angriffe vom 7. Oktober lösten einen Krieg aus, der einen Großteil des Gazastreifens in Schutt und Asche legte. Außerdem kam der saudische Friedensprozess zum Erliegen: Riad erklärte, das Abkommen erst dann wieder aufzugreifen, wenn die Kämpfe eingestellt seien und ein glaubwürdiger Weg zur Gründung eines palästinensischen Staates erkennbar sei.
Der palästinensische Friedensaktivist Ahmed Fouad Alkhatib reagierte mit einem langen Social-Media-Beitrag, indem er die neu entdeckten Dokumente als »gewaltige und bedeutende Enthüllung« bezeichnete,
»die eine unglaublich beunruhigende Tatsache und Realität belegt: Am 7. Oktober ging es nicht darum, die Blockade zu durchbrechen, aus dem Gefängnis oder ›Konzentrationslager‹ Gaza auszubrechen, auf Ungerechtigkeiten im Westjordanland oder in Jerusalem zu reagieren oder die Rechte und die Staatlichkeit der Palästinenser zu fördern. Es handelte sich um eine ganz konkrete und ruchlose politische Aktion einer tödlichen Terrororganisation, um eine politische Entwicklung zu torpedieren, die sie als unvorteilhaft für ihre Ziele empfand.«
Allen, welche die Terrororganisation unaufhörlich entschuldigen, wolle er ausrichten:
»Die Beweise liegen vor Ihnen, um zu erkennen, dass Ihre geliebte ›Widerstandsorganisation‹ ein Betrug ist und dass die Rechtfertigungen für den 7. Oktober, der 60.000 Palästinenser das Leben gekostet hat, nichts als ein Netz von Lügen einer IS-ähnlichen Dschihad-Organisation sind, die von den Palästinensern im Gazastreifen weitgehend abgelehnt wird.«
The Wall Street Journal obtained exclusive documents from within Gaza, which were verified by several Arab intelligence and diplomatic sources, about Hamas’s real intention behind the October 7 attacks. The Islamist group was primarily concerned with sabotaging the prospect of… pic.twitter.com/IunTlRAXsW
— Ahmed Fouad Alkhatib (@afalkhatib) May 18, 2025